[Nervöse Schlaflosigkeit]

Anhang: Über Schlafstellungen


So belehrt uns die individualpsychologische Forschungsmethode, daß auch die Phänomene des Schlafzustandes der individuellen Leitlinie angepaßt sind und, solange sie im Aberglauben der Menschheit nur als Wirkungen bindender Ursachen gelten, der Willkür und der Verantwortung nahezu völlig entzogen bleiben. Wir haben uns überzeugt, daß die tatsächlichen, realen Grundlagen der Traumbildung und Schlafbereitschaft niemals in physiologisch unverfälschter Art sich durchsetzen, sondern daß sie immer von der Tendenz des Individuums erfaßt und zugunsten seiner individuellen Expansions­tendenz, seines Lebensstils verwendet und ausgebaut werden. Eine vorsichtige und auf großes Material gestützte Untersuchung wird ergeben, daß auch die Schlafstellung eines Menschen von seiner Leitlinie zeugt. Einige Hinweise habe ich in folgendem eingetragen. Es gelingt meist, einem Menschen, den man individualpsychologisch erfaßt hat, seine Schlafstellung zu nennen. Folgende Beispiele, zu deren Vermehrung ich Psychiater, Neurologen und Pädagogen wärmstens einlade, mögen eine kleine Ergänzung bedeuten.

I. K. F., 16 Jahre alt, Lehrjunge, erkrankt an halluzinatorischer Verwirrtheit. Eine Beobachtung seiner Schlafstellung ergibt, daß er in sonderbar herausfordernder Haltung in Seitenlage mit verschränkten Armen schläft. Auch tagsüber treffe ich ihn öfters mit verschränkten Armen an. Der seelische Status ergibt vollständige Unzufriedenheit mit seinem Beruf. Wollte Lehrer werden oder Pilot. Auf die Frage, ob er wisse, wie er zur Gewohnheit der verschränkten Arme komme, erklärt er mit Bestimmtheit, so sei immer sein Lieblingslehrer auf- und abgegangen. Der habe ihn auch auf die Idee gebracht, Lehrer zu werden, ein Plan, den er infolge der Armut seiner Eltern wieder aufgeben mußte. —

Seine Schlafstellung kennzeichnet demnach deutlich seinen Widerspruch zu seiner gegenwärtigen Stellung und stellt eine Imitation Napoleons dar, auf dem Umwege über die Imitation eines Lehrers von gleichem seelischen Gefüge. Die Wahnidee des jungen Kellners war, daß er zum Feldherrn gegen Rußland auserkoren sei, eine Idee, der sich ein Jahr später auch andere Lehrlinge anschlossen.

II. S., leidet an progressiver Paralyse, schläft etwas zusammengekauert, bis über den Kopf zugedeckt. Aus der Krankengeschichte entnehme ich unter anderem: »Keine Größenideen, apathisch, ratlos, ohne Initiative.«

Zum Schlusse will ich auf Grund einiger sicherer Beobachtungen bezüglich der Schlafstellungen von Kindern darauf hinweisen, wie groß die Bedeutung ihres Verständnisses für die Pädagogik werden könnte.


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