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§ 34. Prinzipielle Ausgestaltung der phänomenologischen Methode. Die transzendentale Analyse als eidetische

Mit der Lehre vom Ich als Pol seiner Akte und als Substrat von Habitualitäten haben wir schon, und in einem bedeutsamen Punkt, die Problematik der phänomenologischen Genesis berührt, und damit die Stufe der genetischen Phänomenologie. Ehe wir ihren genaueren Sinn klären, bedarf es einer neuerlichen Besinnung über die phänomenologische Methode. Es muß endlich eine fundamentale methodische Einsicht zur Geltung gebracht werden, die, einmal erfaßt, die gesamte Methodik der transzendentalen Phänomenologie (und ebenso auf dem natürlichen Boden die einer echten und reinen Innenpsychologie) durchdringt. Nur um der Erleichterung des Zugangs in die Phänomenologie willen führen wir sie so spät an. Die übergroße Mannigfaltigkeit neuartiger Aufweisungen und Probleme sollte zunächst im schlichteren Gewande einer bloß empirischen (obschon nur in der transzendentalen Erfahrungssphäre verlaufenden) Deskription wirken. Dem gegenüber bedeutet die Methode eidetischer Deskription eine Überleitung aller solchen Deskription in eine neue, eine prinzipielle Dimension, die zu Anfang die Schwierigkeiten des Verständnisses erhöht hätte, während sie nach einer Fülle empirischer Deskriptionen leicht zu erfassen ist.

Jeder von uns, als cartesianisch Meditierender, wurde durch die Methode der phänomenologischen Reduktion auf sein transzendentales Ego zurückgeführt, und natürlich mit seinem jeweiligen konkret-monadischen Gehalt als dieses faktische, als das eine und einzige absolute Ego. Ich, als dieses Ego, finde, immer weiter meditierend, deskriptiv faßbare und intentional zu entfaltende Typen und könnte schrittweise in der intentionalen Enthüllung meiner Monade in den sich ergebenden Grundrichtungen fortschreiten. Aus guten Gründen drängten sich öfters bei den Beschreibungen Ausdrücke wie Wesensnotwendigkeit, wesensmäßig auf, worin ein bestimmter, erst von der Phänomenologie geklärter und umgrenzter Begriff des Apriori zum Ausdruck kommt.

Worum es sich hier handelt, wird an Beispielen sofort verständlich werden. Greifen wir irgendeinen Typus intentionaler Erlebnisse, der Wahrnehmung, der Retention, Wiedererinnerung, des Aussagens, des An-etwas-Gefallen-Habens, Danach-Strebens und dgl. heraus und denken wir ihn nach seiner Artung intentionaler Leistung, also nach Noesis und Noema expliziert und beschrieben. Das kann besagen, und so verstanden wir es bisher, daß Typen faktischer Vorkommnisse des faktischen transzendentalen Ego in Frage seien und die transzendentalen Deskriptionen also empirische Bedeutung haben sollten. Aber unwillkürlich hielt sich doch unsere Beschreibung in einer solchen Allgemeinheit, daß die Ergebnisse davon nicht betroffen sind, wie immer es mit den empirischen Tatsächlichkeiten des transzendentalen Ego stehen mag.

Machen wir uns das klar und dann methodisch fruchtbar. Ausgehend vom Exempel dieser Tischwahrnehmung variieren wir den Wahrnehmungsgegenstand Tisch in einem völlig freien Belieben, jedoch so, daß wir Wahrnehmung als Wahrnehmung von etwas — von etwas, beliebig was — festhalten, etwa anfangend damit, daß wir seine Gestalt, die Farbe usw. ganz willkürlich umfingieren, nur identisch festhaltend das wahrnehmungsmäßige Erscheinen. Mit anderen Worten, wir verwandeln das Faktum dieser Wahrnehmung unter Enthaltung von ihrer Seinsgeltung in eine reine Möglichkeit und unter anderen ganz beliebigen reinen Möglichkeiten — aber reinen Möglichkeiten von Wahrnehmungen. Wir versetzen gleichsam die wirkliche Wahrnehmung in das Reich der Unwirklichkeiten, des Als-ob, das uns die reinen Möglichkeiten liefert, rein von allem, was an das Faktum und jedes Faktum überhaupt bindet. In letzterer Hinsicht behalten wir diese Möglichkeiten auch nicht in Bindung an das mitgesetzte faktische Ego, sondern eben als völlig freie Erdenklichkeit der Phantasie — so daß wir auch von vornherein als Ausgangsexempel ein Hineinphantasieren in ein Wahrnehmen hätten nehmen können, außer aller Beziehung zu unserem sonstigen faktischen Leben. Der so gewonnene allgemeine Typus Wahrnehmung schwebt sozusagen in der Luft — in der Luft absolut reiner Erdenklichkeiten. So aller Faktizität enthoben, ist er zum Eidos Wahrnehmung geworden, dessen idealen Umfang alle idealiter möglichen Wahrnehmungen als reine Erdenklichkeiten ausmachen. Die Wahrnehmungsanalysen sind dann Wesensanalysen, alles was wir über die zum Typus Wahrnehmung gehörigen Synthesen, über Horizonte der Potentialität usw. ausgeführt haben, gilt, wie leicht ersichtlich, wesensmäßig für alles in dieser freien Variation zu Bildende, also für alle erdenklichen Wahrnehmungen überhaupt, mit anderen Worten in absoluter Wesensallgemeinheit und für jeden herausgegriffenen Einzelfall in Wesensnotwendigkeit, also auch für jede faktische Wahrnehmung, sofern jedes Faktum als bloßes Exempel einer reinen Möglichkeit zu denken ist.

Da die Variation als evidente, also in reiner Intuition die Möglichkeiten als Möglichkeiten selbstgebende gemeint ist, so ist ihr Korrelat ein intuitives und apodiktisches Allgemeinheitsbewußtsein. Das Eidos selbst ist ein erschautes bzw. erschaubares Allgemeines, ein reines, unbedingtes, nämlich durch kein Faktum bedingt, seinem eigenen intuitiven Sinne gemäß. Es liegt vor allen Begriffen im Sinne von Wortbedeutungen, die vielmehr als reine Begriffe ihm angepaßt zu bilden sind.

Wird so jeder einzeln herausgegriffene Typus aus seinem Milieu des empirisch-faktischen transzendentalen Ego in die reine Wesenssphäre hinaufgehoben, so verschwinden nicht die intentionalen Außenhorizonte, die seinen enthüllbaren Zusammenhang im Ego indizieren; nur daß diese Zusammenhangshorizonte selbst zu eidetischen werden. Mit anderen Worten, wir stehen mit jedem eidetisch reinen Typus zwar nicht im faktischen Ego, sondern in einem Eidos Ego; oder jede Konstitution einer wirklich reinen Möglichkeit unter reinen Möglichkeiten führt implicite mit sich als ihren Außenhorizont ein im reinen Sinne mögliches Ego, eine reine Möglichkeitsabwandlung meines faktischen. Wir könnten auch von vornherein dieses frei variiert denken und die Aufgabe der Wesensforschung der expliziten Konstitution eines transzendentalen Ego überhaupt stellen. So hat es die neue Phänomenologie von Anfang an getan, und demgemäß waren alle bisher von uns behandelten Deskriptionen bzw. Problembegrenzungen in der Tat Zurückübersetzungen aus der ursprünglichen eidetischen Gestalt in die einer empirischen Typik. Wenn wir also eine Phänomenologie rein nach eidetischer Methode als intuitiv-apriorische Wissenschaft ausgebildet denken, so sind alle ihre Wesensforschungen nichts anderes als Enthüllungen des universalen Eidos transzendentales Ego überhaupt, das alle reinen Möglichkeitsabwandlungen meines faktischen und dieses selbst als Möglichkeit in sich faßt. Die eidetische Phänomenologie erforscht also das universale Apriori, ohne das ich und ein transzendentales Ich überhaupt nicht erdenklich ist, oder, da jede Wesensallgemeinheit den Wert einer unzerbrechlichen Gesetzmäßigkeit hat, sie erforscht die universale Wesensgesetzlichkeit, die jeder Tatsachenaussage über Transzendentales ihren möglichen Sinn (mit dem Gegensatz Widersinn) vorzeichnet.

Als cartesianisch meditierendes Ego von der Idee einer Philosophie als absolut streng begründeter Universalwissenschaft geleitet, deren Möglichkeit ich versuchsweise zugrunde legte, wird mir nach Durchführung der letzten Überlegungen evident, daß ich zunächst eine rein eidetisdie Phänomenologie durchführen muß und daß in ihr allein sich die erste Verwirklichung einer philosophischen Wissenschaft — die einer „ersten Philosophie“ — vollzieht oder vollziehen kann. Geht auch mein eigentliches Interesse nach der transzendentalen Reduktion auf mein reines Ego, auf seine, dieses faktischen Ego Enthüllung, so kann diese Enthüllung zu einer echt wissenschaftlichen nur werden unter Rekurs auf die ihr, das ist dem Ego als einem Ego überhaupt, zugehörigen apodiktischen Prinzipien, auf die Wesensallgemeinheiten und Notwendigkeiten, mittels deren das Faktum auf seine rationalen Gründe, auf die seiner reinen Möglichkeit zurückbezogen und damit verwissenschaftlicht (logifiziert) wird. Es ist wohl darauf zu achten, daß im Übergang von meinem Ego zu einem Ego überhaupt weder die Wirklichkeit noch Möglichkeit eines Umfanges von Anderen vorausgesetzt ist. Hier ist der Umfang des Eidos Ego durch Selbstvariation meines Ego bestimmt. Mich fingiere ich nur, als wäre ich anders, nicht fingiere ich Andere. So geht „an sich“ die Wissenschaft der reinen Möglichkeiten derjenigen von den Wirklichkeiten vorher und macht sie als Wissenschaft überhaupt erst möglich. Wir erheben uns zur methodischen Einsicht, daß neben der phänomenologischen Reduktion die eidetische Intuition die Grundform aller besonderen transzendentalen Methoden ist, daß also beide den rechtmäßigen Sinn einer transzendentalen Phänomenologie durchaus bestimmen.