§ 81. Übergang von Malebranche zu Spinoza


Malebranches Philosophie enthält schon viel bestimmter und entwickelter als die des Descartes die Elemente der Philosophie des Spinoza; nur sind sie auch hier noch zerstreut und in der Form der Vorstellungen des christlichen Idealismus ausgedrückt; es darf nur das Ganze streng konsequent zusammengedacht und gefaßt werden, so haben wir den Spinoza. Bei Descartes ist auch schon das unendliche Wesen oder Gott der Mittelpunkt des Systems, aber nur der Vorstellung nach, nicht der Sache und Wirklichkeit nach, er schwebt nur oben über den Gegensätzen im Reich der Vorstellung; er soll der Mittelpunkt sein, aber er ist es nicht, oder er ist es nur subjektiv, noch nicht objektiv; die objektive Existenz, die bestimmte Wirklichkeit im System haben Geist und Materie; was von Gott vorkommt, kommt nur vor, um seiner Existenz und durch diese der Existenz der materiellen Dinge gewiß zu werden. Es muß daher die Idee Gottes verwirklicht werden; es muß Gott in die Sphären, die Geist und Materie für sich einnehmen, hinabsteigen; der weite freie Spielraum, den sie noch bei Descartes haben, muß beschränkt werden; sie müssen Gott Platz machen, damit der Mittelpunkt in die Wirklichkeit tätig eingreife und von ihr Besitz nehme. Bei Malebranche ist nun schon Gott in das Zentrum der Geisterwelt gerückt; die Geister existieren zwar noch als selbständige Wesen, als einzelne; aber Gott ist bei ihm der Geist der Geister, die allgemeine Vernunft, die allgemeine Einheit derselben; in ihm sind alle Geister ein Geist, er ist der gemeinschaftliche, gleiche Inhalt in allen einzelnen, sie haben nur noch eine subjektive, formelle, äußerliche Existenz und Selbständigkeit für sich, ihrem Inhalt, ihrem Wesen nach sind sie eins, und dieses eine Wesen ist eben Gott. Die Materie, die Natur ist zwar bei ihm noch ein Ausgeschlossenes, aber es sind doch auch schon in ihm die Elemente da, um sie mit dem Geiste zu vereinen. Das notwendige Band zwischen dem Geiste und dem Körper ist die Macht, der Wille Gottes. Ob nun gleich zwischen dem Körper und dem Willen, er mag nun als allmächtiger oder als Wille des endlichen Geistes vorgestellt werden, in der Tat kein innrer, notwendiger Zusammenhang stattfindet, so ist doch der Wille Gottes die Kraft, die Natur jedes Wesens, das Positive in ihm; und obwohl der Wille eine unbestimmte, erkenntnislose Bestimmung ist, so liegt ihr doch der Gedanke schon zugrunde, daß eben der Gott, eben das allgemeine Wesen, in dem alle Geister erkennen und anschauen, der ihr gemeinschaftliches Licht, ihre wahre Substanz ist, auch das Wirkliche, das Substantielle der Natur ist; es bleibt daher nur noch die Materie als bloße Materie übrig. Diese ist aber selbst schon in Wahrheit nur noch eine Form, Wesen ist nur Gott. Es darf also nur die Materie als das, was sie in Wahrheit ist, als eine bloße Form, die kein Bestehen, keine Existenz für sich haben kann, als eine Modifikation142) des Wesens Gottes erkannt, also nur das, was noch bei Malebranche formell auseinandergehalten ist, zusammengefaßt werden, so haben wir den Spinoza. Bei Descartes ist der Mittelpunkt nur noch ein mathematischer Punkt, ohne alle Ausdehnung und Umfang; bei Malebranche wird er schon wirklicher, ausgedehnter Punkt, gewinnt Umfang, beschränkt dadurch die bei Descartes unbeschränkte Sphäre der beiden Gegensätze, attrahiert die Kraft, das Positive des Geistes und der Natur, als das Seinige, bekommt Inhalt und bildet sich eben auf diese Weise zum Kerne der spinozistischen Substanz aus.

 

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142) In seinen »Entretiens sur la Métaphysique«, die ich mir jedoch nicht verschaffen konnte, nur aus den Stellen, die andere daraus anführen, kenne, nähert sich auch schon Malebranche hinsichtlich der Ausdehnung als der extensio tou infiniti mehr dem Spinoza »L'étendue est une realité et dans l'infini toutes les réalités s'y trouvent. Dieu est donc étendu aussi bien que les corps, puisque Dieu possède... toutes les perfections. Mais Dieu n'est pas tendu comme les corps... il n'a pas les limitations et les imperfections de ses créatures.« (Erdmann, »Geschichte der neuern Philos.«, I. Bd., II. Abt., Beil. XX)


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