§ 18. Gedanken Bacons über einige allgemeine Naturgegenstände


Von der ersten Materie und ihrer Beschaffenheit und Tätigkeit kann es in der Natur keine Ursache geben; sie ist (Gott natürlich ausgenommen) das allererste. Von welchem Stoffe, welcher Kraft und Tätigkeit daher auch immer die erste Materie sein mag, sie ist eine unmittelbare, schlechthin positive Tatsache, ganz so zu nehmen, wie sie gefunden wird, aus keiner vorausgefaßten und voreiligen Meinung abzuleiten und zu beurteilen. Denn ist auch ein Wissen von ihr möglich, so kann sie doch nicht aus einer Ursache erkannt werden, da sie nach Gott die Ursache der Ursachen ist, ohne selbst eine Ursache zu haben. In der Natur nämlich kann man nicht von Ursachen zu Ursachen bis ins Unendliche fortgehen, denn die Ursachen gehen in ihr nicht über eine gewisse festbestimmte Grenze hinaus; wer daher diese Grenze überschreitet und nach einer Ursache fragt, wenn er schon an die letzte Kraft gekommen ist, das schlechthin positive Prinzip und Gesetz der Natur, ist ein ebenso oberflächlicher Philosoph wie der, welcher bei den untergeordneten Dingen stehenbleibt, ohne nach einer Ursache von ihnen zu fragen. (»Parmenidis Philos.«, p. 650, et »N. O.«, I, A. 48, II, A. 48)

Die erste Materie oder das erste Prinzip muß ebenso wirklich in der Natur existieren als die aus ihm entsprungenen Dinge. Eine Materie daher ohne Form und Bewegung ist eine Fiktion, eine unwirkliche Abstraktion. Vielmehr muß die erste Materie schlechterdings mit der ersten Form und dem ersten Prinzip der Bewegung in Verbindung gedacht werden. Materie, Form und Bewegung muß man wohl unterscheiden, aber nicht trennen oder auseinanderreißen, und die Materie (wie sie auch immer beschaffen sein mag) so bestimmt, ausgerüstet und geformt sich denken, daß alle Beschaffenheit, Kraft, Tätigkeit und Bewegung der Natur eine Folge und Emanation von ihr sein kann. Die alten Philosophen Griechenlands kamen daher fast alle in der Annahme miteinander überein, daß die Materie tätig sei, irgendeine Beschaffenheit oder Form habe, diese ihre Form weiter verteile und besondere und das Prinzip der Bewegung in sich habe. (»Parmenid.«, p. 653-654)

Das wahre Prinzip erzeugt übrigens nicht nur aus sich die Dinge, sondern löst sie auch in sich auf. Auch hat es nicht nur mit den größten, zahlreichsten und auffallendsten und sichtbarmächtigsten Substanzen, wie z.B. Feuer, Luft, Wasser, sondern auch mit den geringsten, seltensten, unscheinbarsten und gleichsam ganz einsam und verlassen dastehenden Substanzen eine gewisse innere Homogenität und Verwandtschaft. (l. c., p. 658-659)

Die Kraft des Widerstandes der Materie, wodurch auch noch der kleinste Teil derselben sich in seinem Dasein behauptet und sich nicht durch die Gewalt auch des größten Massendruckes noch der stärksten und heftigsten Agentien zerstören oder vernichten und aus dem Raum verdrängen läßt, sondern ihr mit undurchdringlicher Ausdehnung Widerstand leistet und seinerseits gleichsam allerlei Aus- und Schlupfwege, um sich selbst zu behaupten, ausfindig macht und einschlägt, ist nicht etwa ein Leiden, wie man bisher irrtümlich angenommen hat, sondern vielmehr die allertätigste, allmächtigste Kraft, eine unüberwindliche Kraft, eine Kraft fast wie die Kraft des Schicksals und der Notwendigkeit. (l. c., p. 673, et »N. O.«, II, A. 48)

Die totale Summe der Materie bleibt sich immer gleich, ohne vermehrt oder vermindert zu werden. Aber die Körper, unter die diese Summe nach gewissen Verhältnissen verteilt ist, enthalten die einen mehr, die andern weniger Materie. (»Hist. Densi et Rari«, p. 482, et »N. O.«, II, A. 40)

Alle Körper haben den Trieb nach Kohärenz in sich, d.h. eine Scheu und Abneigung, sich zu trennen und ihre Teile auseinandergehen zu lassen. Daher sind die Begriffe vom Flüssigen und Konsistenten oder Festen ganz populäre, oberflächliche Begriffe. Denn die flüssigen Körper unterscheiden sich von den festen Körpern nur dadurch, daß in jenen, weil sie homogene Körper sind, jener Trieb matter und schwächer, in diesen aber, weil sie aus heterogenen Teilen zusammengesetzt sind, kräftiger und stärker ist. (»N. O.«, II, A. 25 et 48)

Alle Körper, ohne Unterschied, haben einen Assimilationstrieb in sich oder den Trieb, sich selbst zu vermehren und zu vervielfältigen, ebenso wie den Trieb, mit dem Gleichartigen sich zu vereinigen. (l. c. et »Hist. Mortis et V.«, c. VII)

Alle Körper haben ferner ein gewisses Wahrnehmungs- oder Vorstellungsvermögen, ja, auch ein gewisses Wahlvermögen, durch das sie das Verwandte anziehen, das Fremde und Feindliche fliehen. Und dieses Vorstellungsvermögen zeigt sich nicht etwa bloß in solchen, durch die Feinheit der Vorstellung auffallenden Erscheinungen, wie daß z.B. der Magnet das Eisen anzieht, die Flamme zur Naphta hinzuspringt, sondern auch in den allerordinärsten Erscheinungen; denn kein Körper, der einem andern genähert wird, verändert ihn oder wird von ihm verändert, ohne daß eine gegenseitige Wahrnehmung dieser Veränderung vorausgeht.

So nimmt z.B. der Körper die Gänge wahr, in die er eindringt, den Stoß des Körpers, dem er weicht, usw., kurz, überall ist Wahrnehmung. Die Luft aber nimmt Kälte und Wärme bei weitem feiner wahr als das Gefühl des Menschen, welches doch für das Maß der Kälte und Wärme gilt. Die Vorstellung oder Wahrnehmung kann daher getrennt von der Empfindung existieren, denn diese haben die unbeseelten Körper nicht; beide müssen daher streng unterschieden werden. (»De Augm. Sc.«, IV, c. 3, et »Hist. Nat.«, C. IX)

Die verschiedenen Körper in der Natur haben eine gleichsam aus ihrer innern Armut und Dürftigkeit hervorgehende unersättliche Begierde in sich, andere Körper in sich aufzunehmen. So verschlingt die Luft das Licht, den Schall, die Dünste und Gerüche, und zwar mit einer wahren Begierde, als wäre sie mit sich selbst und ihrem eigenen Inhalt nicht zufrieden; außerdem würde sie sie nicht mit solcher Leichtigkeit und Heftigkeit verschlingen. So verschlingt das Wasser trockene Körper und der trockene Körper Flüssigkeiten. Und diese Aufnahme scheint nicht mit Gewalt, sondern gleichsam mit einer gegenseitigen Übereinstimmung zu geschehen. Dieser Gegenstand verdient daher, aufmerksam erforscht zu werden. Denn der artige Gedanke, daß die Materie eine gemeine Metze ist, die alle Körperformen in sich aufnimmt, ist ein vager Begriff. (»Hist. Nat.«, C. VIII, § 800, et »N. O.«, II, A. 48)

Zwischen den Beschaffenheiten der Körper mit Sinnen und der Körper ohne Sinne findet eine große Übereinstimmung und Ähnlichkeit statt; der einzige Unterschied ist nur, daß bei den empfindenden Körpern noch Geist hinzutritt. Die Pupille z.B. gleicht einem Spiegel oder dem Wasser und empfängt und strahlt auf gleiche Weise die Bilder der sichtbaren Dinge zurück. So viele Sinne daher in den belebten Körpern sind, so viele ihnen entsprechende Bewegungen und Bestimmungen finden in den unbeseelten Körpern statt, denen der Lebensgeist abgeht, ob es gleich offenbar mehrere Arten von Bewegungen in den unbeseelten Körpern geben muß, als Sinne in den beseelten sind, da die Anzahl der Sinnesorgane so gering ist. Ein offenbares Beispiel hiervon gibt der Schmerz ab. Die verschiedenen Arten, Formen oder Charaktere des Schmerzes, wie der Schmerz beim Brennen, der Schmerz der Kälte usw., existieren sicherlich der bloßen Bewegung nach in den unbeseelten Körpern, wie z.B. in dem Steine oder Holze, wenn es gebrannt oder durch strenge Kälte zusammengezogen wird, usw.; nur fehlt hier natürlich die Empfindung. (»Impet. Phil.«, p. 722, u. »N. O.«, II, A. 27)

Unter den verschiedenen Arten von Bewegungen in der Natur gibt es eine ganz eigentümliche Art, die Bewegung des Zitterns (Motus trepidationis), die da stattfindet, wo ein Wesen sich gewissermaßen in dem Zustand einer immerwährenden Gefangenschaft und Beklemmung befindet, in einer beengenden, mißbehaglichen Schranke, und daher in eine unaufhörliche Angst und Unzufriedenheit, in eine immerfort tobende und bebende Unruhe gerät. Diese Bewegung findet nicht nur statt in dem Herzen und dem Pulsschlag der lebendigen Wesen, sondern in allen Körpern, die zwischen den Extremen der Behaglichkeit und Unbehaglichkeit, zwischen dem Verlangen, eine freiere, unbeschränktere und ausgedehntere Existenz sich zu verschaffen, und zwischen der Furcht, die Klemme und Schranke ihrer äußeren Existenz und Lage zu durchbrechen, hin und her oszillieren.41) (»N. O.«, II, A. 48)

 

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41) Über Bacons Standpunkt im Verhältnis zur spätern Physik und besonders physikalischen Gegenständen vergleiche man Fischer, »Geschichte der Physik seit der Wiederherstellung der Künste und Wissenschaften etc.«, Bd. I, S. 35-40, 54-58, 62-67 usw. Bacon ist da freilich noch sehr weit zurück. Auffallend ist es jedoch, wie auch Fischer bemerkt, daß Bacon, dem doch Galileis Entdeckungen bekannt waren, von der Schwere, der mechanischen Bewegung, dem Druck und Stoß ganz schlechte oder gar keine bestimmte Begriffe hat und daß er auch noch die Unbeweglichkeit der Erde annimmt (»Hist. Nat.«, Cent. VIII, p. 791; »Nov. Org.«, Il, Aph. 48) oder wenigstens hierüber keine entschiedene Meinung zu haben scheint. Vergl. »Descript. Globi Intell.«, cap. VI.


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