2. Der Zwang zur Gemeinschaft.


Die Forderungen des gemeinschaftlichen Lebens sind eigentlich genau so selbstverständlich wie jene Forderungen, die etwa Witterungseinflüsse an den Menschen stellen, Forderungen des Kälteschutzes, des Wohnungsbaues u. dgl. Wir erblicken den Zwang zur Gemeinschaft — wenn auch noch in einer unverstandenen Form — auch in der Religion, wo die Heiligung von gesellschaftlichen Formen an Stelle des verstehenden Gedankens als Bindemittel der Gemeinschaft dient. Sind die Lebensbedingungen im ersten Fall kosmisch, so sind sie im letzteren Fall sozial bedingt, bedingt durch das Zusammenleben der Menschen und die sich daraus von selbst ergebenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Die Forderungen der Gemeinschaft haben die Beziehungen der Menschen geregelt, die schon ursprünglich als selbstverständlich, als »absolute Wahrheit« bestanden haben. Denn vor dem Einzelleben der Menschen war die Gemeinschaft. Es gibt in der Geschichte der menschlichen Kultur keine Lebensform, die nicht als gesellschaftlich geführt worden wäre. Nirgends sind Menschen anders als in Gesellschaft aufgetreten. Diese Erscheinung ist leicht erklärlich. Durch das ganze Tierreich geht das Gesetz, der Grundzug, daß jene Gattungen, die sich der Natur gegenüber nicht in besonders hohem Grade gewachsen zeigen, durch Zusammenschluß erst neue Kräfte sammeln und dann in neuer, eigenartiger Weise nach außen wirken. Auch der Menschheit dient zu diesem Zweck der Zusammenschluß, und so kam es, daß das seelische Organ des Menschen ganz durchdrungen war von den Bedingungen eines Lebens in der Gemeinschaft. Schon Darwin weist darauf hin, daß man nie schwächliche Tiere findet, die allein leben. Und hierher muß man ganz besonders auch den Menschen rechnen, denn er ist nicht stark genug, um allein leben zu können. Er kann der Natur nur geringen Widerstand bieten, er bedarf einer größeren Menge von Hilfsmitteln, um sein Dasein zu führen, um sich zu erhalten. Man braucht sich nur die Lage eines Menschen vorzustellen, der sich allein und ohne Hilfsmittel der Kultur in einem Urwald befände. Er würde ungleich bedrohter erscheinen als jedes andere Lebewesen. Er hat nicht die Schnelligkeit der Beine, verfügt nicht über die Muskelkraft der starken Tiere, er hat nicht die Zähne des Raubtiers, nicht die Feinhörigkeit und die scharfen Augen, um sich in solchem Kampfe zu behaupten. Es bedarf für ihn eines ungeheuren Aufwandes, um seine Daseinsberechtigung erst sicherzustellen und ihn vor dem Zugrundegehen zu bewahren. Seine Nahrung ist eigenartig und seine Lebensweise bedarf eines ganz intensiven Schutzes.

Nun ist es begreiflich, daß sich der Mensch nur erhalten konnte, wenn er sich unter besonders günstige Bedingungen stellte. Diese hat ihm aber erst das Gruppenleben verschafft, das sich als eine Notwendigkeit erwies, weil nur das Zusammenleben den Menschen ermöglichte, in einer Art Arbeitsteilung Aufgaben zu bewältigen, bei denen der Einzelne unterliegen mußte. Nur die Arbeitsteilung war imstande, dem Menschen Angriffs- und Verteidigungswaffen und überhaupt alle Güter zu verschaffen, die er brauchte, um sich zu behaupten, die wir heute unter dem Begriff der Kultur zusammenfassen. Wenn man nun bedenkt, unter welchen Schwierigkeiten Kinder geboren werden, wie hier ganz besondere Aufwendungen notwendig werden, die der Einzelne vielleicht nicht einmal unter den größten Mühen leisten könnte und die eben nur bei Vorhandensein einer Arbeitsteilung herbeigeschafft werden können, wenn man sich vorstellt, welchem Übermaß von Krankheiten und Gebrechen ein menschliches Wesen besonders im Säuglingsalter ausgesetzt ist — mehr als dies im Tierreich der Fall ist —, dann hat man ungefähr einen Begriff von dem ungeheuren Maß an Obsorge, die zu treffen war, um den Bestand der menschlichen Gesellschaft zu sichern, und fühlt deutlich die Notwendigkeit dieses Zusammenhanges.


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