Vernunft - Locke, Leibniz, Hume
LOCKE erklärt: »Das Wort reason hat im Englischen verschiedene Bedeutungen. manchmal bezeichnet es die wahren und klaren Grundsätze, manchmal die klaren und treffenden Folgerungen aus diesen Grundsätzen. manchmal bedeutet es den Grund, und insbesondere den Endgrund oder Zweck.« Er selbst versteht darunter in der Regel »das Vermögen, wodurch sich der Mensch angenommenermaßen vom Tiere unterscheidet und es offenbar erheblich Übertrifft« (Ess. IV, ch. 17, § 1). Vernunft ist das Vermögen des Geistes, welches die Mittel auffindet, sie richtig benutzt, um Gewißheit und Wahrheit zu finden. »Denn die Vernunft erkennt die notwendige und unzweifelhafte Verbindung aller Vorstellungen und Grunde untereinander bei jedem Sehritt eines Beweises, der ein Wissen hervorbringt« (l. c. § 2). Vier Operationen übt die Vernunft aus,: »Die erste und höchste entdeckt und findet die Wahrheit. die zweite stellt sie regelrecht und ordnungsmäßig zusammen, um durch diese klare und passende Anordnung deren Verbindung und Kraft leichter und vollständiger erkennbar zu machen. die dritte erfaßt diese Verbindungen und die vierte Zieht den richtigen Schluß« (l. c. § 3). HUME betrachtet die »reason« (Denkkraft) als einen wunderbaren »Instinkt unserer Seele, der uns in einer Vorstellungsreihe von Vorstellung zu Vorstellung weiterleitet und diese Vorstellungen mit bestimmten Eigenschaften ausstattet« (Treat. III, sct. 16, S. 240). Nach REID entwickelt die Vernunft (als »common sense«) ursprüngliche, selbst-evidente Urteile. aus diesen zieht sie Folgerungen. »We ascribe to reason two offices, or two degrees. The first is to judge of things self-evident. the second to draw conclusions that are not selfevident, from those that are. The first of these is the province, and the sole province of common sense. and therefore it coincides with reason in it whole extent« (Ess. on the powers II, 190). - CONDILLAC bestimmt: »La mesure de reflxion que nous avons au delà de nos habitudes, est ce que constitue notre raison« (Trait. des anim. II, 5).
Nach BECHNER hat die Vernunft es »nur mit natürlichen«, der Verstand »mit übernatürlichen Dingen« zu tun (Psychosophie 1683, S. 13). - Nach LEIBNIZ ist die Vernunft »la faculté de raisonner« (Nouv. Ess. IV, 17, § 4), die Fähigkeit der Einsicht in den Zusammenhang von Wahrheiten, »la faculté, qui s'aperçoit de cette liaison des vérités« (Gerh. V, 456 f.. Erdm. 393 b). Sie ist »connaissance des vérités nécessaires et éternelles« (Monadol. 29), des »enchaîement des vérités« (vgl. Erdm. p. 393, 479). Reine Vernunft (»ratio pura«, »raison pure«, »entendement pure«, Erdm. p. 229 a, 230 b, 778 b) ist die Fähigkeit absolut deutlicher (s. d.) Erkenntnis. - Nach CHR. WOLF ist die »ratio« »facultas, nexum veritatum universalium perspiciendi« (Psychol. empir. § 275, 483). »Ratio pura est, si in ratiocinando non admittimus nisi definitiones a priori cognitas« (l. c. § 495. vgl. damit Kants Lehre). Nach BILFINGER ist die Vernunft »facultas cognoscendi nexum rerum et veritatum« (Dilucid. § 276). ähnlich BAUMGARTEN u. a. Nach G. F. MEIER ist Vernunft das »Vermögen, den Zusammenhang unserer Vorstellungen und ihrer Gegenstände deutlich zu erkennen« (Met. III, 265). H. S. REIMARUS versteht unter Vernunft »die Kraft, nach den Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs über die vorgestellten Dinge zu reflektieren« (Vernunftlehre, § 15). Nach FEDER ist Vernunft (im engeren Sinne) »das Vermögen zu schließen oder versteckte Verhältnisse durch Hülfe mittlerer Begriffe zu entdecken« (Logik u. Met. S, 39). Nach GARVE bringt die Vernunft die Ideen in Verbindung und erbaut sich daraus das System ihrer Grundsätze und Regeln. Die Empfindungen sind der »Stoff«, welchen Phantasie, Verstand, Vernunft bearbeiten (Samml. ein. Abhandl. I, 5). PLATNER bestimmt: »Die Wirkungen der Vernunft sind 1) die Absonderung der Begriffe. 2) die Sprachfähigkeit. 3) das Urteil und der Schluß. 4) die Denkart der Wahrscheinlichkeit. 6) Überzeugung und Zweifel« (Philos. Aphor. I, § 484). Das innere Wesen der Vernunft ist enthalten in dem »der Seele eingepflanzten System der ewigen Gesetze der Wahrheit« und in der Besonnenheit (l. c. § 485 ff.). Vernunft ist das Erkenntnisvermögen, »wiefern es Vorstellungen verbindet in Urteile, Urteile in Schlüsse« (Log. u. Met. S. 83). - Nach HAMANN ist Vernunft Sprache (s. d.) (Schrift. VI, 365).