§ 28. Hobbes' philosophia prima
Wenn wir uns von einer Sache nicht ihre Beschaffenheit, sondern nur ihre Existenz außer unserer Seele vorstellen, so haben wir die Vorstellung oder das Bild des Raums. Der Raum ist daher die Vorstellung einer existierenden Sache lediglich als existierenden, d. i. ohne die Vorstellung irgend eines andern Akzidenz außer ihrer Erscheinung außer der Seele. (»Phil. prima«, c. 7, § 2)
Wie der Körper von seiner Größe, so läßt auch der bewegte Körper von seiner Bewegung eine Vorstellung in der Seele zurück, nämlich die Vorstellung eines jetzt diesen, jetzt einen andern Raum in ununterbrochener Sukzession durchlaufenden Körpers. Diese Vorstellung ist die Zeit, die Zeit daher die Vorstellung der Bewegung, inwiefern wir in ihr Sukzession vorstellen. Nicht ganz richtig nennt daher Aristoteles die Zeit das Maß der Bewegung, denn wir messen die Zeit durch die Bewegung, nicht aber die Bewegung durch die Zeit. (§ 3)
Körper ist das, was unabhängig von unserer Vorstellung, für sich selbst bestehend existiert und mit irgendeinem Teile des Raums zusammenfällt oder sich mit ausdehnt. Körper ist daher das, dem Ausdehnung, Substanzialität und Existenz zukommt. (c. 8, § 1)
Das Akzidenz dagegen ist die bestimmte Art und Weise, wie wir den Körper vorstellen. Das Akzidenz ist wohl, wie man sich auszudrücken pflegt, in dem Körper, aber nicht so, wie ein Teil im Ganzen, denn sonst wäre das Akzidenz ein Körper, sondern so, wie die Größe oder Ruhe oder Bewegung in dem ist, was groß ist, was ruht, was sich bewegt. Die Akzidenzen, die nicht allen Körpern gemein, sondern nur einigen eigen sind, können untergehen, ohne daß der Körper untergeht. Aber ohne Ausdehnung oder Figur kann der Körper weder sein noch vorgestellt werden. (§ 3)
Die Ausdehnung des Körpers ist dasselbe, was seine Größe, oder das, was einige den wirklichen Raum (spatium reale) nennen. Diese Größe aber hängt nicht von unserer Vorstellung ab wie der imaginäre Raum, denn die Größe ist die Ursache von diesem, sie ist das Akzidenz eines außer der Seele existierenden Körpers, er ein Akzidenz der Seele. (§ 4)
Der Raum (nämlich der Raum der Vorstellung, der imaginäre Raum), der mit der Größe eines Körpers zusammenfällt, heißt der Ort dieses Körpers und der Körper selbst örtlich. Der Ort ist aber unterschieden von der Größe, denn der Körper behält immer dieselbe Größe, aber nicht denselben Ort. Der Ort ist nur die Vorstellung irgendeines Körpers von dieser oder jener Größe und Gestalt, die Größe aber sein eigentümliches Akzidenz, der Ort nur die eingebildete Ausdehnung, die Größe die wirkliche Ausdehnung oder ein Ausgedehntes. (§ 5)
Die Bewegung ist die kontinuierliche Verneinung oder Verlassung eines Orts und die Erlangung eines andern. Die Bewegung kann nur in der Zeit vorgestellt werden. Denn da die Zeit die Vorstellung der Bewegung ist, so hieße die Bewegung nicht in der Zeit vorstellen so viel, als die Bewegung ohne die Vorstellung der Bewegung vorstellen. (§ 10)
Ein Körper ruht, wenn er eine Zeitlang an denselben Orten ist. Was sich bewegt, das ist nie an einem bestimmten Orte auch nur die geringste Zeitlang; dasselbe hat sich bewegt, denn es ist jetzt an einem andern Orte, als es früher war, und wird sich bewegen, denn es verläßt den Ort, wo es ist, und wird daher einen andern erlangen. In jedem Teile des Raumes daher, durch den die Bewegung geht, können drei Zeitmomente, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, unterschieden werden. (§ 11)
Was ruht, würde immer ruhen, wenn nicht etwas anderes außer ihm wäre, welches es außer den Zustand der Ruhe versetzte. Ebenso würde sich alles, was sich bewegt, immerfort bewegen, wenn nicht etwas anderes außer ihm seine Bewegung verhinderte. Denn wenn man kein äußeres Hindernis annehmen wollte, so wäre kein Grund einzusehen, warum es jetzt vielmehr als zu einer andern Zeit ruhen müßte; seine Bewegung würde daher in jedem Zeitpunkt zugleich aufhören, was undenkbar ist. Alles, was sich bewegt, würde immer mit derselben Geschwindigkeit und in derselben Richtung sich fortbewegen, hinderte es nicht daran ein anderer bewegter und es berührender Körper. (§ 19 et c. 15, § 1)
Die unmittelbar wirkende Ursache jeder Bewegung (nach vorausgegangener Ruhe) ist daher ein anderer bewegter und berührender Körper. Oder allgemeiner: Jede Bewegung hat nur wieder eine andere zur Ursache. (»Phys.«, c. 26, § 1)
Nach seiner Geometrie, den mathematischen Abhandlungen von dem Verhältnisse der Bewegung und Größen, geht nun Hobbes zur eigentlichen Physik über, die er mit der Empfindung beginnt. Der alles nivellierenden Indifferenz seines Denkens gemäß legt er auch bei der Empfindung die mechanischen Gesetze der Bewegung zugrunde; aber dessenungeachtet sind auch hier berücksichtigungswerte Gedanken zu finden.