Über Selbstmord
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Wenn Selbstmord ein Verbrechen ist, so muss er eine Übertretung unserer Pflicht gegen Gott, gegen unsere Nächsten oder gegen uns selbst sein. Um zu beweisen, dass Selbstmord keine Übertretung unserer Pflicht gegen Gott ist, genügt vielleicht die folgende Überlegung. Um die materielle Welt zu regieren, hat der allmächtige Schöpfer allgemeine und unveränderliche Gesetze aufgestellt, durch welche alle Körper, vom größten Planeten bis zum kleinsten Teilchen der Materie, in der ihnen angewiesenen Bahn und Verrichtung erhalten werden. Die tierische Welt zu regieren, hat er alle lebenden Wesen mit körperlichen und geistigen Fähigkeiten ausgestattet: mit Sinnen, Gefühlen, Begierden, Gedächtnis und Urteil, durch welche sie in dem ihnen bestimmten Lebenslauf angetrieben und geleitet werden. Diese beiden verschiedenen Prinzipien der materiellen und der tierischen Welt suchen einander beständig einzuschränken und hemmen oder fördern gegenseitig ihre Wirksamkeit. Die Kräfte des Menschen und der andern Tiere werden durch die Natur und Eigenschaften der umgebenden Körper beständig eingeschränkt und geleitet, und die Modifikationen und Bewegungen dieser Körper werden durch die Tätigkeit aller Tiere fortwährend verändert. Der Mensch wird in seiner Wanderung über die Oberfläche der Erde durch Flüsse aufgehalten, und Flüsse leihen, richtig geleitet ihre Kraft zur Bewegung von Maschinen, welche dem Menschen dienen. Aber obwohl die Gebiete der materiellen und tierischen Kräfte nicht gänzlich getrennt sind, so entspringt doch daraus kein Zwiespalt und keine Unordnung in der Schöpfung; im Gegenteil, aus der Vermischung, Einigung und Gegensätzlichkeit all der verschiedenen Kräfte lebloser Körper und lebender Wesen entspringt jene Sympathie, Einstimmigkeit und Verhältnismäßigkeit, welche den sichersten Beweis für eine oberste Weisheit bietet. Die Vorsehung Gottes erscheint nicht unmittelbar in irgendeiner Handlung, sondern sie lenkt alle Dinge durch jene allgemeinen und unveränderlichen Gesetze, welche vom Anfang der Zeit an errichtet sind. Alle Ereignisse können in einem gewissen Sinne Handlungen des Allmächtigen genannt werden; sie entspringen alle aus jenen Kräften, mit welchen er die Kreaturen begabt hat. Ein Haus, welches durch sein eigenes Gewicht fällt, ist nicht mehr durch seine Vorsehung zu Fall gebracht als ein anderes, das durch Menschenhände zerstört wird; noch sind die menschlichen Fähigkeiten weniger sein Werk, als die Gesetze der Bewegung und Gravitation. Wenn die Gefühle sich entfalten, wenn der Wille befiehlt, wenn die Glieder gehorchen, so ist das alles Gottes Handlung; und sowohl über diese belebten als über die unbelebten Prinzipien hat er die Weltregierung aufgerichtet. Jedes Ereignis ist in den Augen des unendlichen Wesens, welches in einem Augenblick die entferntesten Orte des Raumes und die entlegensten Zeiträume umfasst, gleich wichtig. Es gibt kein Ereignis, wie wichtig es für uns sein mag, das er von den allgemeinen weltbeherrschenden Gesetzen ausgenommen und im Besonderen seiner eigenen unmittelbaren Handlung und Einwirkung vorbehalten hätte. Die Umwälzung von Staaten und Reichen beruht auf der kleinsten Laune oder Gemütsbewegung eines einzigen Mannes; und das Leben der Menschen wird durch den kleinsten Zufall der Luft oder der Lebensweise, Sonnenschein oder Unwetter, verkürzt oder verlängert. Die Natur hält ihren Lauf und ihre Wirkungsweise ein, und wenn jemals die allgemeinen Gesetze durch besondere Willensakte der Gottheit durchbrochen werden, so geschieht dies auf eine Weise, welche der menschlichen Beobachtung durchaus entgeht. Wie auf der einen Seite die Elemente und die andern leblosen Teile der Schöpfung ohne Rücksicht auf die besonderen Interessen und Umstände der Menschen wirken, so sind die Menschen bei den mannigfachen Zusammenstößen mit der Materie auf eigenes Urteil und eigenes Belieben angewiesen und mögen jede Fähigkeit mit welcher sie ausgestattet sind, anwenden, um sich Wohlsein, Glück und Erhaltung zu verschaffen. Was bedeutet nun jener Grundsatz, dass ein Mensch, welcher des Lebens müde und gehetzt von Schmerz und Elend die natürlichen Schrecken des Todes mannhaft überwindet und sich jenem grausamen Schauspiel entzieht, dass, sage ich, ein solcher Mann durch einen Eingriff in das Geschäft der göttlichen Vorsehung und durch Störung der Weltordnung den Zorn des Schöpfers auf sich geladen haben soll? Sollen wir sagen, dass der Allmächtige die Verfügung über das Lebender Menschen in einer besonderen Weise sich vorbehalten und dieses Ereignis nicht in gleicher Weise, wie alle anderen, den allgemeinen Gesetzen des Weltlaufs unterstellt hat? Das ist offenbar falsch; das Leben der Menschen hängt von denselben Gesetzen ab, wie das Leben aller andern Tiere, und diese sind den allgemeinen Gesetzen der Materie und der Bewegung unterworfen. Der Fall eines Turmes oder die Beibringung eines Giftes zerstört einen Menschen ebenso, wie die gemeinste Kreatur; eine Überschwemmung fegt alles, was in dem Bereich ihrer Wut ist, ohne Unterschied hinweg. Wenn demnach das Leben der Menschen von den allgemeinen Gesetzen der Materie und der Bewegung für immer abhängig ist, ist die Verfügung über dasselbe deshalb verbrecherisch, weil es in jedem Fall verbrecherisch ist, in diese Gesetze Eingriffe zu machen oder ihre Wirkung zu durchkreuzen? Aber das erscheint unsinnig: alle Tiere sind rücksichtlich ihrer Lebensführung der eigenen Klugheit und Geschicklichkeit überlassen, und haben volles Recht, soweit ihre Kraft reichte die Wirkungen der Natur abzuändern. Ohne die Übung dieses Rechtes könnten sie nicht einen Augenblick leben; jede Handlung, jede Bewegung eines Menschen verändert die Ordnung der materiellen Teile und lenkt die allgemeinen Gesetze der Bewegung von ihrem gewöhnlichen Lauf ab. Fassen wir diese Folgerungen zusammen, so finden wir, dass das menschliche Leben von den allgemeinen Gesetzen der Materie und Bewegung abhängt, und dass es kein Eingriff in das Geschäft der Vorsehung ist, diese allgemeinen Gesetze zu durchkreuzen oder zu ändern: hat folglich nicht jeder die freie Verfügung über sein Leben? Und kann er nicht mit vollem Recht von der Macht, welche ihm die Natur verliehen hat, Gebrauch machen? Um die Beweiskraft dieses Schlusses zu vernichten, müsste ein Grund aufgezeigt werden, weshalb dieser spezielle Fall ausgenommen ist. Ist es deshalb, dass menschliches Leben so große Bedeutung hat, dass es für menschliche Einsicht zu anmaßend ist, darüber zu verfügen? Aber das Leben eines Menschen hat für das Weltall nicht größere Bedeutung als das einer Auster; und wäre es von wie großer Bedeutung immer, so hat die Ordnung der menschlichen Natur es tatsächlich doch menschlicher Einsicht unterworfen und nötigt uns in jedem Augenblick bezüglich desselben Beschlüsse zu fassen.
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