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Fünftes Kapitel

Zur selben Zeit, da sich sein Wunsch verschärfte, sich einem hassenswerten Zeitalter von unwürdigen Stockfischen zu entziehn, machte sich das Bedürfnis immer gewaltsamer geltend, keine Bilder mehr zu sehn, die das menschliche Antlitz darstellten, Bilder solcher Personen, die in Paris nur zwischen ihren vier Wänden herumkrauchen oder auf den Straßen auf der Suche nach Geld lungern.

Nachdem er sich mit dem Leben und Treiben seiner Zeit abgefunden hatte, hatte er sich vorgenommen, keine Larven, die ihm nur Widerwillen oder Bedauern einflößten, in seine Zelle einzuführen; er wünschte Gemälde, die zarte und köstliche Phantasien alter Zeit und klassischer Verderbtheit vorstellten, die unsern Tagen und Sitten fern liegen.

Er brauchte zum Ergötzen seines Geistes wie zur Freude seiner Augen einige Gemälde, die ihn in eine unbekannte Welt einführen, ihm die Spuren neuer Ideen enthüllen und sein Nervensystem durch hysterische Sensationen erschüttern sollten.

Da gab es einen Künstler vor allen, der ihn zu großer Begeisterung hinriß: Gustav Moreau.

Zwei seiner Meisterwerke befanden sich in seinem Besitz; und während der Nacht saß er oft träumend vor dem einen, dem Gemälde der Salome:

Ein Thron, dem Hochaltar einer Kathedrale gleich, stand unter gewaltigen Wölbungen, die aus niedrigen Säulen emporwachsen, ähnlich römischen Pfeilern, glasiert mit bunten Ziegeln, in Mosaik gefaßt und mit Lasursteinen und Sardonyxen eingelegt: ein Palast, einer Basilika ähnlich, in mohammedanisch-byzantinischer Architektur aufgeführt.

In der Mitte des Tabernakels, das den Altar überragte, zu dem einige Stufen in halbrunder Form hinaufführten, saß der Tetrarch Herodes, auf dem Kopfe die Tiara, die Beine emporgezogen und die Hände auf den Knien.

Sein Gesicht war gelb wie Pergament, alterzerstört und voller Falten; sein langer Bart wallte wie eine weiße Wolke über das Edelgestein, mit dem sein aus Goldstoff gefertigtes und die Brust bedeckendes Gewand besät war.

Um diese unbewegliche Statue, die in der eigentümlichen Stellung des Hindu-Gottes wie erstarrt dasaß, brannten Spezereien, die leichte Rauchwolken verbreiteten und den Glanz der Edelsteine, die in den Thronhimmel eingefügt waren, weckten. Der Dampf stieg höher und verbreitete sich unter den Bogengängen, wo sich der bläuliche Rauch mit dem Goldstaub der hellen Sonnenstrahlen mischte, die durch die Kuppel fielen.

In dieser heißen, von Wohlgerüchen geschwängerten Luft des Tempels steht Salome, den linken Arm gebieterisch ausgestreckt, den rechten gebogen, und hält eine große Lotusblume in Gesichtshöhe. Sie nähert sich langsam auf den Fußspitzen nach den Klängen einer Guitarre, deren Saiten eine am Boden hockende Frau schlägt.

Das Gesicht andächtig, feierlich, beginnt sie fast erhaben ihren wollüstigen Tanz, der die schlummernden Sinne des alten Herodes wecken soll. Ihr Busen wogt, und bei der Berührung der im Kreise wirbelnden Halskette richten sich ihre Brüste in die Höhe. Auf der feuchten Haut blitzen die Diamanten, ihre Armbänder, ihre Gürtel, ihre Ringe warfen strahlende Funken über ihr prunkhaftes, mit Perlen benähtes, mit Gold und Silber gesticktes Gewand.

Es ist ein zarter Panzer aus feiner Goldarbeit, dessen Maschen je ein Edelstein ziert, deren Feuer sich schlangenartig kreuzt über der matten, teerosen-zarten Haut, wie glänzende Insekten mit strahlenden Flügeldecken, rot marmoriert, hochgelb punktiert, stahlblau gefleckt, pfauengrün getigert.

Die Augen, denen einer Nachtwandlerin ähnlich, sind starr auf einen Punkt gerichtet und sehn weder den Tetrarchen, der erbebt, noch ihre Mutter, die entsetzliche Herodias, die sie beobachtet, noch den Eunuchen, der am Fuße des Thrones mit dem Säbel in der Hand unbeweglich dasteht, sein schreckliches Gesicht bis an die Backen verhüllt; seine Brust hängt wie ein vertrockneter Kürbis unter der gelbbunten Tunika hervor.

Dieses Urbild der Salome verfolgte seit Jahren den Herzog Jean. Wie oft hatte er in der alten Bibel, von Peter Variquet, dem Gottesgelehrten der Universität Löwen, übersetzt, das Evangelium des heiligen Matthäus gelesen, der in kurzen, naiven Sätzen die Enthauptung des Vorgängers Christi erzählt. Wie oft war er nicht in tiefes Nachdenken versunken beim Lesen jener Zeilen:

„Am Jahrestagfeste des Herodes tanzte die Tochter der Herodias und gefiel dem Herodes sehr.

Da versprach er ihr und schwurs mit einem Eide, ihr alles zu geben, was sie erbitte.

Und sie, von ihrer Mutter verleitet, sagte: Gib mir das Haupt Johannes des Täufers auf einer Schüssel.

Der König aber wurde betrübt; doch um des Eides und derer willen, die mit ihm am Tische saßen, befahl er, daß es ihr überbracht würde.

Und er schickte alsbald hin und ließ Johannes im Kerker enthaupten.

Und man brachte sein Haupt auf einer Schüssel und gabs dem Mägdelein; und diese überreichte es ihrer Mutter.“

Aber weder Matthäus, noch Markus, noch Lukas verbreiten sich über den berauschenden Zauber, über die moralische Versunkenheit der Tänzerin. Sie bleibt verwischt, geheimnisvoll und verloren in dem fernen Nebel der Jahrhunderte, unfaßbar für die realen, alltäglichen Geister, nur den erschütterten und geschärften Gehirnen zugängig, die durch Nervenkrankheit hellsehend waren; spröde auch gegenüber dem Maler des Fleisches, Rubens, der sie in eine flanderische Schlächtersfrau verwandelte; unverständlich allen Schriftstellern, die niemals die aufregende Begeisterung der Tänzerin, die raffinierte Geistesgröße der Mörderin darzustellen vermochten.

In dem Werk von Gustav Moreau, in seinem Entwurfe frei von aller Tradition, sah Herzog Jean endlich diese übermenschliche und seltsame Salome verkörpert. Sie war nicht allein die Tänzerin, die durch wollüstige Windungen ihrer Hüften einem geschwächten Greise den Schrei frivoler Begier entlockt, indem sie sich den Willen eines Königs durch die Bewegungen ihres Leibes und das Zittern ihrer Schenkel unterwirft; sie wurde sozusagen die sinnbildliche Gottheit unzerstörbarer Wollust, die Göttin der unsterblichen Hysterie; jenes einfache Sinnentier, ungeheuer, gefühllos, unempfindlich, die alles, was sich ihr nähert, sie berührt und sie sieht, vergiftet.

Ein unwiderstehlicher Zauber ging von diesem Bilde aus. Aber das Aquarell, betitelt „Die Erscheinung“, wirkte vielleicht noch aufregender.

Auf diesem Gemälde hob sich der Palast des Herodes ab wie eine Alhambra, auf schlanken regenbogenfarbigen Säulen von maurischen Kacheln, wie mit silbernem Mörtel, mit goldnem Zement zusammengefügt; Arabesken gingen von Lasursteinen aus, schlängelten sich um Kuppeln und auf den mit Perlmutter eingelegten Arbeiten entlang, die in regenbogenfarbige, prismatische Strahlen ausliefen.

Hier war der Mord vollzogen; der Henker stand jetzt unbeweglich und stützte die Hände auf den Knauf seines langen mit Blut befleckten Schwertes.

Das abgeschlagne Haupt des Heiligen hatte sich in der Schüssel, die auf den Steinplatten stand, in die Höhe gerichtet, fahl, den bleichen Mund offen, den Hals karmoisinrot, triefend von Blut. Eine Musivarbeit umgab den Kopf, von dem ein leuchtender Glorienschein seine Lichtstrahlen auf die Säulenhalle warf, die die schreckliche Erhebung des Kopfes beleuchten, die gläsernen Augäpfel entzünden, die sozusagen fest auf der Tänzerin haften.

Mit einer Gebärde des Entsetzens stößt Salome die schreckliche Vision zurück, die sie unbeweglich auf den Fußspitzen festhält. Mit weitgeöffneten Augen starrt sie die Erscheinung an, und ihre Hand umklammert krampfhaft den Busen.

Sie ist fast nackt; in der Aufregung des Tanzes haben sich die Schleier gelöst, die Goldstoffe sind herabgefallen; sie ist nur noch mit dem Goldschmuck und den durchsichtigen Juwelen behangen.

Der schreckliche Kopf strahlt, immer noch blutend, und setzt kleine dunkelpurpurne Kiesel an den Spitzen des Bartes und Haares an. Sichtbar ist es für Salome allein. Sie streift mit ihrem düstern Blick weder die Herodias, die an ihren endlich gestillten Haß denkt, noch den Tetrarchen, der, etwas vorgebeugt, die Hände auf den Knien, keuchend dasitzt und wahnsinnig betört ist durch die Nacktheit dieses jungen Körpers, der von wild aufregenden Wohlgerüchen, von Weihrauch und Myrrhen umduftet ist. —

So wie der alte König blieb auch Herzog Jean zermalmt und vernichtet, vom Schwindel ergriffen vor dieser Tänzerin, die weniger majestätisch, weniger hochmütig, aber verwirrender als die Salome des Ölgemäldes auf ihn wirkte.

Verloren in diese Betrachtungen versuchte der Herzog dem Ursprung dieses großen Künstlers, dieses mystischen Heiden, dieses Illuminaten, der sich so völlig von der Welt abzusondern vermochte, um mitten in Paris grausame Visionen, feenhafte Apotheosen der vergangnen Zeitalter erstrahlen zu sehn, auf die Spur zu kommen.

Mantegna und Jacopo de Barbarj, hie und da verworrne Verbindung mit Vinci, Farbenfieber à la Delacroix; aber der Einfluß dieser Meister blieb im ganzen genommen unmerklich. Ohne wirkliche Anlehnung blieb Moreau in der Kunst seiner Zeit einzig. Er stieg bis zu den ethnographischen Quellen hinauf, zu den Entstehungen der Götterlehre, deren blutige Rätsel er verglich und entwickelte; er vereinigte die Legenden des äußersten Orients, die sich danach mit dem Glauben der andern Völker zu einer einzigen verschmolzen.

Er rechtfertigte somit seine architektonischen Verschmelzungen, sein verschwenderisch unerwartetes Gemisch von Stoffen, seine unheimlich sinnbildlichen Darstellungen, verschärft durch die aufregende Deutlichkeit einer modernen Nervosität.

Es war in seinen Werken ein eigentümlicher Zauber, ein Reiz, der einen bis ins tiefste Innre bewegt, wie einige Dichtungen Baudelaires: man bleibt erstaunt, träumerisch und bestürzt vor dieser Kunst, die die Grenzen der Malerei überschreitet und der Dichtung ihre zartesten Gestaltungen entlehnt. Diese zwei Bilder der Salome, für die Herzog Jean eine Bewunderung ohne Grenzen hegte, lebten unter seinen Augen, an den Wänden seines Arbeitszimmers.

Aber darauf beschränkten sich keineswegs seine Bilderankäufe.

Obgleich er den ersten und einzigen Stock seines Hauses, den er selbst nicht bewohnte, geopfert hatte, hatte das Erdgeschoß allein schon eine ganze Reihe Bilder verlangt.

Das Erdgeschoß war folgendermaßen eingeteilt: Ein Ankleidezimmer, das mit dem Schlafzimmer in Verbindung stand, befand sich in einem Flügel des Hauses; von dem Schlafzimmer ging man in das Bibliothekzimmer, von dort ins Eßzimmer, das den andern Flügel bildete.

Diese Zimmer, die die eine Vorderseite der Wohnung darstellten, dehnten sich in gerader Linie aus, und die Fenster sahn auf das Tal von Aunay hinaus.

Die andre Seite der Behausung bestand aus vier, den ersten ganz gleichen Zimmern. Die Küche, auf der entsprechenden Seite, stand mit dem Eßzimmer in Verbindung; dann folgte ein großer Hausflur, der als Eingang in das Bibliothekzimmer diente; eine Art Boudoir in Verbindung mit dem Schlafzimmer.

Diese letzten Zimmer gingen nach der entgegengesetzten Seite des Tales hinaus und sahn auf den Turm von Croy und Châtillon.

Die Treppe war an einem der Flügel des Hauses von außen angebracht; Herzog Jean hörte dadurch die Tritte seiner Dienstboten weniger deutlich.

Er hatte das Boudoir mit einem lebhaft roten Stoff ausschlagen lassen, und an allen Wänden des Raumes hingen in schwarzen Ebenholzrahmen Kupferstiche von Johann von Luyken, einem alten holländischen Kupferstecher, der in Frankreich fast unbekannt war.

Er besaß von diesem phantastischen, unheimlichen und grausamen Künstler die Serie seiner „Religionsverfolgungen“, wahrhaft entsetzliche Blätter, die die Martern des religiösen Wahnsinns vorstellten, Bilder, auf denen der Anblick unheimlicher menschlicher Qualen geboten wurde: Körper auf Kohlenglut gebraten, der Schädelhaut beraubte Köpfe, von Nägeln durchbohrt, tiefe Einschnitte, die von Sägen herrührten, Eingeweide aus dem Leibe gerissen und auf Knäule gerollt, langsam mit Zangen losgelöste Fingernägel, ausgestochne Augäpfel, Augenlider, die mit spitzen Instrumenten umgekehrt waren, verrenkte Glieder, mit Sorgfalt gebrochen, bloßgelegte Knochen, langsam mit der Klinge des Messers abgeschabt.

Diese Werke, abscheuliche Phantasiegebilde, die nach verbranntem Menschenfleisch rochen, Blut schwitzten und erfüllt waren vom Schrei des Entsetzens und der Verfluchung, ließen dem Herzog Jean, den sie mit verhaltnem Atem in dieses rote Kabinett bannten, geradezu eine Gänsehaut überlaufen.

Aber außer dem Schauder, den sie ihm bereiteten, außer der gewaltigen Begabung dieses Künstlers, dem außerordentlichen Leben seiner Figuren, entdeckt man bei seinem erstaunlichen, seltnen Talent zur Gruppierung, die er mit einer an Callot erinnernden Geschick lichkeit und Schärfe zur Ausführung bringt, wunderbare Fähigkeiten zur Wiedergabe gewisser Zeitstadien: z.B. seine Architekturen, Kostüme und Sitten zur Zeit der Makkabäer, dann während der Christenverfolgung zu Rom; in Spanien, unter der Herrschaft der Inquisition; in Frankreich im Mittelalter, sowie zur Zeit der Pariser Bluthochzeit und der Dragonaden, die alle mit peinlicher Sorgfalt aufgefaßt und mit außerordentlicher Kunst wiedergegeben sind.

Diese Kupferstiche waren treffliche Quellen für mancherlei Aufschlüsse; man konnte sie stundenlang betrachten, ohne zu ermüden; sie führten zum Nachdenken und halfen dem Herzog Jean oft die Zeit töten, wenn er keinen Sinn zum Lesen hatte.

Auch das Leben von Luyken hatte einen gewissen Reiz für ihn. Eifriger Calvinist, verstockter Sektierer, vernarrt in Hymnen und Gebete, stellte er religiöse Poesien zusammen, die er gleichsam illustrierte. Er schrieb die Psalme in Verse um, vertiefte sich in die Bibel, von der er entzückt und gleichzeitig erschüttert wurde.

Dabei verachtete Luyken die Welt, überließ all seinen Besitz den Armen und lebte von trocknem Brot; schließlich hatte er sich mit einer alten, durch ihn fanatisierten Dienerin eingeschifft. Er fuhr aufs Geratewohl hinaus, lief mit seinem Schiff hier und dort an und predigte überall das Evangelium, versuchte selbst ohne Essen zu leben, bis er beinahe verrückt wurde. —

In dem größern Raum nebenan, in der mit Zedernholz in Zigarrenkistenfarbe bekleideten Vorhalle hingen andre Kupferstiche, andre Zeichnungen übereinander.

Die „Todes-Komödie“ von Bresdin. In einer unmöglichen Landschaft, mit Bäumen, Dickicht und Gehölz bedeckt, die die Formen von Dämonen und Gespenstern angenommen hatten und zwischen denen sich Vögel mit Rattenköpfen mischten, auf einem Boden, der mit Rippen, Wirbelknochen und Schädeln besät war, richteten sich knorrige, gespaltne Weiden in die Höhe, von Skeletten überragt, die die Arme in der Luft bewegen; ein Strauch stimmt einen Siegesgesang an, während Christus in den mit Wölkchen bedeckten Himmel flieht, ein Einsiedler im Hintergrund einer Grotte, den Kopf in den Händen vergraben, nachdenkend sitzt, und ein Bettler, durch Entbehrungen und Hunger abgezehrt, ausgestreckt auf dem Rücken, die Füße in einem Pfuhl, der Entkräftung erliegt.

Der „Gute Samariter“ von demselben Künstler, als große Federzeichnung auf Stein abgezogen. Ein wunderlicher Wirrwarr von Palmenbäumen, Ebereschen und Eichen, die nebeneinander wachsen, ohne Rücksicht auf Jahreszeit und Klima; ein Stück Urwald, voll von Affen, Eulen, Nachtfaltern und bucklig-alten Baumstümpfen, so mißgestaltet wie die Wurzeln des Alrauns.

Aber obgleich Herzog Jean die Feinheit der Details und die hohen Schönheiten dieses Kupferstiches schätzte, so hielt er sich doch noch öfter vor den Zeichnungen auf, die den Raum schmückten.

Es waren in ihren Leisten aus rohem Birnbaumholz mit schmalem Goldrand unbegreifliche Erscheinungen von Odilon Redon. Das Haupt eines Merowingers auf einer Schale; das eines bärtigen Mannes, ein Mittelding zwischen einem chinesischen Priester und einem Volksredner, der mit seinem Finger eine kolossale Kanonenkugel berührt; dann eine abscheuliche Spinne, die in der Mitte ihres Körpers ein menschliches Angesicht trägt. Ferner Kohlenzeichnungen, die den Schrecken des Träumers darstellen, der von Verdauungsqualen gepeinigt wird.

Dann wieder ein großer Würfel, aus dem ein halbgeschloßnes trauriges Auge blinzelt; dort dürre unfruchtbare Landschaften, kalzinierte Ebenen, Umwälzungen des Erdbodens, vulkanische Aufruhre, vom Sturm gepeitschte Wolken und unbeweglich fahle Himmel; ein unnatürlicher Blumenreichtum entfaltet sich auf Felsen; überall erratische Blöcke, schmutzige Eisgruben, Gestalten, deren affenartiger Typus und dicke Backenknochen, deren hervorstehende Augenbrauen, schiefe Stirn und eingedrückte Schädel an die Köpfe unsrer Vorfahren erinnern.

Diese Zeichnungen waren ohne Beispiele in der Kunst, sie überschritten die Grenzen der Malerei und führten wunderlich phantastische Neuerungen ein, Gebilde der Krankheit und des Fieberwahns.

Diese Gesichter, diese maßlos vergrößerten und mißgestalteten wie durch eine Karaffe gesehnen Körper riefen bei Herzog Jean Erinnerungen an Typhus wach, Erinnerungen, die ihm von fieberhaften Nächten und schrecklichen Visionen seiner Kindheit geblieben waren.

Erfaßt von einem unbeschreiblichen, durch diese Zeichnungen erzeugten Unbehagen, wie er es empfand bei gewissen „Sprichwörtern“ Goyas, an die sie erinnerten, oder wie beim Schluß einer Lektüre von Edgar Poe, von dem Odilon Redon die Fata Morgana der Sinnestäuschungen und die Wirkungen der Furcht in verschiedenartiger Kunst ererbt zu haben schien, rieb er sich die Augen und betrachtete eine strahlende Figur, betitelt die „Schwermut“, die vor der Sonnenscheibe in einer gedrückten, trüben Stellung auf einem Felsen sitzt.

Wie durch Zauber verschwinden diese Schatten, eine sanfte Traurigkeit, eine kraftlose Verzweiflung bemächtigt sich seiner Gedanken, und er stellt lange Betrachtungen vor diesem Werke an.

Außer dieser Sammlung von Zeichnungen von Redon, die fast alle Wände des Vorzimmers zierten, hatte Herzog Jean in seinem Schlafzimmer eine sonderbare Skizze von Theocopuli: einen Christus. Es war ein Bild in unnatürlichen Farbentönen, von übertriebnen Linien und grausamer Färbung, ein Bild der zweiten Periode dieses Künstlers, als er die Idee aufgegeben hatte, nicht mehr Tizian ähnlich zu sein.

Diese unheimliche Malerei, die in Wachsfarbe und Leichengrün ausgeführt zu sein schien, entsprach nach des Herzogs Ansicht einer gewissen Übereinstimmung mit dem Mobiliar.

Seiner Meinung nach gab es nur zwei Arten, um ein Schlafzimmer einzurichten: entweder ein Alkoven, der Ort nächtlicher Ergötzung, oder ein Plätzchen der Ruhe und Einsamkeit, eine Zufluchtsstätte des Gedankens, eine Art Betzimmer.

Nachdem er die Frage von allen Seiten beleuchtet hatte, folgerte er, daß das zu erreichende Ziel sich darin zusammenfassen ließe: mit freundlichen Gegenständen eine traurige Sache zu schaffen, oder vielmehr, wenn man dem Schlafgemach auch den Charakter der Häßlichkeit läßt, doch dem Ganzen eine Art von Eleganz und Vornehmheit aufzudrücken. Durch die Optik des Theaters, dessen gemeiner Flitterkram wie kostbare und teure Gewebe aussieht, die absolut entgegengesetzte Wirkung zu erzielen, indem man sich prächtiger Stoffe bedient, um ihnen den Anstrich der Dürftigkeit zu verleihn; mit einem Wort eine Kartäuserklause herzustellen, die aussah wie eine wirkliche.

Er verfuhr in folgender Weise: um die ockerartige Mauerfarbe, das vorgeschriebne geistliche Gelb, nachzuahmen, ließ er die Wände mit safrangelber Seide bekleiden. Um aber die Schokoladenfarbe der Paneele wiederzugeben, ließ er sie mit violettfarbnen Holzleisten, die mit Amarantfarbe dunkel gebeizt waren, bekleiden. Die Wirkung war frappant; sie konnte von weitem an die düstre Starrheit des Vorbilds erinnern. Der Plafond wurde in Gelbweiß tapeziert, das den Kalk ersetzte, ohne dessen grellen Schein zu haben. Die kalten Steine der Zelle gelangen in der Nachbildung ziemlich gut durch einen Teppich, dessen Muster rote Fliesen vorstellte, mit weißlichen Stellen in der Wolle, die die Abnutzung durch Sandalen und die Reibung durch Stiefel darstellen sollten.

Er möblierte dieses Gemach mit einem kleinen eisernen Bett, einer Art Mönchsbett, aus antikem Eisen geschmiedet und poliert, am Fußende mit reich aufgetragnen Verzierungen versehn.

Die Stelle eines Nachttisches vertrat ein Betstuhl, dessen Innres ein Nachtgeschirr enthalten konnte und dessen Außenseite eine Kirchenagenda trug. Gegenüber an der Mauer ließ er einen Kirchenstuhl anbringen, der von einem durchbrochnen Altarhimmel überragt wurde, verziert mit vorspringenden Stützen. Die hohen Kirchenleuchter ersetzte er durch Lichter aus reinem Wachs, die er in einem besondern Geschäft kaufte, das nur Kirchenartikel führte, denn er hegte eine große Abneigung gegen Petroleum oder Stearin, kurz gegen alle und jede moderne Beleuchtung, da sie ihm zu grell und unzart erschien. —

Des Morgens in seinem Bett, ehe er einschlief, den Kopf auf dem Kopfkissen, versunken in die Betrachtung seiner Umgebung, stellte er sich leicht vor, daß er sich hundert Meilen von Paris befände, weit weg von der Welt, im Innern eines Klosters.

Und im Grunde genommen war die Täuschung leicht, da er ein Leben führte, das dem eines Mönchs fast gleichkam. Er hatte sich auf diese Weise die Vorteile der Abgeschlossenheit verschafft. Wie er seine Zelle zu einem warmen, angenehmen Zimmer gemacht hatte, hatte er sein Leben regelmäßig und bequem gestaltet, umgeben von Wohlbehagen, beschäftigt und dennoch frei. —

Vom Leben abgenutzt, von dem er nichts mehr erwartete, ward er einem Einsiedler gleich, reif für die Einsamkeit. Niedergedrückt wie ein Mönch und voll unendlicher Müdigkeit, war er beseelt von dem Bedürfnis nach Ruhe, von dem Wunsche, nichts mehr gemein zu haben mit den Profanen, die er für Nützlichkeitsfanatiker und Dummköpfe hielt.