§ 11. Bacons philosophische Bedeutung
Die wesentliche Stellung und Bedeutung Bacons in der Geschichte der Wissenschaft der neuern Zeit ist im allgemeinen die, daß er die Erfahrung, die früher nur Sache des Zufalls war, ohne Unterstützung von oben herab, von den obersten Behörden der Geschichte und des Denkens, nur von der zufälligen Partikularität und Neigung einzelner abhing, zu einer unerläßlichen Notwendigkeit, zur Sache der Philosophie, zum Prinzip selbst der Wissenschaft machte. Bestimmter ist aber seine Bedeutung die, daß er namentlich die Naturwissenschaft auf die Erfahrung gründete, somit an die Stelle der frühern phantastischen27) oder scholastischen Betrachtungsweise der Natur eine objektive, rein physische Anschauung derselben setzte. Denn wenngleich Bacon das ganze Gebiet der Wissenschaften mit enzyklopädischem, die Gesamtmasse aller zu seiner Zeit vorhandenen Kenntnisse überschauendem Geiste umfaßte und auf eine eigene geistreiche Weise ordnete und bestimmte, mit trefflichen Anweisungen, Gedanken und Bemerkungen bereicherte, die noch unbebauten Gegenden des Wissens bezeichnete, so besondere Zweige von Wissenschaften entdeckte und zu ihrer Kultur die Geister aufmunterte und anregte, wenn er gleich der Naturwissenschaft innerhalb des Ganzen der Wissenschaften eine besondere Stelle anwies, so stand doch auf dem großen Terrain der Wissenschaften, das er mit dem Überblick eines Befehlshabers aufnahm und beschaute, das Zentrum seiner Gedanken und Bestrebungen einzig und allein in der Richtung auf die Naturwissenschaft, so war doch das wesentliche Ziel, Objekt und Interesse seines Geistes eine mittelst der Erfahrung aus der Quelle der Natur selbst geschöpfte, durch keine fremden, seien sie nun logische, theologische oder mathematische, Ingredienzen getrübte Naturwissenschaft. Die historische Bedeutung Bacons also ist, daß er ganz im Unterschiede von der frühern Zeit, wo der Geist, auf übersinnliche und theologische Gegenstände gerichtet, kein reines Interesse an der Natur hatte, das Studium derselben daher vernachlässigt und verfälscht, eine partikuläre Nebenbeschäftigung war, die auf die Erfahrung gegründete Naturwissenschaft zum Studium aller Studien, zum Prinzipe selbst, zur Mutter der Wissenschaften machte.28) So groß aber auch der Umfang seiner Versuche und Andeutungen, seiner Beobachtungen und Kenntnisse auf dem Gebiete der Naturwissenschaft ist, so ist doch dieses nur das Wesen von ihm, daß er eine Methode, ein Organon, eine Logik der Erfahrung gab, eine bestimmte Anweisung zu sicherer und erfolgreicher Erfahrung, daß er das blinde Erfahren und Herumtappen im Felde des Besondern zu einer auf logischen Gesetzen und Regeln beruhenden Experimentierkunst zu erheben und so gleichsam der bisher ungelenkigen, zur Erfahrung ungeschickten und ungeübten Menschheit die Werkzeuge derselben in die Hand zu geben sich bestrebte. Von einem Inhalte Bacons kann man daher in dieser Rücksicht, strenggenommen, nicht sprechen, als seinen Inhalt könnte man alle physikalischen Experimente und Entdeckungen der neuern Zeit, selbst wenn sich auch keine bestimmten Andeutungen darauf in ihm finden sollten, ansehen; sein Wesen liegt nur in der Methode, in der Art und Weise, die Natur zu betrachten und zu behandeln, in der Hinweisung auf die Erfahrung. Bacon war deswegen jedoch nichts weniger als ein Empiriker im gewöhnlichen Sinn, geschweige ein gegen das Tiefere, gegen die Philosophie negativer Empiriker. Bestimmte er gleich, und zwar mit vollem Rechte, auf dem Gebiete der Natur die Erfahrung, die nach ihm übrigens die innigste Verbindung von Denken und sinnlicher Wahrnehmung29 ist, als die einzige Quelle der Erkenntnis, bewirkte er gleich in der Folge und bezweckte er selbst zunächst nur Empirie und konnte er auch bei der Zerstreutheit seines Lebens und Wesens nicht die Muße haben, die einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen und Versuche zu Erkenntnissen zu erheben, so war ihm doch die Empirie nur Mittel, nicht Zweck, nur der Anfang, nicht das Resultat, welches vielmehr nur die Philosophie oder philosophische Erkenntnis sein sollte; so bestimmte er doch als das Ziel und Objekt der Naturwissenschaft die Erkenntnis »der ewigen und unveränderlichen Formen der Dinge« und beherrschte ihn daher in dem, was er als das Objekt der Naturwissenschaft, und in der Weise, wie er es bestimmte ein echt philosophischer Gedanke, der freilich bei ihm nur ein so hingestellter, nicht zur Ausführung und Verwirklichung gebrachter Gedanke blieb. Das Objekt und Ziel des Wissens und der Erfahrung nämlich ist nach ihm die Erkenntnis der Formen der Dinge. Die Form eines Dinges ist aber nach ihm das Allgemeine, die Gattung, die Idee eines Dinges aber nicht eine leere, vage Idee, ein schlechtes, ein formelles Allgemeines, eine unbestimmte, abgezogene Gattung, sondern ein solches Allgemeines, welches, wie er sagt, der fons emanationis, die natura naturans, das Prinzip der besondern Bestimmungen eines Dinges, die Quelle, aus der seine wahre Differenz, seine Beschaffenheiten entspringen, das Erkenntnisprinzip also des Besondern ist, kurz, ein Allgemeines, eine Idee, die zugleich materiell bestimmt, nicht über und außer der Natur, sondern der Natur immanent ist. So ist z.B. nach Bacon der Begriff, die Idee, die Gattung der Wärme die Bewegung; die Bestimmung aber oder Differenz, die die Bewegung zur Wärme macht, ist die, daß sie eine expansive Bewegung ist, im Unterschiede von den übrigen Arten der Bewegung.
Bacon war daher frei von jenem Scholestizismus, jener Spitzfindigkeit der Empirie, die vom Besonderen immer wieder nur ins Besondere sich hineinwühlt, ins Unendliche fort rastlos nur distinguiert, subtilisiert und spezifiziert, in der Irre uns herumführt, aus der Natur ein Labyrinth ohne Ausgang macht, vor lauter Bäumen uns nicht den Wald in ihr sehen läßt. Denn wie nach ihm nur das Allgemeine das wahre Allgemeine ist, welches so in sich bestimmt, differenziert und materialisiert ist, daß es das Erkenntnisprinzip des Besonderen und Einzelnen enthält, so ist ihm auch nur das Besondere das wahre Besondere, welches Licht und Erkenntnis gewährt, welches von der Vielfachheit zur Einfachheit, von der Mannigfaltigkeit zur Einheit hinaufführt, durch und aus sich das Allgemeine erkennen oder entdecken läßt. Die Materie des Besondern soll daher nach ihm nicht ein bloßer, ungeheuer großer Sandhaufen sein, in den wir, wenn wir ihn ersteigen wollen, nur immer tiefer und tiefer hineinsinken, ohne einen höhern und festen Standpunkt zu erreichen, und dessen einzelne Körner immer wieder aus einer besondern Steinart bestehen, so daß vor dem flimmernden Flitter dieser Mannigfaltigkeit uns die Augen überlaufen, uns das Sehen vergeht, sondern ein Berg, auf dem die verschiedenen Steinarten der Natur in großen, festen, zusammenhängenden Schichtenmassen aufgehäuft sind und uns zur festen Basis dienen, einen freien, philosophischen Überblick über das Ganze zu gewinnen.
Es war daher auch fern von Bacon, nach jener beliebten dogmatisch skeptischen Weise, die ein Nichtkönnen, ein Unvermögen zu einer positiven Eigenschaft des Menschen macht, zu behaupten, daß der Mensch nicht die Natur erkenne; vielmehr hat er das ganz bestimmte Bewußtsein, daß es einzig und allein von der Methode, der Art und Weise unsers intellektuellen Verfahrens abhängt, ob wir etwas Reales von ihr wissen können oder nicht.30) Deswegen begnügt sich sein Geist auch nicht mit der Schale der Natur, er begehrt noch mehr von ihr, er verlangt, daß die Naturwissenschaft sich nicht auf die Oberfläche der Phänomene beschränke, sondern die Ursachen und selbst die Ursachen der Ursachen zu erkennen bestrebt sein müsse.31)