[Hexen- und Satansprozesse.]


Den Tierprozessen schließen sich die Hexen- und Satansprozesse, was den törichten Charakter der ihnen zugrunde liegenden Anschauungen anbelangt, würdig an, nur haben diese Prozesse eine so traurige und verhängnisvolle Rolle Jahrhunderte hindurch gespielt und so ungeheuere Menschenopfer gefordert, daß wir uns eines Grauens über diese Folgen menschlicher Torheit nicht erwehren können. Man spricht sehr viel von dem Hexenwahn und seinen Folgen als einem Schandfleck in der Geschichte der Menschheit, und es läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß der Glaube an die Existenz von Hexen, die Beschuldigungen, welche man gegen diese vorbrachte, in ihrer Unbegründetheit und Hartnäckigkeit einen wahnhaften Charakter zeigten. Allein die Verbreitung dieses Glaubens enthält, nachdem er von höchster kirchlicher Stelle nicht nur gebilligt, sondern geradezu gefordert wurde, an sich nichts Auffälliges und genügt auch keineswegs, die Ausdehnung und Andauer der Hexenprozesse zu erklären. Der Hexenglaube umfaßt nichts als die Annahme, daß von den Hexen eine Menge in ihrer Art chimärischer Verbrechen begangen werden können. Von dieser Möglichkeit bis zum tatsächlichen Geschehen war jedoch — selbst, wenn erstere als außer Zweifel stehend betrachtet wurde —, noch immer ein bedeutender Schritt und man mußte, da es sich in jeden einzelnen Hexenprozesse um Leben und Besitz der Angeklagten handelte, doch darauf bedacht sein, Beweise für die erhobenen Beschuldigungen zu erlangen. Man mag nun zugeben, daß Hexenverfolgungen in nicht wenigen Fällen lediglich aus Habgier und Rachsucht geschahen und deshalb die Beweiserhebung nur eine formelle war und daß die Angeschuldigten nicht selten unter den Qualen der Tortur über die ihnen zugeschriebenen Beziehungen zum Teufel alles das gestanden, was man von ihnen zu erfahren wünschte. Allein die ungeheure Zahl der Hexenbrände wird dadurch ebensowenig, wie durch die Ausbreitung des Hexenwahns an sich verständlich. Daß man Jahrhunderte hindurch unzählige arme Menschen und nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder einkerkerte, den grausamsten Torturen unterzog, sie verurteilte und verbrannte, ohne daß auch nur in einem einzigen Fall irgend ein tatsächlicher Beweis für die erhobenen Beschuldigungen beigebracht wurde und daß gegen dieses sinn- und ruchlose Vorgehen ebenfalls Jahrhunderte lang sich auch unter den Gebildetsten keine Stimme erhob, daß man auch in diesen Kreisen die verübten Greuel als etwas Berechtigtes, ja Selbstverständliches hinnahm, alles dies läßt sich nur durch einen Rückgang des Denkvermögens der intelligenteren Bevölkerungselemente erklären. Diese intellektuelle Schädigung ist meines Erachtens dem Einfluss der Scholastik zuzuschreiben, die, wie wir schon andeuteten, mit ihren dialektischen Spiegelfechtereien, ihren haarspaltenden Distinktionen und Quästionen den Sinn für das Reelle erstickt und die Fähigkeit, zwischen tatsächlichen und Scheinbeweisen zu unterscheiden, herabgedrückt hatte.

Die Hexenprozesse schwanden von der Bildfläche, lange bevor die Gesetzgebung ihnen den Boden entzogen hatte, nicht etwa infolge kirchlicher Mißbilligung oder der Einwirkung außergewöhnlicher Ereignisse, sondern einfach deshalb, weil in den Kreisen der Gebildeten wenigstens das Urteilsvermögen allmählich wieder so erstarkte, daß man den ungeheuerlichen Unsinn erkannte, der Jahrhunderte hindurch in den Hexenprozessen verübt worden war.


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Seite zuletzt aktualisiert: 13.12.2009 
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