Trieb

 

Nach VOLKMANN ist der Trieb jene Kraft, »welche der Vorstellung des Begehrten ihre Bewegungstendenz verleibt und sie dadurch zur begehrten Vorstellung erhebt« (Lehrb. d. Psychol. II4, 436). Nach LINDER ist der Trieb »eine in der Natur des Menschen begründete bleibende Disposition zu einem der Art, nicht dem Objekte nach, bestimmten Begehren«. »Seine Grundlage hat der Trieb in unangenehmen Empfindungen und dunklen Vorstellungen, welche zum Sitz reger Unlustgefühle werden. Das vage Unlustgefühl erzeugt das allgemeine, unbestimmte Streben, aus der unbehaglichen Gemütslage in eine andere, behaglichere überzugehen, ohne daß eine klare Vorstellung den Weg dieses Überganges bezeichnet. Der Trieb ist daher blind« (Empir. Psychol. S. 200). »Die Triebe lassen sich unterscheiden in physische und psychische, je nachdem die Grundlage derselben in der Regsamkeit der Nerven oder in der Regsamkeit der Vorstellungen liegt« (l. c S. 201). - Die seelische Grundkraft, »das Grundverhältnis des psychischen Wesens« erblickt im Trieb FORTLAGE (Psychol. I, Vorr. S. XIX). Der Trieb ist an sich unbewußt, weil das Bewußtsein-Erzeugende (l. c. I, 97). Bewußt wird er erst als gehemmter Trieb (l. c. II, 26 f.). Ursprünglicher Grundtrieb ist der Trieb der Selbsterhaltung (l. c. I, 475 ff.). Der Trieb »strebt nach einem gewissen nicht vorhandenen Zustande, welcher, sobald er mit Bewußtsein eintritt, als Lust empfunden wird. Die Lustempfindung heißt die Befriedigung des Triebes« (l. c. I, 300 ff.). Trieb und Gefühl sind die beiden Seiten desselben Grundverhältnisses des Ich (l. c. 1, S. XIX. vgl. I, 330 ff.. II, 486). Ein Triebwesen ist der Geist nach J. H. FICHTE (Psychol. I, 20). Der Trieb ist überhaupt »das eigentlich Gestaltende, Formgebende in der gesamten organischen Natur« (l. c. S. 21). Als instinctbehaftet hat er den Keim des Idealen in sich (l. c. S. 21). Jeder Trieb beruht auf einem bestimmten »Ergänzungsbedürfnis« (l. c. S. 175). Der Trieb ist zugleich schon »dunkles Vorstellen« (l. c. S. 176). Jeder Trieb ist als vorbewußter »Einheit von dem, was auf der Stufe des Bewußtseins Wille und Intelligenz heißt« (l. c. II, 21 ff.). Der Urtrieb ist Quelle des Bewußtseins (s. d.). Das Gefühl drückt nur aus »die subjektive Wertbestimmung, welche irgend ein Bewußtseinszustand für den Geist besitzt. es entspringt ans der Förderung oder der Hemmung irgend eines im objektiven Wesen unseres Geistes liegenden Triebes« (l. c. I, S. 197). Auf Triebe führt die unbewußt-unwillkürliche Seelentätigkeit ULRICI zurück (Leib u. Seele, S. 498). Der Trieb geht der Empfindung und dem Gefühl voran (l. c. S. 253 ff.). Er ist wesentlich Selbsterhaltungstrieb (l. c. S. 570 ff.). Grund des Gefühls ist der (ursprünglich unbewußte) Trieb nach O. GÖRING (Syst. d. krit. Philos. I, 65, 93. vgl. JESSEN, Psychol.). Nach R. HAMERLING liegt allem Sein ein »Daseinstrieb« zugrunde. Trieb ist unbewußter Wille (Atomist. d. Will. I, 263 f.). Als primitiven Seelenvorgang betrachtet den Trieb HORWICZ (Psychol. Anal. I, 171). - Nach LOTZE ist der Trieb nicht ein Wollen, sondern nur »das Innewerden eines Getriebenwerdens« (Mikrok. I2, 287). Triebe entstehen aus Gefühlen nur durch Erfahrungen (Med. Psychol. S. 298 f.. vgl. S. 296 ff.). Nach FROHSCHAMMER ist der Trieb »das aus der ineinander greifenden Gesamtheit der Gliederung des organischen Wesens hervorgehende Streben nach dem, was ihm zur Erhaltung, zum Bestehen und Fortpflanzen notwendig förderlich und allenfalls auch angenehm ist« (Mon. u. Weltphant. S. 30) Nach HAGEMANN ist der Trieb »die zur Selbstentfaltung und Selbstvervollkommnung strebende Natur des lebendigen Wesens« (Psychol. S. 108). Die unbewußten Triebregungen sind der Instinkt (l. c. S. 109). Das Triebleben bildet die Grundlage der Gefühle (l. c. S. 109). Es gibt individuelle, soziale, religiöse Triebe (l. c. S. 110 ff.). Nach E. v. HARTMANN ist »Trieb« »nur eine materielle, molekulare Prädisposition zu bestimmtem Begehren« (Mod. Psychol. S. 197. Philos. d. Unbewußt. I10, 60 f., 220 ff.). Nach HÖFLER ist der Trieb eine Begehrungsdisposition oder auch deren Betätigung (Psychol. S. 512 f.). - Nach HÖFFDING entsteht ein Trieb, wenn das unwillkürliche Einleiten einer Bewegung durch ein Gefühl sich mit einer gewissen Vorstellung des Zweckes zu welchem sie führt, im Bewußtsein geltend macht (Psychol. S. 324). »In jedem Triebe ist eine gewisse Unruhe« (l. c. S. 325). Bewegung geht der Wahrnehmung voraus (l. c. S. 427, wie A. BAIN). Der Trieb umfaßt ein Gefühl und ein Bedürfnis der Tätigkeit (l. c. S. 442). Der Trieb ist ein Trachten nach dem Inhalt einer Vorstellung (l. c. S. 443). Ein von deutlichen Vorstellungen beherrschter Trieb ist Begehren (l. c. S. 325). Nach TH. ZIEGLER enthält der Trieb die Unlust des noch nicht bewältigten Reizes, das Streben, von dieser Unlust frei zu werden, angeborene Dispositionen zu den zielgemäßen Bewegungen, Vorstellungen früherer zweckmäßiger Bewegungen, die Bewegung selbst (Das Gef.2, S. 219). Nach EBBINGHAUS sind Triebe ein Wollen noch ohne Erfahrungen (Grdz. d. Psychol. I, 561). Nach H. SCHWARZ sind Triebe die Willensregungen, »zu denen wir in einem gegebenen Augenblicke tatsächlich keine Ziele vorstellen« (Psychol. d. Will. S. 182). Sie sind nicht angeboren, entspringen aus Akten des Gefallens und Mißfallens, haben keine intentionale Richtung aufs Objekt (ib., gegen die »nativistische Trieblehre«, S. 23 ff., 53 ff.). Nach GLOGAU ist der Trieb der »Ausdruck gewisser Spannungen und Bedürfnisse, welche, in dem Individuum ursprünglich gegründet, spontan sich regen und nun die Außenwelt ihnen gemäß umgestalten« (Abr. d. philos. Grundwiss. II, 164 ff., 49 ff.). Nach G. H. SCHNEIDER ist jeder zweckbewußte Trieb ein Wille (Der menschl. Wille S. 317). Es gibt Empfindungs-, Wahrnehmungs- , Vorstellungstriebe (l. c. S. 286 ff., 305 ff.). Nach KREIBIG sind Triebe »Willensregungen, bei welchen ein stark gefühlsbetonter Zweck mehr oder weniger unbestimmt vorgestellt wird und die Veranstaltung der Bewegung oder internen Aktion mit Einschluß der Wahl der Mittel bewußt ist« (Werttheor. S. 77). Es gibt: Selbsterhaltungs-, Arterhaltungstriebe und Triebe, bei welchen die Zwecke nicht durch ihren biologischen Nutzen, sondern durch gewisse anderweitige Gefühlsbetonung wirken (l. c. S. 78). Nach W. JERUSALEM ist der Trieb ein Streben mit genauer bestimmter Richtung. »Die Triebe sind physiologische und psychische Dispositionen, welche unter gewissen Bedingungen Bewegungen des Organismus zur Folge haben, die eine durch bestimmte Richtung zeigen« (Lehrb. d. Psychol.3, S. 188). - Als erste und elementarste Grundkraft der Seele betrachtet RÜMELIN den allgemeinen »Tätigkeits- oder Funktionstrieb«, »vermöge dessen alle in uns gelegten besonderen Anlagen und Kräfte einen Reiz und Druck ausüben, um in die ihrer Natur entsprechende Aktion versetzt zu werden« (Red. u. Aufs. II, 155). »Alle Organe wollen in Aktion treten« (l. c. S. 157). Zur Grundeigenschaft der Seele macht den Trieb (»appétit«) FOUILLÉE (S. Voluntarismus). Die Instinkte sind »idées-forces innées«, Verbindungen von »processus appétitifs et de réflexes mécaniques« (Psychol. d. id.-forc. II, 257). Nach KÜLPE ist der Trieb »eine Verschmelzung von Gefühlen und Organempfindungen..., in der die letzteren von mehr oder weniger bestimmt gerichteten, bloß vorgestellten oder schon ausgeführten willkürlichen Bewegungen herrühren« (Gr. d. Psychol. S. 333). - Nach G. SIMMEL geht der sogen. Trieb nicht der Handlung voraus, sondern er ist »die Bewußtseinsseite oder eine Folge der schon beginnenden Handlung« (Skizze ein. Willenstheor., Zeitschr. f. Psychol. 9. Bd., S. 209). - Nach WUNDT ist der Trieb »das um Bewußtsein vorhandene Streben, den zu einem gegebenen psychischen Zustand passenden physischen Zustand herbeizuführen«, eine »Gemütsbewegung, die sich in äußere Körperbewegungen von solcher Beschaffenheit umzusetzen strebt, die durch den Erfolg der Bewegung entweder ein vorhandenes Lustgefühl vergrößert oder ein vorhandenes Unlustgefühl beseitigt«. »Die Intensität des erregenden Gefühls begründet die Stärke, die Beschaffenheit desselben die Richtung des Triebes.« Die tierischen Triebe sind die frühesten Affektformen, die Affekte (s. d.) sind modifizierte Triebe. Der Trieb ist zuerst »ein Streben, welchem sein Ziel allmählich erst bewußt wird, indem es, nach Erfüllung ringend, äußere Eindrücke verarbeitet«. Aus den sinnlichen, als Anlagen ererbten Trieben gehen die höheren Triebe hervor. Es gibt Selbsterhaltungs- und Gattungstriebe (Grdz. d. physiol. Psychol. II4, 507 ff., 516 ff., 572, 593, 599 ff.. Vorles.2, S. 245, 415 ff.. Ess. II, S. 300). Der Trieb ist die ursprünglichste psychische Tätigkeit, der gemeinsame Ausgangspunkt des Vorstellens und Wollens (Grdz. d. phys. Psychol. II4, 640). Er ist Grundphänomen des psychischen Geschehens (Syst. d. Philos.2, S. 571 ff.). Triebhandlung ist »eine einfache, d.h. aus einem einzigen Motiv hervorgehende Willenshandlung« (Gr. d. Psychol.5, S. 223). Vgl. JODL, Lehrb. d. Psychol. II2, 57 ff.. W. JAMES, Princ. of Psychol.. KROMAN, Kurzgefaßte Log. u. Psychol., 1890, S. 302, 341. UNOLD, Grundz. S. 177 ff.. HELLPACH, Grenzwiss. d. Psychol. S. 9, 333. Vgl. Begehren, Streben, Instinkt, Wille, Mechanisierung, Voluntarismus, Bildungstrieb, Spiel.

 


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