§ 67. Die Aufhebung der Gegensätze von Geist und Natur und deren Kritik

 

Die Schwierigkeit der Vereinbarkeit oder vielmehr die Unvereinbarkeit des Geistes mit der Materie in der Cart. Philosophie geht, wie schon erwähnt, daraus hervor, daß Descartes den Geist nur in der Bestimmung des bewußten Selbsts und dieses als die Seele, als den Geist selbst erfaßte; denn von diesem, vom Körper sich absondernden, diese Absonderung als seine positive, totale, als seine Wesenbestimmung setzenden Geiste aus ist eine Verbindung mit dem Körper unmöglich; denn das Selbst ist gerade das, was die unmittelbare Verbindung zwischen Leib und Seele aufhebt, was im Menschen nur entsteht durch die Abstraktion von seinem Leibe, in der er den Leib als ein nicht zu seinem Selbste Gehöriges, als eine bloße Materie von sich abtrennt. Descartes vermehrt diese Schwierigkeit noch dadurch, daß er, der überhaupt als Anfänger der neuern Philosophie noch nicht ganz frei vom Geiste der älteren Metaphysik und daher nicht imstande war, die seiner Philosophie, namentlich vom Geiste, zugrunde liegenden Ideen in strenger Konsequenz und Bestimmtheit ans Licht zu bringen und durchzuführen, die negative, unbestimmte, gespenstige Form oder Bestimmung der Unteilbarkeit und Einfachheit auf den Geist anwendet, da doch der reelle, bestimmte Unterschied des Geistes von der Materie, die Immaterialität desselben, von ihm allein in die Einheit des Denkens oder Selbstbewußtseins gesetzt ist, von welcher die Bestimmung der Einfachheit oder Unteilbarkeit erst der abgezogene Ausdruck ist und zu welcher sich diese verhält wie zum wirklichen Geist das Gespenst, zum lebendigen Wesen sein Schatten. So wie aber die Einfachheit nur das abgezehrte und abgezogene Gespenst von der lebendigen konkreten Bestimmung der Einheit des Selbstbewußtseins und daher keine positive Bestimmung ist, durch die ich den Geist oder die Seele bestimme und erkenne, so ist es auch ganz unmöglich, von dieser abgezehrten Bestimmung aus die Einheit des Geistes und der Materie, die Verbindung des einfachen Wesens mit dem zusammengesetzten zu erfassen.

Da Descartes lediglich in das Selbstbewußtsein das Wesen des Geistes setzt, das bewußte oder denkende Selbst nach ihm die ganze Seele oder der ganze Geist ist denn er unterscheidet nicht Seele und Geist, wo also kein Bewußtsein und Wille, auch keine Seele, sondern nur Materie ist , so ist es auch eine notwendige Folge seiner Philosophie, daß die Tiere bloße Automate, Maschinen, alle ihre Bewegungen nur mechanisch sind120), nicht aus einem geistigen Prinzip erfolgen — eine notwendige Folge überhaupt, daß Descartes in der Erklärung der Lebens- und Seelenerscheinungen ein bloßer Materialist ist, denn alle Tätigkeiten und Bewegungen, die ohne unser Selbst, ohne unsern Willen geschehen, geschehen nach ihm ohne Seele, also auf nur materielle oder vielmehr mechanische Weise. »Ita ut omnes motus, qui nobis eveniunt, voluntate nostra nihil ad eos conferente, (ut saepe evenit, nos respirare, ambulare et denique omnes actiones facere, quae nobis cum bestiis communes sunt) non aliunde pendeant, quam a conformatione nostrorum membrorum, et cursu, quem spiritus excitati per calorem cordis naturaliter sequuntur in cerebro, in nervis et in musculis: eodem modo, quo motus automati producitur sola virtute manuclae et figura suarum rotularum.« (»De Passionibus«, P. I, Art. 36) »Wenn jemand«, sagt er ebendaselbst, Art. 13, »geschwind die Hand nach unsern Augen ausstreckt, als wenn er uns schlagen wollte, so können wir, wenn wir gleich wissen, daß er unser Freund ist und es nur aus Scherz tut, also uns kein Leid zufügen wird, uns doch nicht enthalten, die Augen zu schließen — ein Beweis, daß sie nicht durch unsere Seele geschlossen werden, denn es geschieht wider unsern Willen, welcher ihre einzige oder wenigstens vorzüglichste Tätigkeit ist, sondern daß die Maschine unseres Körpers so gemacht ist, daß die Bewegung jener Hand gegen unsere Augen eine andere Bewegung in unserm Hirn erregt, welche die Lebensgeister in die die Augenlider zusammendrückenden Muskel hinabführt.«

 

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117) »Omnes illi actus (scl. corporei) conveniunt sub una communi ratione extensionis: sunt deinde alii actus, quos vocamus cogitativas, ut intelligere, velle etc., qui omnes sub ratione communi cogitationis sive perceptionis sive conscientiae conveniunt. Actus cogitativi nullam cum actibus corporeis habent affinitatem, et cogitatio, quae est ipsorum ratio communis, toto genere differt ab extensione, quae est ratio communis aliorum (corporeorum).« (Resp. III) »Adverto, magnam esse differentiam inter mentem et corpus in eo, quod corpus ex natura sua sit semper divisibile, mens autem plane indivisibilis; nam sane cum hanc considero sive me ipsum, quatenus sum tantum res cogitans, nullas in me partes possum destinguere, sod rem plane unam et integram me esse intelligo, neque etiam facultates volendi etc. ejus partes dici possunt, quia una et eadem mens est, quae vult, quae sentit, quae intelligit.« (Medit. VI) »De mente non modo intelligimus, illam esse sine corpore, sed etiam omnia illa, quae ad corpus pertinent, de ipsa posse negari.« (Resp. IV)

118) In Beziehung auf den Menschen, den Geist und Materie konstituieren, nennt Descartes beide unvollständige Substanzen. »Mens et corpus sunt substantiae incompletae, cum referuntur ad hominem, quem componunt, sed solae spectatae sunt completae.« (Resp. IV, p. 122, u. »R Descartes Notae«, p. 180) Abgesehen davon, daß Descartes der wahren Idee seiner Philosophie widerspricht, indem er den Geist insofern gleichsetzt der Materie, da doch nur dem Geiste eine unvermittelt gewisse und unbedingt reale Existenz zukommt, aber nicht der Materie, so hätte vielmehr Descartes — wiewohl nicht zu leugnen ist, daß auch der Geist, der zu seinem Gegensatz die Materie hat, ein unvollständiger Geist ist — nicht in der Materie, wie sie mit dem Geiste zu einem Wesen verbunden ist, sondern in ihr selbst wie sie für sich ist und für sich betrachtet wird, ihre Unvollständigkeit erkennen, gerade in ihrer Trennung ihren Mangel und ihr Elend finden sollen.

119) Einige Stellen sind allerdings auch im Cartesius, die auf die Einheit von Geist und Materie hindeuten, aber sie stehen ganz isoliert da. So sagte er vom organischen Leibe: »Id (corpus) unum est et quodammodo indivisibile ratione dispositionis suorum organorum, quae omnia ita ad se mutuo referuntur, ut quodam ex illis ablato reddatur totum corpus mancum ac defectivum.« (»De Passionibus«, P. I, Art. 30) Er erkennt also hier in dem Leibe die Bestimmung der Einfachheit und Unteilbarkeit an, die er sonst nur dem Geiste beilegt. So sagt er auch: »Quamvis possit quispiam animam ut rnaterialem concipere (quod proprie est ejus cum corpore conjunctionem concipere), nihilominus postea cognoscitur, illam esse ab eo separabilem. Extensionem animae tribuere hoc enim aliud non est, quam illam corpori unitam concipere.« (»Epist.«, P. I, Ep. 30) Eine Stelle, die übrigens ebenso isoliert als dunkel dasteht.

120) Es tut nichts zur Sache, wenn Descartes schon lange vor seinen metaphysischen Meditationen diese seine Ansicht von den Tieren in einer Jugendarbeit niedergelegt hat. Vergl. Baillet, »La Vie de Mr. Des-Cartes«, Liv. I, ch. 11. — Daß die Tiere nicht denken, beweist Descartes daraus, daß sie keine eigentliche Sprache haben, und diesen Mangel leitet er nicht ab von dem Mangel der Organe, sondern dem Mangel des Denkens. (»Epist.«, P. I, Ep. 67, 54)

 


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