§ 70. Einleitung und Übergang von Descartes zu Malebranche

 

Es ist eine Inkonsequenz des Descartes, daß er dem Geiste oder der Seele, wie er sie erfaßt, die Kraft zuschreibt, den Körper zu bewegen, indem er annimmt, daß sie die Glandula pinealis, in der sie sich, obwohl mit dem ganzen Leibe vereint, nach ihm unmittelbar betätigt und vermittelst dieser den Körper bewegt (»De Passionibus«, I, Art. 30-34), denn zwischen Geist und Materie findet keine Beziehung statt; nun drückt aber doch wohl jede Bewegung eine Beziehung des Bewegenden auf das Bewegte aus; wie kann also der Geist oder die Seele den Leib bewegen oder bestimmen, d. i., wie kann sie, die keine Beziehung auf ihn hat, ja, alle Beziehung auf ihn ausschließt, eine Beziehung auf ihn haben?

Malebranche findet nur in der Allmacht oder dem allmächtigen Willen des unendlichen Wesens eine notwendige Beziehung auf die Bewegung des Körpers, und es ist daher nur der Wille Gottes die wahre Ursache, der eigentliche Grund128), daß wenn ich, der endliche Geist, es will, mein Körper sich bewegt. Die Allmacht oder der Wille Gottes ist nun zwar mit Recht der Zufluchtsort der Unwissenheit genannt worden; aber Malebranche ist doch konsequenter hierin als Descartes und hat damit indirekt den richtigen Gedanken ausgesprochen, daß für das, was das Prinzip oder Vermögen der Bewegung und Bestimmung in sich hat, das Bestimmtwerdende kein Andres, kein reeller Gegensatz sein darf und kann. Da nun aber für das unendliche Wesen endliche Gegensätze keine Realität haben Geist und Materie aber solche Gegensätze sind, so kann nur er, d. i. Gott, das reale Vermögen haben, den Körper zu bestimmen; nur ihm kann die Materie parieren. Denn vor dem Geiste, der nur ihr Gegensatz ist, dessen Wesensbestimmung es selber ist, daß er von ihr unterschieden und ihr entgegengesetzt ist, der eben deswegen, weil seine wesentlichen Bestimmungen nur Verneinungen der Bestimmungen sind, welche die Materie zur Materie machen, so selbständig er sich auch stellt und dünkt, doch nie von ihr loskommt, in einer gewissen (freilich indirekt oder negativ) notwendigen Beziehung zu ihr steht und ihr so indirekt Hab und Gut verdankt, hat sie notwendig keinen Respekt, macht sie keine gehorsame Dienerin, beugt sie nicht ihr trotziges Haupt und ihren steifen Rücken.

Ebensowenig aber der Geist auf diesem Standpunkte, wenn er konsequent behauptet wird, das Prinzip der Bewegungen seines Körpers sein kann, ebensowenig kann er auch das uranfängliche Prinzip seiner Willensbestimmungen und Handlungen sein oder in sich haben; denn er ist ja nur ein gegensätzliches, darum besondres, endliches, d.h. ein nur gesetztes (erschaffnes) Wesen, er kann also nirgendwo Urheber, Anfänger, Grund, Erstes sein. Das Prinzip, der Uranfang seines Willens muß daher ganz richtig, wie es bei Malebranche der Fall ist, der Wille Gottes sein. Der Geist muß wollen, nur was er will, ist frei; nur der Gegenstand des Willens (der bestimmte, besondere Gegenstand), nicht das Wollen selbst hängt von ihm ab129), nur der Gegenstand des Willens ist sein, aber nicht der Wille, welcher eben darum, nämlich als ein nur in Rücksicht des Objekts oder vielmehr der besondern, einzelnen Objekte freier und unbestimmter, in Rücksicht aber des Prinzips bestimmter Wille, nicht sowohl Wille als vielmehr Trieb, Neigung, Hang, Liebe ist, wie Malebranche ganz richtig von seinem Standpunkt aus den Willen bezeichnet und definiert. Die natürliche Liebe nämlich des Geistes oder Menschen zu Gott ist nach Malebranche das Prinzip aller Neigungen Triebe und Bewegungen; obwohl der Geist frei ist in dem, was er liebt, einen besondern, andern Gegenstand als Gott lieben kann, so ist doch das Objekt hinter oder in diesem Objekte, das eigentliche wahre Objekt, das der Geist will, sucht und begehrt, Gott selbst; denn das einzige Objekt aller seiner Triebe ist Glückseligkeit, diese aber in ihrer ganzen Fülle, in ihrer Wahrheit nur in Gott. Nun ist aber das Prinzip dieser Liebe des Geistes zu Gott der Wille Gottes oder die Liebe Gottes zu dem Geiste, die in ihm das Verlangen nach Glückseligkeit, d. i. nach Gott als dem allgemeinen Gut erzeugt; der Grund, die Ursache oder das Prinzip, wie aller Bewegung und Tätigkeit der Natur, so auch aller Bewegung und Tätigkeit und Willensbestimmung des Geistes, ist daher nach Malebranche allein Gott selbst.

 

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126) Was ist denn nun aber, bei Lichte besehen, diese absolute Wahrheit, dieses absolute Wesen, worin die Cartesianische Philosophie die Gegensätze von Geist und Materie verbindet? Es ist das Wesen der menschlichen Phantasie und Willkür, welche an keine Grenzen, keine bestimmten Vernunftgründe sich binden, welche auch das Widersprechendste, das Unvereinbarste ohne Schwierigkeit vereinigen. »Wenn wir gleich zugeben«, sagt de la Forge in der schon zitierten Schrift, cap. 15, § 14, »daß der menschliche Körper nichts in sich enthält, was einer Vereinigung mit der Seele Widerstand leistet, so finden wir doch auch nichts in ihm, was die Ursache einer solchen sein könnte. Man muß also die Ursache bei den geistigen Substanzen suchen. Aber der menschliche Geist hat nur seinen Willen, durch den er aus sich hinausgehen und sich mit etwas anderm verbinden kann, und dieser Wille kann wohl die Ursache sein von dem, was in diesem Bündnis von dem Leibe unmittelbar von ihm abhängt, aber keineswegs von unzähligen andern, nicht von unserm Willen abhängigen Erscheinungen. Also kann die Ursache der Verbindung des Leibs und der Seele nur der göttliche Wille sein.« Was ist denn nun aber dieser Wille oder diese Macht, welche Dinge verbindet, ohne daß in ihnen selbst irgendein Grund zu dieser Verbindung enthalten ist, anders als die Macht der alles vermögenden menschlichen Einbildungskraft und Willkür? Was anders überhaupt das unendliche Wesen als das durch das unbeschränkte Wesen der Phantasie ausgefüllte unendliche Gebiet der menschlichen Unwissenheit und Beschränktheit?

127) Malebranche sagt wohl auch, daß die Seele und ebenso reine Geister außer Gott sich selbst dunkel, nicht erkennbar sind. Allein der Grund dieser Finsternis ist hier natürlich nicht der Gegensatz oder Unterschied; denn die Seele ist ja aufs innigste mit sich eins, eine unmittelbare Einheit mit sich selbst. »Quoique nous soyons trèsunis avec nousmêmes, nous sommes et nous serons intelligibles à nous mêmes, jusqu'a ce que nous nous vojons en Dieu.« (»De la Recherche de la Vérite«, Liv. III, ch. 1) Der Grund dieser Finsternis liegt woanders, wie sich zeigen wird. Übrigens ist in betreff der Seele oder des Geistes überhaupt Malebranche sehr dunkel und wohl mit sich selbst nicht ganz im klaren.

128) Allerdings ist diese Idee auch in c schon gewissermaßen enthalten. Aber hier ist sie noch nicht bestimmt, entschieden ausgebildet, sie kann daher wie so manche andere seiner Ideen bei einer bestimmten Charakteristik seiner Gedanken nicht in Anschlag gebracht werden.

129) »Voluntas, ut docent Philosophi, tantummodo fertur in bonum commune, dum non potest non velle bonum, sed particulare bonum quodcunque sit, voluntas non necessario vult.« (Ern. Sonerus, »Comment. in Aristot. Metaphysic.«, Jenae 1657, p. 35)

 


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