§ 10. Reflexion über Bacons Leben und Charakter

 

Wenn Bacon bewiesen hat, daß auch die Gelehrten große Staatsmänner sein können, so hat er auch zugleich, wenigstens von sich, bewiesen, daß die Wissenschaft im höchsten Grade eifersüchtig ist, daß sie die letzte Gunst nur dem gewährt der sich ihr ungeteilt hingibt, daß der Gelehrte, wenn er sich wenigstens eine solche Aufgabe stellt, wie Bacon sich stellte nichts auf das Weltwesen verwenden kann, ohne dadurch in das Hauswesen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit eine Störung zu bringen.24) Hätte Bacon sein Leben nicht zersplittert, hätte er nach dem Beispiel anderer großer Gelehrten sein ganzes Leben dem Dienste der Wissenschaft geweiht, so hätte er es nicht bei dem bloßen Kommandowort, bei dem vornehmen Überblick über den großen Bau der Wissenschaft bewenden lassen, ohne irgendeinen Teil daran auszuarbeiten; so würde er in die Tiefe besonderer Materien sich versenkt und bei der Masse von Kenntnissen, Versuchen und Beobachtungen, die ihm zu Gebote standen, und bei seinen ausgezeichneten Geistesfähigkeiten es zu bestimmten Resultaten gebracht, bestimmte Naturgesetze wie ein Galilei und Cartesius gefunden haben; so würde er die Universalität seines Geistes nicht in dem bloßen Entwerfen von Plänen, sondern auch in der Durchdringung und Bewältigung des Besondern, in der Erhebung des Besondern zum Allgemeinen, worin sich der wahre universale Geist bewährt, bewiesen und über so viele Gegenstände nicht so leichtfertig dahingefahren, kurz, unendlich mehr geleistet haben, als er wirklich geleistet hat.25)

Wenn aber Bacon eine wahre Neigung zum spekulativen Leben in sich hatte, wie war es möglich, daß er sich dennoch in das politische Leben hineinwarf, daß er einen solchen Widerspruch beging? Nur dadurch, daß in seinem Wesen selbst, in seinem Geiste oder metaphysischem Geistesprinzip ein Dualismus lag. Obgleich nämlich Bacon, wie sich zeigen wird, fern davon war, der Empiriker zu sein, der später aus ihm gemacht wurde, ob er gleich Sinn und Fähigkeit für metaphysisches Denken und seine Einfachheit hatte und selbst tiefe metaphysische Gedanken hervorbrachte, obgleich die Empirie ihm nicht die Sache, sondern nur das notwendige Mittel, nicht das Wesen, sondern nur ein Moment ist, so ist doch zugleich der Geist des Materialismus, wie er sich später entfaltete, der in die Sinnlichkeit ausströmende, nur nach außen gerichtete, von der sinnlichen, nur das Sinnliche für Realität haltenden Einbildungskraft beherrschte oder wenigstens affizierte Geist auch schon in ihm und seinem Geistesprinzipe enthalten. Mag Bacon, um sich vor seinem eigenen Gewissen zu rechtfertigen, als Motiv seiner Bewerbungen um Staatsämter anführen, was er will, sogar den frommen Zweck der Seelsorge, den er am besten in einer hohen Stellung im Staate erreichen zu können geglaubt hätte; es war nur der aus sich herausströmende und herausgerissene, von dem Glanze weltlicher Größe geblendete Geist des Materialismus, der ihn über seine wahre Bestimmung, wenigstens anfangs, nicht zur Besinnung kommen ließ, aus der metaphysischen Einfachheit des wissenschaftlichen Lebens herauslockte und in den glänzenden Bilderreichtum des Staatslebens hineinzog. Es war also nur der Dualismus in seinem geistigen Wesen — ein Dualismus, der sich bei ihm auch darin äußert, daß er, während er eine rein unabhängige und selbständige Anschauung der Physik hatte und begründete, die Physik, die übrigens allerdings nach ihm nur einen Teil ausmachen soll, von der Theologie ganz losriß alle Beziehungen, die die Physik in ein Verhältnis zur Religion setzen, abschneidet, dennoch wieder aus Frömmigkeit seine rein physikalischen Gedanken im Geschmack seiner und der nächstfolgenden Zeiten mit den Aussprüchen der Bibel in Parallele setzt und so über die im Herzen ganz irdisch gesinnte Weltdame seiner Physik einen Heiligenschein verbreitet26), es war, sage ich, nur jener metaphysische oder geistige Dualismus, der den Dualismus seines Lebens erzeugte.

 

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21) Impetus Philosophici: »De interpretatione naturae Prooemium«, coll. 744, ed. Francof. 1665. Dieses ganze Proömium ist von Wichtigkeit für den gegenwärtigen Gegenstand.

22) Lebensbeschreibung des Galilei in »Acta Philosophorum«, T. III, 15. Stück, 1724, und »Lettres philosophiques à Mad.... etc.« par Charle Pougens, Lettre sur Galilée.

23) »Wenn er eine Beförderung im bürgerlichen Leben verlangte oder sich darnach bemühte, so geschahe es bloß in der Absicht, um dadurch die Mittel zu erhalten, sein Lehrgebäude zu verbessern und zu vollführen. Denn selber die allerprächtigsten Handlungen in seinem Leben mußten ihm nur dazu behülflich sein. Mit einem Worte, die Einführung dieser neuen Art, die Weisheit zu erhalten, war seine herrschende Neigung und die große Quelle seiner Handlungen sein Leben hindurch. Es machte ihn geschwind in der Bemühung nach Bedienungen; es tröstete ihn, wenn ihm solche Bemühungen fehlschlugen; da er den höchsten Grad seiner Größe erreicht, beschäftigte es ihn auf eine höchst angenehme Weise in seinen müßigen Augenblicken.« »Biogr. Britan.« in Baumgartens Sammlung, S. 313.

24) Mit Recht sagt daher D. Peter Heylyn: »Es war schade, daß er nicht mit einem freien Solde unterhalten wurde und von allen Geschäften, beides bei Hofe und in den Gerichten, abgezogen lebte und mit hinlänglichen Mitteln und Hülfe versehen wurde, in seinem Vorhaben fortzufahren.« L. c., S. 455.

25) Bacon hat geleistet, was er leisten wollte, und er hat genug geleistet. Er wollte nur den Grundriß des aufzuführenden Gebäudes geben; den Bau selbst überließ er andern. Er wußte, daß das, was er wollte, nicht von einem allein, sondern nur von Unzähligen, nicht von seiner Zeit, sondern nur von den kommenden Jahrhunderten aufgeführt werden könne. Er appelliert daher stets an die Zukunft.

26) Nur eine Stelle zum Belege dieses Widerspruchs. In das Reich der Natur, sagt er (oder des Menschen oder der Wissenschaft, denn es ist eins), kann man nur, wie in das Himmelreich, als ein Kind kommen. Wie fromm klingt diese Vergleichung! Aber auch nur ein wenig analysiert, zeigt sie gerade das rein Entgegengesetzte. Ist es nicht die ausschließliche, nur ihm zukommende, es von jedem andern Reich unterscheidende Eigenschaft des Himmelreichs, daß man in dasselbe nur als ein Kind kommen kann? Kann ich mich denn mit derselben Stimmung des Gemütes, mit derselben Gesinnung den gemeinen sinnlichen und natürlichen Dingen nähern und hingeben, mit denen ich mich Gott hingebe? Was habe ich denn für ihn, womit ich ihn ehren und verehren kann, wenn ich nicht das Beste in mir, das kindliche Gemüt, für ihn allein aufbewahre und ihm ausschließlich hingebe? Nehme ich nicht gerade dadurch dem Himmelreich, was ich dem irdischen Reiche gebe? Doch es ist hier der Ort nicht, ins einzelne weiter einzugehen. Gleichwohl sieht der Verfasser der Schrift »Le Christianisme de François Bacon etc.« à Paris An VII, 2 Bände, es als ein besonderes Zeichen der Frömmigkeit Bacons an, daß er so häufig Bibelsprüche anführt.

 


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