Kausalität - Nietzsche, Comte, Mach
Biologisch begründet wird das Kausalprinzip von KROMAN, nämlich aus dem Selbsterhaltungstriebe, der den Menschen nötigt, die Welt, mit der er zu kämpfen hat, zu begreifen (Unsere Naturerk. 1883). L. STEIN bemerkt: »Zeit, Zahl, Raum, Kausalität... sind nichts anderes als das Alphabet, welches sich der Mensch im Kampfe ums Dasein als Schutzmaßregeln gebildet hat, um erfolgreich im Buche der Natur lesen zu können« (An d. Wende d. Jahrh. S. 6). NIETZSCHE erblickt den Ursprung des Kausalbegriffs wie den aller Kategorien (s. d.) in der Nützlichkeit der causalen Auffassung für das Leben (WW. XV, 268). Diese Auffassung ist durchaus anthropomorph, metaphorisch, ein »Grundirrtum« primitiver Vernunft und Sprache (WW. VIII, 2, 5, S. 80). Wir meinen uns selbst als Täter, als Ursache von Vorgängen zu finden (l.c. S. 93). Die einzige Kausalität, die uns unmittelbar bewußt wird, ist die zwischen Wollen und Tun gesetzte, »diese übertragen wir auf alle Dinge und denken uns das Verhältnis von zwei immer beisammen befindlichen Veränderungen« analog. »Die Absicht oder das Wollen ergibt die Nomina, das Tun die Verba« (WW. X, S. 192 f.). »Einen Reiz als Tätigkeit zu empfinden, etwas Passives activ zu empfinden, ist die erste Kausalitätsempfindung. Der innere Zusammenhang von Sinnes-Reiz und -Tätigkeit, übertragen auf alle Dinge, ist Kausalität. An unseren Sinnespunktionen denken wir uns die Welt, das heißt: wir setzen überall eine Kausalität voraus, weil wir selbst solche Veränderungen fortwährend erleben« (WW. X, S. 193). Aber das ist keine wirkliche Erfahrung von einer Ursächlichkeit. »Wir haben ein Gefühl von Kraft, Anspannung, Widerstand, ein Muskelgefühl, das schon der Beginn der Handlung ist, als Ursache mißverstanden...« (WW. XV, 298). Alle »geistige Ursächlichkeit« ist eine Fiktion (WW. XV, Anh. III, 7, S. 513). Nicht wir sind tätig, sondern es wirkt in uns (WW. VIII, 2, S. 94 f.). Der Begriff der Ursache hat etwas »Fetischistisches« an sich. Man soll Ursache und Wirkung nicht verdinglichen, sondern als reine Begriffe, d.h. als »conventionelle Fictionen« zum Zwecke der Verständigung gebrauchen. Unabhängig von uns gibt es keine selbständigen Ursachen, keinen Zwang, kein Gesetz, wir dichten dies alles nur in die Welt hinein (WW. VII, 1, 21). Es gibt keine Zweiheit von Ursache und Wirkung, das sind von uns isolierte, fixierte Teile des Weltgeschehens; an sich besteht ein kontinuierlicher Fluß des Geschehens (WW. V, 109).
In Konsequenz des Gedankens, daß der Kausalbegriff einen mythischen, metaphysischen Ursprung habe, fordert man auch die »Eliminierung« dieses Begriffs bezw. dessen Reducierung auf den Begriff bloßer functioneller »Abhängigkeit« eines Vorgangs von einem anderen; diese Abhängigkeit wird im Sinne eines mathematisch-logischen Funktionsverhältnisses genommen, soll nichts Hypothetisches, Überempirisches enthalten, sondern nur reine Erfahrungen ordnen, aufeinander beziehen. Schon CLAUDE BERNARD fordert: »L'obscure notion de cause doit être reportée à l'origine des choses: elle n'a de sens que celui de cause première ou de cause finale; elle doit faire place, dans la science, à la notion de rapport ou de condition« (Leçons sur les phénom. de la vie II, p. 396 f.). Ähnlich auch COMTE; dann R. MAYER, KIRCHHOFF, H. HERTZ, ferner R. AVENARIUS und seine Schüler, besonders J. PETZOLDT, der an Stelle des Kausalprinzips das »Gesetz der Eindeutigkeit« setzt. Endlich E. MACH, nach welchem die Begriffe Ursache und Wille »einen starken Zug von Fetischismus« haben (Populärwiss. Vorles. S. 269; Princ. d. Wärmelehre2, S. 433). Sie stammen von »animistischen Vorstellungen« ab, sind anthropomorph. Der Begriff der Ursächlichkeit muß durch den »Funktionsbegriff« ersetzt werden, durch den Begriff der »Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander, genauer: Abhängigkeit der Merkmale der Erscheinungen voneinander«, und zwar im rein logischen Sinne (Populärwiss. Vorles. S. 269). Eine eigene psychische Kausalität besteht nicht (Anal. d. Empfind.4, S. 132). Nach OSTWALD ist die Kausalität ein praktisches Ergebnis unserer Bemühungen, unsere Erfahrungen zu beherrschen und zu ordnen (Vorles. üb. Naturphil.2, S. 296). Ursache für ein physisches Geschehen ist immer eine Energie (ib.). P. VOLKMANN will die Kausalität durch »reale Notwendigkeit« ersetzen (Erk. Gr. d. Naturw. S. 155). Nach CLIFFORD hat das Wort »Ursache« »keinen berechtigten Platz auf dem Gebiete der Wissenschaft und der Philosophie« (Üb. d. Nat. d. Dinge an sich S. 34 f.). R. GOLDSCHEID faßt die Kausalität als »durchgängige wechselseitige Abhängigkeit aller Empfindungen« auf. Es gibt nur eine Kausalität, die psychophysische, keine rein psychische (Eth. d. Gesamtwill. I, 20). Gegen die Reduktion der Kausalität auf bloße Functionalität erklärt sich STUMPF (Leib u. Seele S. 34). Vgl. Gesetz, Ursache, Wirken, Wechselwirkung, Grund.