§ 68. Schlußbemerkungen über die Cartesianische Philosophie (1847)

 

Die Cartesianische Philosophie bezeichnet aber noch einen andern höchst wichtigen, ohne Einschränkung anzuerkennenden Fortschritt in der Geschichte des menschlichen Geistes. Wenn das Christentum mit dem Satz beginnt: »Gott ist ein Geist«, so beginnt dagegen die neuere Zeit, deren Wesen die Verneinung des Christentums in der Bejahung desselben ist, in Descartes mit dem Satz: Ich bin ein Geist; wenn das Christentum mit der Abstraktion von der Welt beginnt, ein Wesen an die Spitze stellt, welches war, als nichts war, welches die Welt aus nichts schafft und ins Nichts verstößt, so beginnt Descartes mit derselben Fiktion, aber dieses das Nichtsein der Welt fingierende, ihr Dasein aufhebende Wesen bin ich, der Geist, der Denker. »Wir müssen«, sagt der Cartesianer Wittich in dem seinem »Anti-Spinoza« angehängten »Comment. de Deo«, Amstel. 1690, p. 355, »abstrahieren von aller Zeit und in Gedanken die Existenz aller Körper aufheben, wie Cartesius in seinen ersten Meditationen getan hat, nur darauf reflektieren, daß wir, die wir denken, sind und daß Gott existiert, und an keine Bewegung und deren Eigenschaft, die Nacheinanderfolge, denken — so werden wir die Existenz Gottes als eine ewige Existenz, als eine solche, von der die Unvollkommenheit eines Anfangs, Endes und Nacheinanderseins ausgeschlossen ist, begreifen.« Ist hier nicht mit den Fingern selbst zu greifen, daß das Objektive Wesen nur das subjektive Wesen, das abstrakte Wesen ohne Welt, Zeit, Körper nur das eigne Wesen des von Welt, Zeit, Körper Abstrahierenden ist? Der Gott also, der ein Geist ist, der alles durch seinen Willen und Verstand hervorbringt, dessen Gedanken oder Ideen alle Dinge ihr Wesen, dessen Willensentschlüssen alle Dinge ihr Dasein verdanken, in Vergleich zu dessen Wesen alle sinnlichen Dinge nichts sind, ist nichts andres als das Wesen des Idealismus, nichts andres als des Menschen eigner Geist, der aber im Christentum als ein vom Menschen unterschiednes, gegenständliches Wesen vorgestellt wird. Die ersten Ansätze zu dieser Erkenntnis, der Erkenntnis der Theologie als der Anthropologie, liegen bereits in Descartes. Der gegenständliche, göttliche Idealismus wird bereits in ihm subjektiver, menschlicher Idealismus. In Descartes ist im »Gottesbewußtsein« das Selbstbewußtsein, im Gottvertrauen das Selbstvertrauen des Menschen erwacht. »Gott kann alles, was ich klar und deutlich als möglich einsehe.« (Resp. IV) Gott ist die Gewißheit von der Wahrheit und Unbeschränktheit meines Wesens, von der Gültigkeit und Richtigkeit meiner Gedanken, die Bestätigung, daß ich recht habe, daß ich mich nicht irre, nicht täusche in dem, was ich klar und deutlich einsehe.123) Damit ist zwar nichts Neues gesagt. Wenn Augustin z.B. sagt: »Wenn ein unverweslicher Körper etwas Gutes (Wünschenswertes, bonum) ist, warum wollen wir zweifeln, daß Gott uns einen solchen Körper machen werde?«, so ist damit das nämliche gesagt — daß Gott die Bejahung der menschlichen Wünsche und Gedanken ist. Aber bei Descartes springt diese Wahrheit in die Augen, weil in ihm das Selbstbewußtsein im Unterschied vom Gottesbewußtsein oder richtiger Gottesglauben hervortritt, während das religiöse Selbstbewußtsein oder richtiger Gemüt sein Bewußtsein in den Gegenstand versenkt und verlegt, mit seinem Gegenstand sich identifiziert. Der Cartesianischen Philosophie gebührt daher das Verdienst, daß sie zu einer Zeit, wo der christliche Glaube noch eine despotische Gewalt ausübte, dem Menschen wieder das Vertrauen zu sich selbst, das Vertrauen zu seiner Vernunft einflößte. Die Cartesianische Schule war, wie ihr unter andern Gottlosigkeiten Huetius in seiner »Zensur« vorwirft, so kühn oder, theologisch gesprochen, so frech, zu behaupten, daß die Evidenz ebensoviel Gehorsam vom Menschen zu fordern berechtigt sei als der Glaube. Aber ein anderer Vorwurf, den Huetius der Cartesianischen Schule macht, ist wirklich ein Vorwurf — der nämlich, daß sie außer der Philosophie, der Mathematik und höchstens noch Anatomie des Menschen alle andern nicht bloß historischen, sondern auch naturwissenschaftlichen Studien verachte. Wenn daher früher behauptet wurde, daß die Natur das interessanteste Objekt für den Menschen auf dem Standpunkt der Cartesianischen Philosophie sei, so gilt das eben nur von der Natur, wie sie Descartes Gegenstand ist. Vom Standpunkt des Idealismus, sowohl des objektiven als subjektiven, d.h. göttlichen als menschlichen, hat der Mensch keinen wahren Natursinn, denn die sinnlichen Dinge sind ihm nichts, aber die Natur ist durch und durch sinnlich. Der Idealist kommt nicht aus sich heraus. »Wer«, sagt z.B. Clauberg in der oben erwähnten Schrift, »die über die körperlichen Dinge erhabne, Gott ähnliche Natur seines Geistes betrachtet, der hält es unter der Würde des Menschen, seine Gedanken auf körperliche und irdische Dinge zu richten.« Leibniz erzählt von diesem Clauberg, der übrigens selbst eine »Physik« geschrieben hat: »Cl. behauptete, er wisse, wie die Natur des Geistes auszusprechen sei, aber er wolle es nicht sagen. Oft geriet er im Denken in eine tiefe Ekstase und starb auch in einem solchen Zustande.«124) Wahrlich eine echt cartesianische Todesart! Die Scheidung der Seele vom Leibe, der Tod ist ja das Prinzip der Cartesianischen, der idealistischen Philosophie überhaupt.

 

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121) So gut der Kopf oder der vermittelst der Einbildungskraft als ein Wesen personifizierte Denkakt sagt: Ich bin ein vom Körper, vom Hirn unabhängiges Wesen, sogut könnte das Auge oder der Sehakt sagen: Ich fühl und weiß im Sehen nichts von der Pupille, von der Traubenhaut, von der wässerigen Feuchtigkeit, vom Glaskörper, von der Kristallinse, von der Retina, nichts von den Anstrengungen, Bewegungen und Verrichtungen dieser vielen verschiednen Körper, welche das himmlische Gefühl des Sehakts hervorbringen, also bin ich ein immaterielles, unkörperliches, durch mich selbst seiendes Wesen. Allerdings ist das Resultat das »dem Begriffe nach Erste«, denn der Sinn des Organs ist die Funktion, aber es ist spekulative Taschenspielerei, dasselbe zugleich wieder zu dem der Tat nach Ersten zu machen, das Resultat abgetrennt von seinen Bedingungen als ein selbständiges Wesen zu personifizieren und dann die Natur aus dem Geiste, d.h. die Grundlagen, die Bedingungen und Voraussetzungen des Resultats aus dem Resultate zu deduzieren.

122) Als der Herausgeber oder vielmehr eigentliche Autor dieser höchst seltnen Schrift, deren erster Titel ist »Opuscula philos. quibus continentur Princ. P. ant. et rec. ac Philosophia vulgaria refutata«, wird in Vogtii »Catalogus Librorum Rariorum«, p. 505, F. M. v. Helmont bezeichnet, von Leibniz aber die Gräfin Connaway.

123) Über diesen so wichtigen Punkt der Cartesianischen Philosophie nachträglich noch eine Bemerkung. Descartes geht in seiner v. Medit. folgenden Gang. Was ich mit dem Geist oder Verstand klar und deutlich einsehe, das ist wahr, das ist etwas. Wovon ich daher klar und deutlich einsehe, daß es Zusammengehört, das ist untrennbar. Nun ist aber von dem vollkommnen Wesen die Vollkommenheit der Existenz unabtrennbar, also existiert es. Was druckt denn nun aber dieses vollkommne Wesen anders aus als das Wesen des vollkommnen Denkens, das Wesen des klaren und deutlichen Begriffs? Klar und deutlich ist nur der von der Sinnlichkeit und Einbildungskraft abgesonderte Begriff oder Verstand und nur das Klare und Deutliche das Wahre, Seiende, Wirkliche. Aber Gott ist das Allerklarste und Deutlichste. »Qui ad singulas ejus perfectiones attendere... conantur, illi profecto multo ampliorum facilioremque materiam clarae et distinctae cognitionis in eo inveniunt, quam in ullis rebus creatis.« (Resp. I) Warum? Weil er nur begriffen oder gedacht, aber nicht sinnlich vorgestellt werden kann. Was ist also Gott anders als der sich als das wahre Wesen gegenständliche oder bejahende deutliche Begriff oder Verstand? Die Existenz Gottes behaupten heißt (hier) die Wahrheit oder Existenz des deutlichen Begriffs, des von der Körperlichkeit und Sinnlichkeit abgesonderten Geistes behaupten. Daher verbindet immer Descartes »die Erkenntnis Gottes und unsres Geistes«, »die Existenz Gottes und unsres ohne Körper gedachten Geistes«. (»Diss. de Meth.«) Das positive Prädikat Gottes ist ja allein, daß er Geist, Intelligenz, Denken ist, die negativen und unbestimmten Prädikate aber, wie Vollkommenheit, Unendlichkeit, Unermeßlichkeit, reduzieren sich allein darauf, daß er nicht wie der Mensch durch die Verbindung mit einer Materie, einem Leibe befleckt und beschränkt ist.

124) L. Opp. Omn., ed. Dutens, T. VI, p. 296. Offenbar hat auch der Verfasser der »Reise durch die Cartesianische Welt« diese Anekdote im sinne, wenn er (im ersten Teil derselben) das Arkanum der Cartesianischen Philosophie, die Seele vom Leihe zu scheiden, persifliert. Freilich konnte er im Descartes selbst genug Stoff zu dieser Persiflage finden.

 


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