Denken - Parmenides, Platon, Aristoteles


Das Denken wird ferner als geistige, von der sinnlichen Wahrnehmung verschiedene, auf das Allgemeine, Seiende, Wahre gehende Tätigkeit bestimmt. ALKMAEON soll im Denken ein ausschließliches Kennzeichen des Menschen erblickt haben (hoti monos xyniêsi, Theophr., De sens. 25). HERAKLIT lehrt, die vernünftige Denkkraft (s. Vernunft) sei allen gemeinsam (xynon esti pasi to phronein, Fr. 91; Stob. Floril. III, 84: Sext. Emp. adv. Math. VII, 133). Er, wie die Eleaten und wie DEMOKRIT, betont, daß die Wahrheit nur durch denkende Verarbeitung des Wahrnehmungsinhaltes erlangt werde. PARMENIDES lehrt die Identität (s. d.) von Denken und Sein. PLATO betrachtet das Denken als rein geistige Seelenfunction, die Seele denkt das Allgemeine durch sich selbst, ohne ein Organ (autê di' hautês hê psychê ta koina moi phainetai peri pantôn episkopein, Theaet. 185 E). Das Denken ist ein inneres, stilles Sprechen der Seele mit sich selbst. Plato nennt das Denken ein logon hon autê pros hautên hê psychê diexerchetai peri hôn an skopê... touto gar moi indalletai dianooumenê ouk allo ti ê dialegesthai, autê heautên erôtôsa kai apokrinomenê, kai phaskousa kai ou phaskousa... ou mentoi pros allon oude phônê, alla sigê pros hauton (Theaet. 189 E). Man vergleiche damit die Ansicht PRANTLS, Denken und Sprechen seien dem Wesen nach eins, ferner die Behauptung von L. GEIGER, unser heutiges Denken sei nur ein »leises Sprechen, ein Sprechen mit oder in uns selber« (Urspr. u. Entwickl. d. m. Spr. I, 12, 59; vgl. Sprache). Und LAZARUS: »Alles Denken ist entweder ein Dialog oder ein Monolog, denn das Wort, hörbar oder unhörbar, ist für das Denken die unablösliche Form, die unzertrennliche Gestalt, die unentrinnbare Fessel seines Inhalts« (Leben d. Seele II2, 3). - ARISTOTELES unterscheidet das Denken vom sinnlichen Wahrnehmen (noein... heteron tou aisthanesthai, De anim. III 3, 427 b 27). Aber ohne anschauliche Grundlage kann man nicht denken (oudepote noei aneu phantasmatos hê psychê, De an. III 7, 431 a 16; hotan te theôrê, anankê hama phantasmati theôrein, De an. 432 a 8). Das Denken geht aufs Allgemeine, Constante, auf die »Form«, das Wesen (hê d' epistêmê tôn katholou; tauta d' en autê pôs esti tê psychê; dio noêsai men ep' autô, hopotan boulêtai (De an. II 5, 417 b 22 squ.). Indem das Denken die »Formen« der Dinge begrifflich erfaßt, bewußt macht, wird es gleichsam mit diesen Formen eins, formt es sich selber (vgl. SIEBECK, Aristot. S. 80). Nur den vernünftigen Wesen eignet das Denken (dianoesthai... oudeni hyparchei hô mê kai logos, De an. III 3, 427 b 14). Gott ist reines Denken, Denken seiner selbst (noêsis noêseôs, Met. XII 9, 1074 b 34). THEOPHRAST (Simpl. Phys. Fol. 225 a) und STRATO sehen im Denken eine (geistige) Bewegung. Den Wert des Denkens betonen die Stoiker (Diog. L. VII, 83). PLOTIN unterscheidet vom Denken das Bewußtsein des Denkens (Enn. IV, 3, 30). Das Denken ist ein Product des Strebens (Enn. V, 6, 5). Das Eine, Göttliche bedarf nicht des Denkens (ib.).

GREGOR VON NYSSA bestimmt das Denken (dianoia) als Betätigung des Geistes. AUGUSTINUS erklärt (ähnlich wie VARRO): »cum in unum coguntur, ab ipso coactu cogitatio dicitur« (De trin. XI, 3, 6). Das Denken ist ein inneres Sprechen. »Formata cogitatio ab ea re quam scimus, verbum est, quod in corde dicimus quod nec Graecum est, nec Latinum« (l.c. XV, 10). Die Scholastiker stellen die »vis cogitativa« dem Wahrnehmen gegenüber, als »virtus, distinguere intentiones individuales et comparare eas ad invicem« (THOMAS, Cont gent. II, 60). Das Denken ist also unterscheidende und vergleichende Tätigkeit, es abstrahiert die geistigen »Formen« (species, s. d.) der Objekte und bringt sie in begriffliche Beziehungen. THOMAS sieht im Denken die unmittelbare, organlose Seelenfunktion (De ver. 15, 2). »Intelligere est operatio animae humanae, secundum quod superexcedit proportionem materiae corporalis et ideo non fit per aliquod organum corporale« (De spir. creat. art. 2). Das »cogitare« ist ein »considerare rem secundum partes et proprietates suas, unde cogitare dicitur quasi coagitare« (1 sent. 3, 4, 5 c). Wir können nur an der Hand von Anschauungen denken: »Intellectus noster secundum statum praesentem nihil intelligit sine phantasmate« (Cont. gent. III, 41). Objekt des Denkens ist das Wesen, das »quod quid est« der Dinge, das Allgemeine (Sum. th. II, 8, 1). So sagt auch DUNS SCOTUS: »Proprium obiectum intellectus est universale, sicut singulare est obiectum sensus« (Quaest. univ. 13, 2, 15). Das Allgemeine (s. d.) wird durch die »species intelligibiles« (s. d.) erkannt.


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