§ 27. Kritische Übersicht der Hobbesschen Naturansicht


Wie das Denken, die innigste Tätigkeit des Geistes, bei Hobbes weiter nichts ist als die ganz äußerliche, mechanische Operation des Rechnens, so ist ihm die Natur auch nicht Gegenstand als ein lebendiges Wesen, als Natur, sondern, um einen Ausdruck aus der neuern Philosophie zu nehmen, als ein totes Objekt, und seine Naturphilosophie daher nicht Naturphilosophie, sondern nur Körper- und Bewegungslehre; denn dem, was in der neuern Philosophie Objekt genannt wurde, entspricht das, was in der frühern Körper oder Materie hieß. Hobbes legt bei seiner Naturphilosophie einzig und allein die mathematische Anschauung zugrunde, die Mathematik hat bei ihm nicht wie bei Bacon sekundäre, sondern primitive, produktive Bedeutung; aus ihr allein erzeugt er sozusagen die Natur. Dem zufolge ist notwendig das einzig Substanzielle und Wirkliche von der Natur bei ihm der Körper als Körper lediglich und allein in der Bestimmung der Quantität oder Größe.52) Diese ist das einzig wesentliche und reale Prädikat, ohne das der Körper nicht sein noch vorgestellt werden kann. Und da als das Substanzielle von der Natur lediglich der Körper als Körper zugrunde gelegt ist, der Körper als solcher aber ein Totes, ein Gleichgültiges, ein Auseinandergetrenntsein ist, so kann die Aufhebung dieser Gleichgültigkeit und Getrenntheit der Körper, eine Aufhebung, durch welche Verbindung und Zusammenhang und durch diese erst Leben und Bestimmung entsteht, der Körper ein bestimmter Körper, die Größe eine qualitative wird, nur die Bewegung, und zwar die mechanische, in Druck, Stoß, Zug sich äußernde Bewegung sein. Das Prinzip der Bestimmung ist also die Bewegung.53) Da aber jede Bewegung bei diesen Voraussetzungen nur eine andere Bewegung zum Grunde hat, diese wieder eine andere und so fort, da das Prinzip und der Anfang der Bewegung nicht in der Natur als bloßem Körper liegen kann, so ist die Bewegung nur von dem denkenden Subjekte, das sie als eine Tatsache aus der Erfahrung aufgenommen, in die Natur hineingetragen, sie ist ihr nicht immanent. Die sinnlichen Qualitäten, welche aus dem mathematischen Körper erst den sinnlichen und empfindlichen, den physikalischen machen, welche die Dinge differenzieren und spezifizieren und durch diese Besonderung und Unterscheidung Geist und Seele in den Körper hauchen, die sinnlichen Qualitäten sind daher auch, eben weil nur der mathematische Körper, der Körper als Körper, als das Reale und Wirkliche bestimmt ist, notwendig nach Hobbes weiter nichts als wesenlose Akzidenzen, Produkte der Bewegung des einwirkenden Objektes und des rückwirkenden, dagegenstrebenden Subjektes, d. i. Erscheinungen, Bilder, Vorstellungen (phantasmata) des empfindenden Subjektes. Es ist allerdings ein hoher und wahrer Gedanke, daß die Bewegung das Prinzip der Natur ist, aber wie nach Aristoteles die ältern Naturphilosophen Griechenlands darin fehlten, daß sie ein bestimmtes Element zum Prinzip der Dinge machten, das eben als ein bestimmtes nicht das allgemeine Prinzip der so sehr unterschiedlich bestimmten natürlichen Dinge sein kann, so fehlten Hobbes und Cartesius, der im wesentlichen wie Hobbes über die Natur dachte, zwar nicht darin, daß sie die Bewegung zum Prinzip der Bestimmung und Differenzierung der Materie, damit zum Prinzip der Dinge selbst machten, aber wohl darin, daß sie eine besondere, die mechanische, nur mathematisch bestimmbare Bewegung zum allgemeinen Prinzip erhoben. Solange daher die mathematischen Anschauungen den Geist beherrschten, konnte keine wahre Anschauung vom Leben, von der Natur der Qualität, dem eigentlich Physikalischen, entstehen. Der Mathematiker muß die mechanische Bewegung zum allgemeinen Prinzip, die Natur zu einer Maschine machen, sonst ist sie ihm nicht mathematisch konstruierbar. Die Qualität, die gerade die Natur beseelt, das Physikalische, das Feuer des Lebens in sie haucht, ist in der quantitativen Anschauung der Natur ein Aufgehobenes, Ideelles, ein bloßes Akzidenz, ein Unreales, und selbst das Leben kommt in ihr nur als Maschine in Betracht, sie mag nun als hydraulische oder sonstwie bezeichnet werden.

 

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52) Intelligendum est... Accidentia quidem ea, propter quae aliam rem animal, aliam arborem, aliam aliter nominamus, generari et interire et proinde nomina illa non amplius ipsis convenire, quae prius conveniebant, non autem generari aut perire magnitudinem, propter quam nominamus aliquid corpus. Philosophi, quibus a ratione naturali discedere non licet, supponunt, corpus generari aut interire non posse, sed tantum sub diversis speciebus aliter atque aliter nobis apparare... Accidentia autem caetera praeter magnitudinem sive extensionem omnia generari et interire posse, manifestum est... Corpora itaque et accidentia, sub quibus varie apparent, ita differunt, ut corpora quidem sint res non genitae, accidentia vero genita, sed non res. ([»De Corpore«, Sect. II:] »Philosoph. prima«, c. 8, § 20)

53) Causae Universalium (z.B. lineae, planianguli) (eorum quorum causae aliquae omnino sunt) manifestae sunt per se sive naturae (ut docunt) notae, ita ut nulla omnino Methodo indigeant; causa enim eorum omnium Universalis una, est motus. Nam et figurarum omnium varietas ex varietate oritur motuum quibus construuntur nec motus aliam causam habere intelligi potest praeter alium motum, neque varietates rerum sensu perceptarum ut colorum, sonorum, saporum etc. aliam habent causam praeter motum. (»Log.«, c. 6, § 5)


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