[Intellektuelle Minderwertigkeit eines großen Teils der Verbrecher. Die Ergebnisse der ärztlichen Forschungen. Lombrosos geborener Verbrecher. Die Ansichten der deutschen Beobachter.]
Daß die Dummheit auf dem Gebiet der Kriminalität eine große Rolle spielt, hievon kann sich jeder überzeugen, der die Verhandlungen unserer Strafgerichte, speziell der Schwurgerichte, auch nur einige Zeit mit einer gewissen Aufmerksamkeit verfolgt. Sowohl die Ausführung der Straftaten (soweit es sich um Verbrechen handelt), als das Verhalten der Delinquenten nach denselben, die Art der Verwertung der durch die Straftat gewonnenen Vorteile, die Art der Verteidigung während der Voruntersuchung und in der öffentlichen Verhandlung, alles dieses weist darauf hin, daß die Verbrecher wenigstens zum großen Teil entschieden intellektuell minderwertige Individuen sind.
Der Eindruck, den die oberflächliche Beobachtung des Verbrechers schon gewährt, findet seine volle Bestätigung in den Ergebnissen der Untersuchungen, welche eine Reihe von ärztlichen Forschern über den Geisteszustand der Verbrecher in den letzten Dezennien angestellt haben. Die Resultate, zu welchen die einzelnen Beobachter gelangten, stimmen zwar nicht völlig überein. Speziell haben die deutschen Forscher die Ansicht Lombrosos und seiner Schule von dem "geborenen Verbrecher" und den seelischen und körperlichen Eigentümlichkeiten, die demselben zukommen sollen, nicht zu bestätigen vermocht. Allein darin stimmen die deutschen Forscher (Baer, Kirn, Aschaffenburg) mit den italienischen überein, daß sie den niedrigen Stand der Intelligenz des Durchschnittsverbrechers betonen. Lombroso bemerkt: "Könnte man eine Durchschnittssumme für den Verstand der Verbrecher mit eben der Sicherheit ermitteln wie für den Schädelinhalt, so würde man meines Erachtens zu demselben Ergebnis wie dort gelangen, d. h. man würde finden, daß ihr Verstand im Durchschnitt geringer ist, als bei den normalen Menschen". Baer hebt hervor, daß der niedere Stand der intellektuellen Entwicklung der Verbrecher nicht auf Rechnung der sozialen Umgebung und der Erziehungsverhältnisse gesetzt werden könne, d. h., daß es sich bei den Verbrechern um eine angeborene mangelhafte Veranlagung handle.
Die Beziehungen zwischen Dummheit und Kriminalität sind indes komplizierter Natur und können hier nur flüchtigst skizziert werden. In erster Linie kommt hier die Tatsache in Betracht, daß der seelische Defekt bei den Verbrechern sich zumeist nicht auf das intellektuelle Gebiet beschränkt, sondern auch die Gefühle, speziell die altruistischen und ethischen betrifft. Es gibt nicht wenige intelligente Menschen, welche trotz eines ausgesprochenen Mankos hinsichtlich der ethischen Gefühle mit den Strafgesetzen nicht in Konflikt kommen, da ihr Verstand für sie genügt, sie in den Bahnen des gesetzlich Zulässigen (aber deshalb nicht immer Moralischen) zu erhalten. Es sind dies jene kühlen Verstandesmenschen, die ihren Vorteil in der rücksichtslosesten Weise ausnützen und ihre Erfolge oft nur ihrem brutalen Drauflosgehen verdanken. Unsere Zeit liefert manche hervorragende Beispiele dieser Art, doch nomina sunt odiosa.
Ber Beschränkte ist, wie wir sehen werden, wegen seines intellektuellen Defizits schon mehr der Gefahr ausgesetzt als der Intelligente, in die Bahn des Verbrechens zu gelangen. Sind bei ihm auch die ethischen Gefühle wenig entwickelt — von dem vollständigen Mangel derselben (moral insanity) wollen wir hier ganz absehen — so entbehrt er einer überaus wichtigen Schutzwehr gegen antisoziale und kriminelle Neigungen. Der Beschränkte bedarf dieser Schutzwehr um so mehr, als sein Verstand ihm keine ausreichenden Direktiven für das Verbleiben auf dem Boden des Gesetzes gibt.
Zweitens: Der Beschränkte ist durch seine Veranlagung zum Kampf ums Dasein weniger ausgerüstet, als der Intelligentere; er verdient im Durchschnitt weniger als letzterer, versteht es weniger, mit dem Ertrag seiner Arbeit wirtschaftlich umzugehen, und gerät daher leicht in Notlagen, durch die er in die Arme des Verbrechens getrieben wird. Sehr wichtig ist dabei auch die erhöhte Suggestibilität, die sich mit der Dummheit zumeist verknüpft. Der Beschränkte ist für Eingebungen jeder Art zugänglicher als der Begabte, er kann daher auch zu Handlungen unmoralischer und verbrecherischer Natur durch die Gewährung oder Inaussichtstellung eines gewissen Lohnes leicht bestimmt werden. Oft ist es geradezu merkwürdig, um welch geringer Vorteile willen beschränkte Individuen, insbesondere Frauen, sich zu verbrecherischen Handlungen gebrauchen lassen, und daß sie dabei oft noch die gröbsten Mißhandlungen von seiten derjenigen ertragen, unter deren suggestivem Einfluss sie stehen.
Drittens: Die Urteilsschwäche des Beschränkten wird auch vielfach dadurch eine Quelle von Verbrechen daß sie denselben verhindert, die Folgen seiner Handlungen richtig abzuschätzen und bei einer Straftat die Chancen des Unentdecktbleibens nach allen Seiten zu erwägen. Selbst Verbrecher, die bei Verübung eines Deliktes eine große Raffiniertheit an den Tag legen, lassen in ihrem Kalkül häufig den einen oder anderen wichtigen Umstand außer Betracht, der schließlich zu ihrer Entdeckung führt. In vielen Fällen, so namentlich bei Verbrechen gegen das Leben, ist das kriminelle Vorgehen von einer Art, daß nur bei großer Verstandesschwäche die Hoffnung des Unentdecktbleibens genährt werden kann. Ein unbequemes Familienglied wird z. B. erschlagen und dann aufgehängt, und die Verbrecher glauben, damit die Annahme eines Selbstmordes genügend plausibel gemacht zu haben. Der beschränkte geistige Horizont läßt den Verbrecher offenbar zumeist wohl die Vorteile, aber nicht die Schattenseiten der Straftat genügend erkennen, und wenn zur Dummheit noch die Leidenschaft, speziell die Liebesleidenschaft sich gesellt, dann schwindet jede nüchterne Überlegung der Folgen, und der verbrecherische Plan wird ausgeführt, auch wenn keine irgendwie begründete Aussicht besteht, daß die Beteiligten dem Strafrichter entgehen. Besonders bezeichnend für die Verstandesschwäche der Verbrecher ist ihre Sorglosigkeit bezüglich der Zukunft und der törichte Gebrauch, den sie von dem unrechtmäßig erworbenen Gute machen. Große Summen werden in kurzer Zeit verpraßt, ohne Rücksicht darauf, was dann kommen wird, und dabei die Geldverschleuderung oft in einer Weise betrieben, welche die Aufmerksamkeit der Polizei auf den Delinquenten lenkt. Die Borniertheit, die sich in der Verwendung des unrechtmäßig Erworbenen zeigt, sticht oft sehr von der Schlauheit, mit der die Straftat ausgeführt wurde, ab. Das Ehepaar Schellhaas z. B. schaffte sich nach der Ermordung des Privatiers Kramm ein Automobil an, obwohl es vorher in den dürftigsten Verhältnissen gelebt hatte. Das Ehepaar, welches es verstand, einem Münchener Rechtsanwalt durch Erpressung die Summe von einer halben Million abzunehmen, vergeudete die erschwindelten Summen durch sinnlosesten Luxus und hatte schließlich nur Schulden.