Nach KANT ist Tugend »die moralische Stärke in Befolgung seiner Pflicht, die niemals zur Gewohnheit werden, sondern immer ganz neu und ursprünglich aus der Denkungsart hervorgehen soll« (Anthropol. I, §10a). »Tugend ist also die moralische Stärke des Willens eines Menschen in Befolgung seiner Pflicht, welche eine moralische Nötigung durch seine eigene gesetzgebende Vernunft ist, insofern diese sich zu einer das Gesetz ausführenden Gewalt selbst konstituiert« (WW. VII, 209. vgl. S. 183, 212). Die Tugend ist eine Fertigkeit des Willens. »Eine Mehrheit der Tugenden sich zu denken... ist nichts anderes, als sich verschiedene moralische Gegenstände denken, auf die der Wille aus dem einigen Prinzip der Tugend geleitet wird« (l. c. S. 210 ff.. Met. Anf. d. Tugendlehre 1797, S. 47 f., vgl. WW. IX, 506. vgl. Sittlichkeit, Rigorismus, Ethik). Nach SCHILLER ist die Tugend eine »Neigung der Pflicht«, ein freudiges Gehorchen gegenüber dem Sittengesetze (WW. XI, 240). Nach KRUG ist ethische Tugend »sittliche Vollkommenheit, wieferne sie sich durch gewissenhafte Pflichterfüllung bewährt. Gewissenhaft aber ist die Pflichterfüllung, wenn ihr aufrichtige und innige Achtung gegen das Gesetz zum Grunde liegt« (Handb. d. Philos. II, 280). Nach J. G. FICHTE besteht die Tugend »im Handeln für die Gemeine, wobei man sich selbst gänzlich vergesse« (Syst. d. Sittenl. S. 594). FR. SCHLEGEL setzt die Tugend in die Genialität. - Nach BIUNDE besteht die Tugend in einer »Festigkeit und Stärke des Willens« (Empir. Psychol. II, 491). Sie geht auf Realisation des höchsten Vernunftzweckes (l. c. S. 490. vgl. ELVENICH, Moralphilos. § 28 ff.). ESCHENMAYER erklärt: »Die Tugend ist der durch sich selbst potenzierte Wille oder das Gute im Guten« (Psychol. S. 384). Nach SCHLEIERMACHER ist die Tugend die »Kraft der Vernunft in der Natur« (Philos. Sittenlehre § 111). Sie ist die Sittlichkeit, welche dem einzelnen einwohnt (l. c. § 295), die Kraft, aus welcher die sittlichen Handlungen hervorgehen. Die vier Cardinaltugenden sind: Weisheit, als Gesinnung im Erkennen, Liebe, als Gesinnung im Darstellen, Besonnenheit, als Fertigkeit im Erkennen, Beharrlichkeit oder Tapferkeit, als Fertigkeit im Darstellen (l. c. § 296 ff.). CHR. KRAUSE erklärt: »Stetig und harmonisch in reinem, freien Willen zu leben, ist die Tugend des Geistes. Tugend ist Gesundheit und Blühen des ganzen geistigen Lebens« (Urb. d. Menschh.3, S. 52). Zu einem Tugendbund, zur Ausübung der Sittlichkeit, sollen sich die Menschen vereinigen (l. c. S. 171 ff.). Als sittliche Tüchtigkeit bestimmt die Tugend HEGEL. Sie ist nach K. ROSENKRANZ »die Tätigkeit für die Verwirklichung der Pflicht« (Syst. d. Wissensch. S. 461). »Der Begriff der Tugend unterscheidet sich nach der Differenz des Inhaltes, in welchem die Selbst- und Socialpflicht die Verwirklichung ihres Begriffes vollbringen. Dieser Inhalt ist die natürliche Individualität als das Organ des Geistes, die Intelligenz und der Wille selbst. Die Tugend ist demnach 1) die physische, 2) die intellektuelle und 3) die praktische«. »Laster nennen wir die habituell gewordene, mit Bewußtsein gepflegte Untugend« (l. c. S. 462 f.). Die Tugend ist »nichts Ruhendes, sondern in ihrer Existenz wesentlich Prozess. Ihr Werden ist jedoch nicht, wie das der Natur, ein von selbst erfolgendes, sondern durch die Kraft der Selbstbestimmung vermitteltes« (Begriff der »Askese«. 1. e. S. 463. »moralische Technik«: S. 464). Nach MARHEINEKE ist Tugend »wesentliches Verhalten zu und nach dem Gesetz« (Syst. d. theol. Moral 1847, S. 182). G. BIEDERMANN erklärt: »Pflicht... nicht bloß aus Pflicht, sondern aus freiem Willen tun, heißt Tugendhaftigkeit« (Philos. als Begriffswissensch. I, 324). Nach HERBART kommt in der Tugend zur Gesamtheit der praktischen Ideen (ß. d.) die Einheit der Person hinzu. Tugend ist »die in einer Person zur beharrlichen Wirklichkeit gediehene Idee der innern Freiheit« (Umr. pädagog. Vorles. I, C. 1, § 8). »Das Ideal der Tugend beruht auf der Einheit der Person, welche von der Beurteilung nach allen praktischen Ideen zugleich getroffen wird, während sie durch den mannigfaltigen Wechsel des Tuns und Leidens hindurchgehen muß« (Lehrb. zur Einl.5, S. 157). Nach BENEKE ist die Tugend »die mit der moralischen Norm (der allgemeingültigen Verschätzung) einstimmige Ausbildung des innern Seelenseins« (Sittenl. I, 381). Die allgemeinste Tugend ist die objektiv-wahre, allgemeingültige Wertschätzung (l. c. S. 391). Nach SCHOPENHAUER ist Tugend »durch Erkenntnis des innern Wesens des Willens in seiner Erscheinung, der Welt, motivierte Wendung, Hemmung des an sich heftigen Willens« (Neue Paralipom. § 121). Erste Cardinaltugend ist die Gerechtigkeit (Grundl. d. Moral, § 18). - Nach TRENDELENBURG sind Tugenden »Tätigkeiten, welche die einzelnen im Sinne der sittlichen Idee Üben« (Naturrecht, S. 67). Nach ÜBERWEG ist die Tugend »die der sittlichen Aufgabe gemäße Gesinnung oder die sittliche Tüchtigkeit des Willens« (Welt u. Lebensansch. S. 437).
Nach E. LAAS sind Tugenden Charaktereigenschaften im Sinne des social Nützlichen (Ideal. u. Posit. II, 270 ff.). So auch GIZYCKY (Moralphilos. S. 5 ff.). Tugend ist »eine Geneigtheit, pflichtmäßig zu handeln« (l. c. S. 154), »Trefflichkeit des Willens« (l. c. S. 161 ff.). Nach LIPPS ist Tugend »Tüchtigkeit, innere Lebenskraft« (Eth. Grundfr. S. 133). Nach PAULSEN sind Tugenden »habituelle Willensrichtungen und Verhaltungsweisen, welche die Wohlfahrt des Eigenlebens und des Gesamtlebens zu fördern tendieren« (Syst. d. Eth. II5, 3). Laster sind »abnorm entwickelte, im Sinne der Zerstörung des Eigenlebens und der Umgebung wirkende Willenskräfte« (l. c. S. 6). Es gibt individualistische und soziale Tugenden (l. c. S. 9). Nach TÖNNIES besteht die Tugend in dauernden Eigenschaften des Wesenswillens als Vorzügen. Allgemeine Tugend ist Energie, Tatkraft (Gem. u. Gef. S. 120. vgl. damit den Tugendbegriff NIETZSCHE S, der als tugendhaft den auf Erhöhung der »Macht«, des Lebenswillens, der Kraft gerichteten Willen wertet. s. Ethik, Sittlichkeit, Wert). Nach P. NATORP existiert eine sittliche Welt nur für eine Gemeinschaftlichkeit der Willen, aber das Wollen des Guten bleibt individuell (Socialpäd. S. 83 f.). Tugend ist »die Sittlichkeit des Individuums«. Die Tugenden sind deren einzelne Seiten, Richtungen, Kardinaltugenden aber »die ursprünglich zu unterscheidenden Seiten« (l. c. S. 86). Tugend ist »die rechte, ihrem eigenen Gesetz gemäße Beschaffenheit menschlicher Tätigkeit« (ib.). Alle Unsittlichkeit läuft auf einen Selbstwiderspruch des Willens hinaus (l. c. S. 114). Individuelle Tugenden: 1) Tugend der Vernunft = Wahrheit. 2) Tugend des Willens = Tapferkeit oder sittliche Tatkraft. 3) Tugend des Trieblebens = Reinheit oder Maß (l. c. S. 91 ff.). 4) Gerechtigkeit (l. c. S. 118 ff.). Die soziale Tugend besteht im normalen Verhältnis der drei Grundfaktoren der wirtschaftlichen, regierenden, bildenden Tätigkeit (l. c. S. 160 ff., 178 ff.). Nach WUNDT ist Tugend die Ausübung der Pflicht als bleibende Eigenschaft (Eth.2, S. 555). Nach C. STANGE ist Tugend ein einfaches Wertprädikat, kein Normbegriff. es bezeichnet »eine bestimmte Beschaffenheit, auf welche das ethische Wertprädikat angewendet wird und in welcher die sittliche Norm ihre Verwirklichung findet«. Das tugendhafte Handeln ist »daß zur Gewöhnung gewordene pflichtmäßige Handeln« (Einl. in d. Eth. II, 35 ff.). Nach H. CORNELIUS ist es unsere Pflicht, »unser Wollen durch die Vernunft leiten zu lassen oder uns konsequent zu verhalten« (Einl. in d. Philos. S. 348). P. RÉE bemerkt: »Eine Gesinnung ist tugendhaft, bedeutet: sie ist löblich, soll gehegt werden. Jede Kulturstufe prägt zu Tugenden die Gesinnungen, deren sie bedarf« (Philos. S. 53). Vgl. Pflicht, Sittlichkeit. Tugendbund s. Tugend (CHR. KRAUSE).