Transzendental (transcendere, überschreiten) bedeutet (seit Kant) jede Erkenntnis (nicht der Dinge, sondern) der Bedingungen und Möglichkeit der Erfahrung, jede auf die Möglichkeit apriorischer (s. d.) Erkenntnisfunktionen und ihrer Beziehung auf Erfahrungsobjekte gehende Untersuchung.
»Transzendental« oder »transcendent« nennen die Scholastiker die über den Prädikamenten (s. d.) liegenden, auf diese selbst anwendbaren allgemeinsten Begriffe (Einheit, Wahrheit, Güte u.s.w.). »Transzendentalia« sind die »termini vel proprietates rebus omnibus cuiusque generis convenientes« (res, ens, verum, bonum, aliquid, unum. aufgezählt in des Pseudo- Thomas »De natura generis«. vgl. Prantl, G. d. L. III, 245). Sechs Transzendentalien zählt auch THOMAS auf (De verit. 1, 1 c). Nach DUNS SCOTUS ist der Begriff des »ens« (Seienden) der allgemeinste der »transzendentalen« Begriffe, die andern sind »passiones entis« und zerfallen in »unicae« (unum, bonum, verum) und »disiunctae« (idem vel diversum, contingens vel necessarium, actus) (De an. qu. 21. Met. IV, 9. vgl. über JOH. GERSON: Prantl, G. d. L. IV, 144). SUAREZ erwähnt die transzendentalen Relationen (e. d.) und spricht von der »unitas transcendentalis« (Met. disp. I, 4, sct. 9). LAURENTIUS VALLA bemerkt »Aeterna sunt primordia atque principia, quae isti transcendentia appellant« (bei Prantl, G. d. L. IV, 163). MICRAELIUS bestimmt: »Transcendentia sunt termini, qui praedicamenta transcendunt, ita tamen, ut de singulis praedicamentis dici possint. et nihil aliud sunt quam generales entis affectiones sive coniunctae, ut unum, verum, bonum, sive disiunctae, ut causa et effectus« (Lex. philos. p. 1073 f.). CAMPANELLA erklärt: »Transcendens est terminus universalissimam communitatum omnium rerum communitatem significans... ut ens, verum, bonum et unum« (Dial I, 4). Ähnlich G. BRUNO (De la causa IV). F. BACON versteht unter »transzendentes« die »relativas et adventitias entium conditiones« (multum, paucum, idem, diversum, possibile..., De dignit. III, 3. V, 4). CLAUBERG erklärt: »Quae... sic rebus communia sunt, ut omnes earum classes exsuperent, uno nomine appellantur transcendentia..., quod in supremo rerum. Omnium apice concepta, omnia permeent et ambiant, ad omnia rerum genera pertineant. Cuius modi sunt ens, unum, rerum, bonum etc.« (Opp. p. 283). Die psychologische Entstehung der Transzendentalien erklärt SPINOZA aus einem Verschmelzungsprozess: »Termini transzendentales... ex hoc oriuntur, quod scilicet humanum corpus, quandoquidem limitatum est, tantum est capax certi imaginum numeri... in se distincte simul formandi, qui si excedatur, hae imagines confundi incipient, et si hic imaginum numerus, quarum corpus est capax, ut eas in se simul distincte formet, longe excedatur, omnes inter se plane confundentur« (Eth. II, prop. XI, schol. I). Nach BERKELEY steigen die Mathematiker nicht auf »bis zu einer Betrachtung jener die Schranken der Einzelwissenschaften überschreitenden (transzendentalen) Grundsätze, welche auf eine jede der Einzelwissenschaften Einfluß haben« (Princ. CXVIII). Die oben angegebene neuere Bedeutung erhält »transzendental« durch KANT. Zuweilen gebraucht er das Wort im Sinne von »transcendent« (s. d.. vgl. Krit. d. rein. Vern. S. 262 f.), in der Regel aber als ein auf die Möglichkeit der Anwendung des Apriori (s. d.), als ein auf die Grundlagen der Erfahrung Bezügliches. Es ist festzuhalten, »daß nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich a priori angewandt werden oder möglich seien, transzendental (d. i. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse. Daher ist weder der Raum, noch irgend eine geometrische Bestimmung desselben a priori eine transzendentale Vorstellung sondern nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs seien, und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl a priori auf Gegenstände der Erfahrung beziehen könne, kann transzendental heißen... Der Unterschied des Transzendentalen und Empirischen gehört also nur zur Kritik der Erkenntnisse und betrifft nicht mit die Beziehung derselben auf ihren Gegenstand« (l. c. S. 80). »Ein transzendentales Prinzip ist dasjenige, durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objekte unserer Erkenntnis überhaupt werden können« (Krit. d. Urt., Einl.). Das Bewußtsein, »eine Erfahrung anzustellen oder auch überhaupt zu denken« ist ein »transzendentales Bewußtsein«, nicht Erfahrung (WW. IV, 500). »transzendental ist die Erklärung, wie sich Begriffe oder Sätze a priori auf Gegenstände beziehen können, wie sie a priori und doch von Objekten gelten sollen. Nicht die Erkenntnis a priori ist transzendental, nur die Rechtfertigung ihrer objektiven Gültigkeit und das Verfahren dieser Rechtfertigung will Kant mit diesem Worte bezeichnet wissen. Dasjenige, was nicht aus der Erfahrung stammt, für die Erfahrung zu beweisen, ist die Aufgabe der transzendentalen Methode« (RIEHL, Zur Einf. in d. Philos. S. 115).
BOUTERWEK nennt transzendental »die Untersuchungen, durch welche das ursprüngliche Verhältnis der Vernunft zur Sinnlichkeit entdeckt werden soll, um nach diesem Verhältnisse zu bestimmen, ob und warum uns die sinnliche Wahrnehmung nicht täusche und ob es für dem menschlichen Geist eine Erkenntnis des Übersinnlichen gebe« (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 48). Nach SCHELLING ist »transzendentales Wissen« ein »Wissen des Wissens, sofern es rein subjektiv ist« (Syst. d. transzendental. Ideal. S. 11) Nach SCHOPENHAUER ist eine transzendentale Erkenntnis »eine solche, welche das in aller Erfahrung irgend Mögliche vor aller Erfahrung bestimmt und feststellt« (Vierf. Wurz. C. 4, § 20). Nach K. FISCHER ist »dasjenige, wodurch die Erfahrung selbst begründet wird«, »keine Sache der empirischen, sondern der transzendentalen Erkenntnis« (Krit. d. Kantschen Philos. S. 83). Nach H. COHEN bezieht sich das Transzendentale »auf die Möglichkeit einer Erkenntnis, welcher der Wert apriorischer oder wissenschaftlicher Geltung zukommt« (Princ. d. Infin. S. 7). Nach E. VON HARTMANN ist transzendental »das Immanente, insofern es auf ein Transzendentes bezogen gedacht wird« (Krit. Grundleg. S. XV). Nach RIEHL ist transzendental »die Form der Einheit des Bewußtseins in Abstraktion von ihrem Inhalte gedacht, sofern diese Form als die allgemeine, nicht bloß für mich geltende Bedingung erkannt wird, unter welcher die Vorstellung jedes Objekts... stehen muß« (Philos. Krit. II 2, 163) - HELLENBACH, DU PREL u. a. nennen »transzendental« alles unter der Schwelle des normalen Bewußtseins Liegende (z.B. das Traumbewußtsein, die zweite Persönlichkeit, das »transzendentale Subjekt«. vgl. Metaorganismus). Vgl. A priori, Kritizismus, Apperzeption, Deduktion, Objekt, Ästhetik, Logik, Idealismus, Wahrheit, Subjekt, Relation, Synthetismus.