Naturgeschichte


1. Die Naturgeschichte hat drei Teile. In dem ersten handelt sie von der Natur im Stande der Freiheit, d.h. von allen ihren Produktionen in ihrer ungestörten, freien, gesetzmäßigen Entwickelung; im zweiten von den Verirrungen der Natur, d.h. den Mißgeburten und andern abnormen Erscheinungen, in denen sie durch die Bosheit und den Übermut der hartnäckigen Materie und andere gewaltsame Hindernisse aus ihrer gesetzmäßigen Laufhahn herausgestoßen wird; im dritten von der Natur im Stande der Knechtschaft, in die sie die menschliche Tätigkeit oder Kunst versetzt, welche die Natur von Grund aus umbilden, verwandeln und in ihrem Innern erschüttern kann und sie wie einen Proteus zu tun zwingt, was sie außerdem zu tun würde unterlassen haben. (l. c., II, c. 2; »Descript. Gl. Int.«, c. 2)

Denn die Kunst ist nicht etwa bloß so ein oberflächlicher Zusatz zur Natur, sie hat nicht etwa bloß die Bestimmung und Bedeutung, ihre Entwürfe auszuführen oder ihre Fehler zu korrigieren oder sie von allenfallsigen Hemmungen in ihrer Tätigkeit zu befreien. Die Produkte der Kunst oder Empirie (z.B. der Agrikultur, der Chemie, der Koch- oder Färbekunst usw.) unterscheiden sich von den Produkten der Natur nicht der Form oder dem Wesen, sondern nur dem Produzenten, der äußern, wirkenden Ursache nach; denn der Mensch vermag weiter nichts über die Natur, als die Körper einander zu nähern oder voneinander zu entfernen, er hat also von der Natur nur die Bewegung in seiner Gewalt, alles übrige vollbringt die Natur selbst von innen aus eigener Kraft. (l. c.)

Die Naturgeschichte muß aber jetzt in einem ganz andern Geiste behandelt werden als bisher, nämlich nur in Beziehung auf die Philosophie, nicht mehr aber für sich und um ihrer selbst willen; denn die Naturgeschichte hat keinen andern Zweck, als Vorrat, Material für die Philosophie herbeizuschaffen; alle Bäche der Empirie müssen sich in den Ozean der Philosophie ergießen. Daher muß man auch nicht mehr, wie bisher geschah, in der Naturgeschichte so vielen unnützen Fleiß auf die Beschreibung und genaue Angabe der Mannigfaltigkeit der Dinge, der Verschiedenheiten der Tier, Pflanzen- und Fossilienarten verwenden. Denn dergleichen kleinliche Verschiedenheiten sind meistens weiter nichts als Spielereien, als Possen der Natur, und ihre Beschreibung gewährt wohl Vergnügen, bisweilen auch einigen Nutzen, aber fördert nicht die Erkenntnis und Wissenschaft. Man muß sich daher vielmehr bemühen, die Ähnlichkeiten und gemeinschaftlichen Verhältnisse der Dinge sowohl in ihrem ganzen Wesen als in ihren besondern Teilen aufzusuchen. Denn nur diese bringen Einheit in die Natur und legen so den Grund zur Wissenschaft. (»N. O.«, II, A. 27; »Parasceve ad Hist. Nat.«, A. 3)


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