§ 65. Die Prinzipien der Cartesianischen Naturphilosophie

 

»Aus der Einheit der körperlichen Substanz mit der Ausdehnung und dem Raume folgt, daß in einem Gefäße, wenn es mit Blei oder Gold oder sonst einem andern noch so schweren und harten Körper angefüllt ist, nicht mehr Materie oder körperliche Substanz ist, als wenn es nur Luft enthält oder für leer angesehen wird. Denn die Quantität der Teile der Materie hängt nicht von ihrer Schwere oder Härte ab, sondern allein von der Ausdehnung, die in demselben Gefäße immer gleich ist. Es folgt ferner daraus, daß es unmöglich ist, daß es ihrer Natur nach unteilbare Teile der Materie gibt. Denn da sie, wenn es deren welche gibt, notwendig ausgedehnt sein müssen, sie mögen nun auch noch so klein vorgestellt werden, so können wir immer noch einen jeden Teil in zwei oder mehrere kleine Teile im Gedanken zerteilen und daraus ihre Teilbarkeit erkennen. Denn wir können nichts im Gedanken teilen, ohne eben dadurch seine Teilbarkeit zu erkennen, und es würde daher das Urteil, es sei unteilbar, unsrer Erkenntnis widersprechen.« (Ebd., § 20)

»Die Welt oder der Inbegriff der körperlichen Substanz hat keine Grenzen der Ausdehnung. Die Materie des Himmels und der Erde ist eine und dieselbe. Wenn es auch unzählige Welten gäbe, so müßten sie doch alle aus derselben Materie bestehen, und es kann daher nicht mehrere, sondern nur eine Welt geben, denn wir sehen deutlich ein, daß jene Materie, deren Wesen allein in der Ausdehnung besteht, alle möglichen oder vorstellbaren Räume, in denen jene Welten sein müßten, einnehmen würde, und finden von keiner andern Materie eine Vorstellung in uns. Im ganzen Universum existiert also nur eine und dieselbe Materie; denn alle Materie ist nur durch dies eine bestimmt, daß sie ausgedehnt ist. Und alle Eigenschaften, die wir mit Klarheit an ihr wahrnehmen, reduzieren sich darauf allein, daß sie teilbar und ihren Teilen nach beweglich ist und daher alle diese Bestimmungen annehmen kann, die wir aus der Bewegung ihrer Teile ableiten können. Denn die Teilung, die bloß durch den Gedanken geschieht, ändert nichts, sondern alle Mannigfaltigkeit der Materie oder die Verschiedenheit aller ihrer Formen hängt von der Bewegung ab. Die Bewegung aber, nämlich die örtliche (denn keine andere kann gedacht werden), ist die Versetzung eines Teils der Materie oder eines Körpers aus der Nähe der Körper, die ihn unmittelbar berühren und als ruhend angesehen werden, in die Nähe anderer.« (Ebd., § 21-25)

»Die Ursache der Bewegung ist teils eine allgemeine und ursprüngliche, welche die allgemeine Ursache aller Bewegungen in der Welt ist, teils eine besondere, von der es kommt, daß die einzelnen Teile der Materie Bewegungen bekommen, die sie vorher nicht hatten. Die allgemeine Ursache ist Gott, der die Materie zugleich mit der Bewegung und Ruhe im Anfang erschuf und schon allein vermöge seiner natürlichen Mitwirkung so viel Bewegung und Ruhe in ihr erhält, als er anfangs in sie legte. Denn obgleich die Bewegung nichts anders an der bewegten Materie ist als eine Bestimmung oder Affektion derselben, so hat sie doch eine bestimmte Größe oder Quantität, die, obgleich in den einzelnen Teilen der Materie verschieden, im ganzen doch immer dieselbe bleibt, so daß, wenn ein Teil der Materie sich um das Doppelte schneller bewegt als ein andrer und dieser andere um das Doppelte größer ist als der erstre, ebensoviel Bewegung im kleinern als im größern ist und daß, je langsamer die Bewegung eines Teils geschieht, desto schneller die Bewegung irgendeines andern, ihm gleichen ist. Wir sehen auch ein, daß in Gott nicht nur die Unveränderlichkeit seines Wesens, sondern auch die seiner Wirkungsweise eine Vollkommenheit ist. Weil nun Gott die Teile der Materie bei ihrer Erschaffung verschiedentlich bewegte und diese ganze Materie auf dieselbe Weise und in demselben Verhältnis, als er sie erschuf, erhält, so ist es vernünftig, anzunehmen, daß er auch immer dieselbe Größe der Bewegung in ihr erhalte.« (Ebd., § 36) »Aus dieser Unveränderlichkeit Gottes lassen sich folgende Gesetze der Natur erkennen, die die sekundären und besondern Ursachen der verschiedenen Bewegungen in den einzelnen Körpern sind. Das erste dieser Gesetze ist: Jedes Ding, inwiefern es einfach und ungeteilt ist, bleibt für sich selber immer in demselben Zustande und wird nur von äußern Ursachen verändert; wenn es also z.B. ruht, wird es nie von sich selbst, sondern nur von einer äußern Ursache in Bewegung gesetzt; wenn es sich bewegt, wird es stets nur durch die Hindernisse anderer Körper, z.B. den Widerstand der Luft, zur Ruhe gezwungen, außer dem aber würde es sich immer fortbewegen. Das zweite Gesetz der Natur ist: Jeder Teil der Materie, für sich besonders betrachtet, strebt nur darnach, in gerader, aber nicht in krummer Linie die Bewegung fortzusetzen. Jeder Körper daher, der sich im Kreise bewegt, ist beständig bestrebt, von dem Mittelpunkt des Kreises, den er beschreibt, wegzukommen. Das dritte Gesetz der Natur ist dieses: Wenn ein bewegter Körper einem andern begegnet und eine geringere Kraft zur Fortsetzung seiner Bewegung in gerader Linie hat als der andere zum Widerstandleisten, so bekommt er eine andere Richtung und verliert so nicht seine Bewegung, sondern nur die Richtung derselben; hat er aber eine größre Kraft, so bewegt er den andern mit sich fort und verliert so viel von seiner Bewegung, als er dem andern mitteilt. Die Kraft aber eines Körpers, in einen andern einzuwirken oder der Tätigkeit eines andern zu widerstehen, besteht darin allein, daß ein jedes Ding für sich selbst in demselben Zustand, in dem es ist, zu verbleiben sich bestrebt. Das Verbundene hat daher einige Kraft, die Trennung zu verhindern, das Getrennte, getrennt zu bleiben, das Ruhende, in seiner Ruhe zu beharren und folglich dem zu widerstreben, was sie ändern kann, das sich Bewegende, in seiner Bewegung, d. i. in der Bewegung von derselben Geschwindigkeit und Richtung, zu verbleiben.«115) (Ebd., § 37-43)

 

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115) Eine Beurteilung der Cartesischen Gesetze der Bewegung sowohl im allgemeinen als im besondern vom Standpunkt der Physik aus findet man in Fischers »Geschichte der Physik«, S. 322-327 und S. 355-360, I. Bd.

 


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