§ 59. Der wahre Sinn und Gehalt der Cartesianischen Geistesphilosophie

 

Was ist denn nun aber dieser Geist des Descartes, der, um seiner Existenz und Realität gewiß zu sein, nur zu denken braucht, der ist, indem und inwiefern er denkt, dessen Wesen einzig und allein das Denken ist? Existiert denn wirklich ein solcher, vom Körper und allem Sinnlichen sich absondern könnender und abgesonderter, ein solcher abstrakter Geist? Ist dieser Geist nicht etwa bloß eine subjektive Abstraktion, die Descartes nur macht, sondern auch eine objektiv-reale Abstraktion? Der Geist, den Descartes und wie er ihn erfaßte, hat seinen entsprechenden, ihn am bestimmtesten bezeichnenden Ausdruck wie seine Wirklichkeit in dem, was Ich oder Selbst heißt. Der Geist, der und inwiefern er von allem Körperlichen sich absondert, es als Fremdes (rem alienam), nicht zu ihm Gehöriges und mit ihm Identisches von sich ausschließt, in dieser Absonderung und Unterscheidung seine positive Bestimmung hat, der nur ist, inwiefern und indem er denket, d. i., dessen Wesen nur das Denken ist, und zwar in der Bedeutung, die es bei Descartes hat, in der Bedeutung, nichts weiter zu sein als das Bewußtsein, die Selbstgewißheit, als die vom Körper sich unterscheidende Beziehung auf sich selbst, ist nichts andres als das Ich oder Selbst oder der Geist, inwiefern er Ich oder Selbst ist, und jeder Mensch erfaßt sich unbewußt, zumal aber der Gebildete, in dieser Absonderung und Unterscheidung vom Körperlichen und Sinnlichen und ist darin Geist, näher Selbst, Ich, er mag nun religiös, praktisch oder philosophisch diesen Unterschied machen So gewiß daher das Selbst existiert, so gewiß hat der Geist des Descartes Existenz. In der Wirklichkeit ist freilich das Selbst immer ein bestimmtes, verschiedenes, in mannigfachen Zuhängen, aber die Aufgabe des Philosophen ist eben, eine Sache für sich selbst herauszuheben; denn nur so kommt ihre wahre Wirklichkeit, ihr wahres Wesen zum Vorschein. — Descartes sagt selbst: »Nec aliam ob causam aliter (andres nämlich, als Descartes, wenn er behauptet, der Geist sei gewisser und bekannter als der Körper) visum est iis, qui non ordine philosophati sunt, quam quia mentem a corpore nunquam satis accurate distinxerunt. Et quamvis sibi certius esse putârint, se ipsos existere, quam quidquam aliud, non tamen adverterunt, per se ipsos mentes solas hoc in loco fuisse intelligendas.« (»Princ. Phil.«, P. I, § 12)

Das »Cogito, dubito ergo sum« ist im wahren Geiste des Descartes nichts andres als das Wesen des Geistes, der ganze Geist selbst, oder der Begriff und die Definition des Geistes. Zufolge des Übelstandes aber, daß er von richtigen philosophischen Gedanken zu populären Vorstellungen herabfällt und seine Gedanken nicht streng zusammenhält, trennt Descartes den Zweifel als nur ein vorübergehendes Mittel, zur Erkenntnis zu kommen, in der Darstellung von der positiven Bestimmung des Geistes ab oder zeigt wenigstens nicht, wie das Denken, in welches er später, nachdem er den Standpunkt des Zweifelns aufgegeben hat und sich mit den positiven Erkenntnisbestimmungen des Geistes und anderer Objekte beschäftigt, das Wesen des Geistes setzt, sich zu dem Denken verhält, mit dem er anfängt und das nicht von dem Zweifeln unterschieden ist. Der Zweifel erscheint daher insofern nur als ein zum Behufe der Erkenntnis vom Subjekte angenommener Standpunkt, als etwas dem aus ihm gefolgerten Prinzip Äußerliches, das auf die weitere Bestimmung und Erkenntnis des Geistes keinen Einfluß hat. Allein, um das früher schon hierüber Erwähnte nicht noch einmal weitläufig erwähnen zu müssen, wenn man den zerstreuten Descartes streng und ordentlich zusammenfaßt, alles genau erwägend, so findet man, daß der Zweifel die objektive, ihm immanente Genesis des Geistes ist, daß man, um auf den wahren Begriff des Geistes im Sinne Descartes' zu kommen, sich an den Anfang halten, den Weg des Zweifelns zu Hülfe nehmen und von der positiven Bestimmung des Geistes nicht abtrennen muß und daß in dem »Cogito ergo sum« das Wesen und der Begriff des Geistes selbst enthalten ist. Descartes unterscheidet den Geist vom Körper und sagt, er ist ein toto genere von ihm Unterschiedenes. Aber was ist dieser Unterschied? Das Denken, als in welchem allein das Wesen des Geistes besteht. Was ist aber das Denken, namentlich gerade da, wo Descartes den Unterschied des Geistes findet und bestimmt, das »Cogito ergo sum«, das Prinzip seiner Philosophie, welches er an einer andern schon angeführten Stelle so ausdrückt: »Primum principium est, quod anima nostra existit«, anders als Zweifeln? Was aber das Zweifeln anders als ein Absondern, ein Unterscheiden, ein Abstrahieren vom Körper und Sinnlichem? Unter Denken verstehe ich nichts anders als das Bewußtsein, sagt Descartes. Ist das Bewußtsein aber wohl im Sinne des Descartes etwas andres als Selbstgewißheit? Die Selbstgewißheit aber etwas andres als die Selbstunterscheidung vom Körper, vom Sinnlichen überhaupt? Die Unterscheidung aber des in dieser Unterscheidung seiner selbst als des absolut und unmittelbar Reellen gewissen Geistes nicht ein Zweifel an der Existenz, der Realität des Sinnlichen oder eine Verneinung desselben?106) Ist daher das Zweifeln eins mit dem Bewußtsein? Der Geist ist also unterschieden vom Körper, und dieser Unterschied besteht im Denken; das Denken ist aber eins mit dem Zweifeln, das Zweifeln mit dem Unterscheiden; er ist also durch das Sich-selbst-Unterscheiden vom Körper unterschieden; er ist dadurch Geist, daß er denkt, also dadurch unterschieden von dem Körper, daß er sich von ihm unterscheidet. Der Zweifel (natürlich in der Bedeutung, die er hier hat) ist das Wesen des Geistes, der Geist wesentlich ein Zweifler an der Realität der sinnlichen Dinge, oder positiv ausgedrückt: Das Wesen des Geistes ist das Bewußtsein, der Geist nichts als Bewußtsein, als das »Cogito ergo sum«, d. i. die unmittelbare Einheit meines Denkens und meines Seins, mein Wesen, daher das Denken, das zugleich Unmittelbarkeit, meine Selbstgewißheit ist. Der Geist aber, auf den die angegebenen Bestimmungen passen, ist streng genommen und bezeichnet nichts andres als das Ich oder Selbst. Die positive Erkenntnis daher, die Descartes gegeben, der positive Fortschritt, der mit ihm im Begriffe oder in der Lehre vom Geiste die Philosophie und mit ihr der menschliche Geist tat, besteht darin, daß er (und alle Erkenntnis einer Sache beginnt mit dem Unterschiede) aufs schärfste und bestimmteste den Geist vom Sinnlichen und Körperlichen unterschied, daß er nicht bloß bei dem unbestimmten Ausdruck und Gedanken: Der Geist ist unterschieden von dem Körper, nicht bei den negativen, nichts bestimmenden, keine Erkenntnis gewährenden Bestimmungen der Immaterialität, Unkörperlichkeit und Unteilbarkeit stehenblieb, sondern diesen Unterschied, diese Immaterialität und Einfachheit positiv bestimmte als das lebendige Sich-Unterscheiden des Geistes, d. i., sie in die Tätigkeit des Denkens, des Bewußtseins setzte107) und den wirklichen, lebendigen, den selbstgewissen und bewußten Geist oder den Geist als Selbst zum Prinzip der Philosophie machte.

 


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