§ 53. Jakob Böhmes Anthropologie

 

Mit dem Ursprung des Bösen, der Sünde — der Sünde allein verdankt ja der nicht phantastische, nicht theologische, der existierende Mensch seine Entstehung — sind wir zum Menschen und mit ihm zum eigentlichen Schlüssel und Hebel der J. Böhmschen Theosophie gekommen. »Das Buch«, sagt Jakob Böhme, »da alle Heimlichkeit innenlieget, ist der Mensch selber: Er ist selber das Buch des Wesens aller Wesen, dieweilen er die Gleichheit der Gottheit ist, das große Arkanum lieget in ihme.« (»Theos. Sendbr.«, Nr. 20, § 3) »Wo willstu Gott suchen in der Tiefe über den Sternen? Da wirstu ihn nicht finden; suche ihn in deinem Herzen im Centro deines Lebens Geburt; da wirstu ihn finden. — Der verborgene Mensch, welcher ist die Seele (soferne die Liebe im Licht Gottes in deinem Centro aufgehet) ist Gottes eigen Wesen... wie wolltestu denn nicht Macht haben zu reden von Gott, der dein Vater ist, des Wesens du selber bist?« (»Drei Prinz.«, c. 4, § 7, 8) Und in Beziehung auf sich selbst sagt er: »Ich habe geschrieben nicht von Menschenlehre oder Wissenschaft aus Bücherlernen, sondern aus meinem eigenen Buche, das in mir eröffnet ward: als (nämlich) die edle Gleichnüs Gottes, das Buch der edlen Bildnus (zu verstehen das Ebenbild Gottes), ward mir vergönnt zu lesen, und darin habe ich mein Studieren gefunden... ich darf kein ander Buch darzu. Mein Buch hat nur drei Blätter, das sind die drei Principia von Ewigkeit... Ich kann der Welt Grund und alle Heimlichkeit darinnen finden.« (»Theos. Sendbr.«, Nr. 12, § 14, 15) »In dir sind alle drei Principia... wo willstu doch Gott suchen? Suche ihn nur in deiner Seelen, die ist aus der ewigen Natur, darinnen die göttliche Geburt stehet.« »Die Finsternis in Dir, welche sich sehnet nach dem Licht, ist das erste Principium. Des Lichtes Kraft in dir, dadurch du ohne Augen siehest im Gemüte, ist das andere Principium (die eigentliche Gottheit). Und die sehnende Kraft (die Willenskraft), so im Gemüte ausgeht und an sich zeucht und sich füllet, davon der materialische Leib wächst, ist das dritte Principium.« (»Drei Prinz.«, c. 7, § 16, 26) Der Mensch ist also dem Jakob Böhme das Vorbild des Wesens der Wesen — das Wesen, woraus er alles erklärt und erzeugt. »So man redet vom Himmel und von der Geburt der Elementen, so redt man nicht von fernen Dingen, so weit von uns sind, sondern wir reden von Dingen, so in unserm Leib und Seele geschehen, und ist uns nichts näher als diese Geburt, denn wir leben und schweben darinnen als in unserer Mutter.« (Ebd., § 7) Aber Jakob Böhme macht nicht die Seele, den Willen, den Geist des Menschen als ein abgezogenes, metaphysisches Wesen, er macht den ganzen Menschen, den an den Leib gebundnen Geist zum Gott und Welt erzeugenden Prinzip. »Gleichwie der Leib die Seele gebäret, also gebären auch die sieben Geister (Qualitäten) Gottes den Sohn, und gleichwie die Seele ein sonderliches ist, wann sie geboren ist und ist doch mit dem Leibe verbunden und kann ohne den Leib nicht bestehen, also ist auch der Sohn Gottes, wann er geboren, ein sonderliches und kann doch ohne den Vater nicht bestehen.« »Der Leib bedeutet die sieben Quellgeister des Vaters (die ewige Natur), und die Seele89) bedeutet den eingebornen Sohn (den eigentlichen Gott).« (»Aurora«, c. 15, § 4, 5) »Was begreiflich ist, ist freilich überall der Zorn Gottes (das erste Prinzip), sonst wäre es nicht also hart begreiflich.« (Ebd., c. 14, § 99) »Die herbe Qualität (der ›erste Geist‹,die erste Eigenschaft der ewigen Natur) ist scharf. Daß sie aber also scharf in sich ist, das ist zu dem Ende, daß kann ein Corpus durch ihre Zusammenziehung gebildet werden, sonst bestünde die Gottheit nicht, viel weniger eine Kreatur.« (Ebd., c. 13, § 69, 70) Das harte, zusammengezogene, greifliche, d. i. körperliche Wesen des Menschen ist ihm also das erste Prinzip, das Prinzip der Finsternis oder des Feuers, im Gegensatz gegen welches sich erst das Prinzip des Lichts, der Seele entzündet, denn die Finsternis begehrt das Licht. Wenn es daher bei Spinoza heißt: Gott ist ein ausgedehntes Wesen, so heißt es dagegen bei Jakob Böhme: Gott ist ein körperliches Wesen. Dies ist der wahre, einfache Sinn der oben in der Einleitung zu Jakob Böhme gegebnen abstrusen, spekulativen Entwickelung, daß die Natur notwendig zu Gott gehöre, die Natur ein Bestandteil Gottes sei, denn die Natur ist ja der Inbegriff der sinnlichen, körperlichen Wesen oder das körperliche Wesen schlechtweg. »Daraus folgt«, sagt der Böhmist Oettinger (in der zitierten Schrift, T. V, 381), »daß Leibhaftigsein eine Realität oder Vollkommenheit sei, wann sie nämlich von denen der irdischen Leiblichkeit anhangenden Mängeln gereinigt ist. Diese Mängel sind die Undurchdringlichkeit, der Widerstand und die grobe Vermischung«, d.h., Gott ist ein materielles, körperliches Wesen, aber der göttliche Leib ist der Leib, der abgezogen ist von den Bestimmungen, die den Leib zu einem wirklichen machen, ist der Leib wie er nur Gegenstand der Phantasie und des ihr zunächst liegenden Sinnes, des Auges, also ein nur optisches und phantastisches Wesen ist.

 


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