§ 69. Ausbildung der Cartesianischen Philosophie durch Arnold Geulincx
Eine interessante und konsequente Ausbildung erhielt die Cartesische Philosophie durch Arnold Geulincx (geb. 1625 zu Antwerpen, gest. 1669), den Urheber des sogenannten Okkasionalismus, welcher darum eine besondere, wenngleich kurze Erwähnung und Darstellung verdient.125)
Das Prinzip seiner Philosophie ist wie bei Descartes der Geist, dessen Wesen das Denken ist, und zwar wie bei diesem das Denken, das lediglich nur die Abstraktion und Unterscheidungstätigkeit vom Sinnlichen, nur das auf sich selbst sich beziehende Bewußtsein ist. Der Geist, sagt Arnold Geulincx, oder ich (nämlich als Geist), denn es ist eins, bin etwas von allem Sinnlichen absolut Unterschiedenes, meine Begriffs- und Wesensbestimmung ist einzig das Denken. »Ego sola cognitione volitioneque definior.«
Unter den vielen äußeren Objekten aber, die ich von mir unterscheide, d. i. als materielle wahrnehme, finde ich auch ein materielles Objekt, einen Körper, der mit mir enge verbunden ist, den ich darum meinen Leib nenne und der die Gelegenheitsursache ist, daß ich die andern Körper dieser Welt vorstellen kann. Diesen Körper nun kann ich zwar mannigfach nach Willkür bestimmen oder bewegen, aber ich bin nicht die Ursache dieser Bewegung; denn ich weiß nicht, wie sie geschieht, und es ist unmöglich, daß ich das mache, von dem ich nicht einsehe, wie es gemacht wird. Nun weiß ich aber nicht, auf welche Weise die Bewegung von meinem Gehirn in meine Glieder sich fortpflanzt, und wenn ich gleich durch physikalische oder anatomische Versuche einige Kenntnisse mir hierüber verschafft habe, so fühle ich doch ganz deutlich, daß von diesen Erkenntnissen nicht im geringsten die Bewegung meiner Glieder abhängt und daß ich sie ebensogut bewegte, als ich gar nichts davon wußte. Wenn ich nun aber die Bewegung in meinem Körper nicht hervorbringe, so bringe ich noch viel weniger außer meinem Körper eine hervor.
Ich kann daher nichts außer mir hervorbringen; alles, was ich tue, bleibt in mir haften, kann nicht in meinen oder einen andern Körper übergehen. Ich bin also bloß Zuschauer dieser Welt, die einzige Handlung, die mein ist, die mir übrigbleibt, die ich tue, ist die Beschauung. Aber selbst dieses Beschauen geschieht auf eine wunderbare Weise. Denn die Welt kann sich nicht selbst anschaulich machen, sie ist an und für sich selbst unsichtbar. Sowenig wir auf das einwirken, was außer uns ist, ebensowenig wirkt das, was außer uns ist, auf uns ein; unsre Wirkungen können nicht über uns, die der Welt nicht über die Welt hinaus, sie dringen nicht bis zu unserm Geiste; unser Körper, als ein Teil der Welt, ist die Grenze, über die sie nicht hinauskönnen. Denn wenn auch z.B. im Akte des Sehens die äußern Objekte ein Bild in meinem Auge hervorbringen oder einen Eindruck in meinem Gehirn wie in einem Wachse machen, so ist doch dieser Eindruck oder dieses Bild nur etwas Körperliches oder Materielles, das daher in mich, der ich etwas ganz andres bin, nicht kommen kann, außerhalb meines Geistes stehenbleibt.
Gott ist es daher allein nach Arnold Geulincx, der das Äußere mit dem Innern und das Innere mit dem Äußern verbindet, der die äußern Erscheinungen zu innern Vorstellungen, zu Vorstellungen des Geistes, die Welt daher ihm anschaulich macht und die Bestimmungen des Innern, den Willen, zu äußerer, über die Grenze der Ichheit hinausgehender Tat werden läßt. Jede Wirkung, jede Handlung, die Äußeres und Inneres, die Geist und Welt (Gegensätze) verbindet, ist daher weder eine Wirkung des Geistes noch der Welt, sondern nur eine unmittelbare Wirkung Gottes.
Die Bewegung in meinen Gliedern, sagt Arnold Geulincx, erfolgt nicht auf meinen Willen, es ist nur Gottes Wille, daß diese Bewegungen erfolgen, wenn ich will. Mein Wille bewegt jedoch nicht den Beweger dazu, daß er meine Glieder bewegt, sondern der, welcher der Materie die Bewegung mitteilte und ihr Gesetze gab, eben der schuf auch meinen Willen, und er hat daher die unterschiedlichsten Dinge, die Bewegung der Materie und die Willkür meines Willens, so untereinander verbunden, daß, wenn mein Wille will, eine solche Bewegung erfolgt, als er will, und wenn die Bewegung erfolgt, der Wille sie will, ohne daß sie jedoch ineinander einwirken oder einen physischen Einfluß gegenseitig auf sich ausüben. Im Gegenteil, wie die Übereinstimmung zweier Uhren, die ganz gleich gehen, so daß, wenn die eine, auch die andere die Stunden schlägt, nicht von einer gegenseitigen Einwirkung, sondern nur daher kommt, daß beide gleichgerichtet oder gestellt wurden, so hängt die Übereinstimmung der Bewegungen des Körpers und des Willens nur von jenem erhabnen Künstler ab, der sie auf diese unaussprechliche Weise miteinander verbunden hat.
Meine Handlung geht daher nicht eigentlich über mich hinaus, sie bleibt immer in mir haften; nur deswegen, weil mit meiner Handlung, d. i. meinem Willen, Gott Bewegungen in meinem Körper verknüpft hat, scheint die Handlung meines Willens, wenn Bewegungen auf sie folgen oder sie begleiten, gleichsam außer mich hinaus und in meinen Körper überzugehen; jedoch die Handlung selbst, sie, wie sie meine Handlung ist, geht nicht über mich hinaus; denn die in den Körper übergegangene Handlung ist nicht mehr meine, sondern die Handlung des Bewegers.
Gott also verknüpft oder vereinigt durch seinen Willen nach bestimmten Gesetzen Geist und Körper, aber die Art und Weise, wie er sie verknüpft, ist unerkennbar, ist unaussprechlich; denn unaussprechlich ist das, von dem man wohl erkennt, daß es ist, aber nicht, wie es ist. Die Vereinigung von Geist und Körper ist daher ein Wunder, und ich selbst als der Zuschauer der Welt bin unter den anstaunungswürdigen Wundern der Welt das größte und unaufhörliche Wunder; denn es ist unbegreiflich, wie ich, der ich so ganz und gar von der Welt unterschieden bin, sie anschauen kann.