§ 68. Schlußbemerkungen über die Cartesianische Philosophie (1847)
Die Cartesianische Philosophie ist in vielerlei Beziehungen sehr lehrreich, besonders aber deswegen, weil sie die Entstehung der menschlichen Vorstellung vom Geiste — als einem selbständigen, von allem Körperlichen, Sinnlichen, Materiellen unterschiednen Wesen — so offen und klar darlegt. Descartes macht die Ausdehnung zum absoluten, zum allumfassenden, erschöpfenden Wesen des Körpers, des Materiellen überhaupt; nun hat aber der Gedanke keine Ausdehnung, keine Länge, Breite und Tiefe, also ist das Denken keine Körperkraft, sondern etwas schlechthin Unkörperliches, Unsinnliches. Wenn ich etwas zu allem mache, so ist notwendig das Gegenteil dieses Etwas das Nichts von allem, und ich habe zur Bestimmung desselben nur negative, d. i. nicht bestimmende, nichtssagende Prädikate oder Worte wie »immateriell«, »unkörperlich«, »unsinnlich«, »unausgedehnt« u. dergl. Die einzige positive, d. i. etwas sagende Bestimmung, die einzige, mit der ich auf die Frage: Was ist denn dieses Nichts von allem Körperlichen? antworten kann, ist: das Denken, so daß es also heißt: Der Geist ist ein denkendes Wesen. Allein, was ist damit gesagt und erklärt? Ich erkläre das Denken durch ein denkendes Wesen, d.h., ich mache eine Wirkung zur Ursache, eine Erscheinung zum Wesen, eine Funktion zur Person; ich mache das Denken zum Grund, zur Voraussetzung des Denkens, kurz, das Denken zur Ursache seiner selbst. Das Wesen, welches als causa sui, als Ursache seiner selbst, als von sich selbst seiend gefaßt wird, ist nur der ontologische, gegenständliche Ausdruck dieses Denkens, welches das Denken aus sich selbst erklärt, das Denken zum Prädikat und Subjekt, d. i. zum Wesen und Grund des Denkens macht. Ich schließe, sagt Descartes, meine Augen, verstopfe meine Ohren und denke, ich sei ohne Welt, ohne Sinne, ohne Körper, ich kann mich also denken ohne Körperliches, also bin ich ein ohnkörperliches Wesen, d.h., ich mache es wie der Vogel Strauß, welcher sich für unsichtbar hält, wenn er nicht sieht, mit dem Bewußtsein der Gefahr auch das Dasein der Gefahr aufgehoben Glaubt. Im Denken als solchem habe ich kein Bewußtsein von meinem Kopfe, meinem Hirn, sowenig, als ich im Sehen ein Bewußtsein von meinen Augen, im Hören — versteht sich im gesunden und im Hören für sich — ein Bewußtsein von meinen Ohren habe. Im Denken weiß ich schlechterdings nichts von seinem Zusammenhange mit dem Hirn, ich weiß nur sozusagen, was es aus- und vorwärts, aber nicht, was es ein und rückwärts, was es für mich, aber nicht, was es an sich, kurz, ich weiß nur, was es seinen Produkten, den Gedanken nach ist, aber nicht, was es seinem letzten Wesen, seiner Ursache nach ist.121) Diese Unwissenheit des Menschen von dem physiologischen Grund und Wesen des Denkens ist die Basis, das Prinzip der Psycho- und Pneumatologie und ihrer Tochter, der Theologie, das Prinzip des Platonismus, Christianismus, der nichts andres ist als ein populärer, sinnlicher, konzentrierter Platonismus oder Spiritualismus überhaupt, des Cartesianismus, Fichteanismus und Hegelianismus. Descartes sagt selbst in seiner Antwort auf Gassendis Einwürfe: »Da ich wahrnehme, daß ich eine denkende Substanz bin und von dieser denkenden Substanz einen klaren und deutlichen Begriff bilde, welcher nichts von dem enthält, was zur körperlichen Substanz gehört, so habe ich hinreichenden Grund zu behaupten, daß ich, inwiefern ich mich selbst kenne (me quatenus me ipsum novi), nichts andres als ein denkendes Wesen bin.« Aber wie wenig kennt sich der Mensch, wenigstens solange, als er über dem göttlichen Wesen sein eignes, über dem Geist den Leib, über seinen Gedanken und Einbildungen die Wirklichkeit vergißt! Wie kann ich also gewiß sein, daß das Ich, das ich nicht kenne, mit dem mir bekannten dasselbe ist? Bin ich unbewußt nicht vielleicht etwas ganz andres, als ich bewußt bin? Aber wie komme ich denn hinter mein Bewußtsein? Gibt es kein Mittel, dieses Unbekannte, hinter dem Bewußtsein Liegende zum Bewußtsein zu bringen? Ja; aber es ist nicht das Denken, wenigstens das abstrakte, denn dieses sagt mir nur: Ich bin nichts weiter als ein denkendes Wesen; es ist das Gefühl, der Sinn, welcher mir unwidersprechlich beweist, daß ich ein mit meinem Leibe innigst verbundenes, ein körperliches, sinnliches Wesen bin. Diese Einheit oder Verbindung des denkenden und körperlichen Wesens erstreckt sich jedoch nach der Cartesianischen Philosophie nur auf die Imagination, die Einbildungskraft und das Gefühl; das Denken als solches, der Begriff, der Intellekt oder Verstand bleibt und wirkt getrennt und unabhängig vom Hirn. Und diese Unabhängigkeit desselben beweist oder erschließt sie hauptsächlich oder zuletzt nur aus dem Begriff des Verstandes, Denkens selbst; denn bei allen andern Begriffen wie z.B. den mathematischen ist die Konkurrenz der Einbildungskraft unverkennbar oder wenigstens unableugbar, aber »von der denkenden Substanz, vom Geiste läßt sich kein Bild, keine Vorstellung machen«; der Geist wird nur durch sich selbst, das Denken nur durch das Denken begriffen und erklärt.
Die Cartesianische Philosophie hat hierin wirklich einen Fortschritt gemacht, daß sie, während sonst der Geist als ein unsichtbares, immaterielles und doch zugleich wieder dem sichtbaren Menschen oder Körper ähnliches, durch den Leib ausgedehntes, gespenstisches Wesen vorgestellt wurde, das Wesen des Geistes in den Akt des Bewußtseins, des Denkens setzte. Ich denke, voilà tout; und der Denkakt ist kein Akt wie der Zeugungsakt, wie der Akt des Essens und Trinkens, Schmeckens und Riechens, Hörens und Sehens; es ist ein von allen diesen Akten, auf welche wir das Wesen der Sinnlichkeit einschränken, unterschiedner, unvergleichlicher, origineller, nur durch sich selbst zu fassender Akt. Aber wenn nun Descartes diesen Akt sogleich wieder als ein Wesen verselbständigt, zu einer von der Gattung der sinnlichen Wesen unterschiednen Gattung macht, beweist er damit, daß er selbst noch auf dem Boden des phantastischen Spiritualismus steht; denn dem Begriff des Dings oder Wesens, der Substanz unterstellt sich notwendig notwendig, denn er ist ja nur von der Anschauung abgezogen — das Bild einer sinnlichen Substanz, was schon daraus deutlich erhellt, daß Descartes den Begriff des Wesens ebensogut auf die Ausdehnung anwendet als auf das Denken. Mit Recht bemerkt daher der Verfasser der »Reise durch die Cartesianische Welt« [Daniel], als ihm die von ihren Leibern abgeschiednen Geister zweier Cartesianer erscheinen: »Ich habe vor einigen Tagen in Descartes gelesen, daß das Wesen der Seele darin besteht, daß sie eine denkende Substanz sei, also ohne Ausdehnung, ohne Gestalt, ohne Farbe. Wie reimt sich aber dies mit dem zusammen, was ich jetzt sehe. Ihr behauptet, bloße Geister zu sein, und doch sehe ich an euch verschiedne Farben, sehe euch in menschlicher Gestalt, sehe, daß ihr ebensogut wie ich ausgedehnte Wesen seid. Löst mir ums Himmels Willen diesen Widerspruch!« Und mit ebensoviel Recht bemerkt der Theosoph Oettinger in seinen schon früher angeführten »Auserles. Schriften Schwedenborgs« (V. Tl., 242) gegen die idealistische Erklärung des Denkens durch ein einfaches denkendes Wesen: »Die Idealisten sagen alle, derjenige sei ein Materialist, welcher statuiere, daß die Materie denken könne. Zum Denken aber gehört ein Wesen, das weder die physici noch die metaphysici bisher erkannt. M. le Cat nennt es ein Amphibium, eine mittlere Substanz zwischen Leib und Seele (freilich eine phantastische Bestimmung!). Denken kann keine Substanz aus eingepflanzter innerer Kraft der simplicité, sondern Denken, Reflektieren, Sich-selbst-offenbar-Werden hat seine Koordination zu den meningibus und membranis des Gehirns, zu dem aequilibrio solidorum et fluidorum in dem Leib, ja zu dem ganzen Umlauf des Geblüts. Magna vis sanguinis ad intelligentiam, sagt Hippokrates.« Ebenso richtig und anführungswert ist, was die ungenannte Verfasserin eines im Geiste der kabbalistischen Philosophie gegen Descartes, Hobbes und Spinoza geschriebnen Buchs, »Principia Philosophiae antiquissimae et recentissimae etc.«, Amstel. 1690122) gegen die Cartesianische Scheidung des Geistes vom Leibe sagt (p. 110-116): »Wenn der Geist wesentlich vom Körper unterschieden ist, warum bedarf er denn einen solchen organisierten Körper? Warum z.B. zum Sehen ein so wunderbar gebildetes und organisiertes körperliches Auge? Warum ein körperliches Licht, um die körperlichen Gegenstände zu sehen? Wenn er durch und durch nur Geist, durchaus nicht körperlich ist, warum ist er denn so mannigfacher körperlicher Organe, die doch gar nichts mit seinem Wesen gemein haben, benötigt? Ferner, warum ist denn der Geist oder die Seele so leidend in körperlichen Schmerzen? Wenn sie keine Körperlichkeit oder nichts Körperliches an sich hat, warum wird denn die Seele, sie, die doch von ganz andrer Natur ist, durch eine Wunde des Körpers so schmerzlich verwundet? Wahrlich lauter unauflösliche Fragen, wenn man nicht annimmt, daß die Seele eines und desselben Wesens mit dem Leibe ist, obgleich die Seele rücksichtlich der Lebendigkeit und Geistigkeit um viele Grade höher steht als der Leib.«