Home  Impressum  Copyright
Jacob Voorhoeve Homöopathie in der Praxis II. Gesundheitslehre und Behandlungsweisen

VI. Abschnitt.
Elektrische Behandlung

"Licht, Wärme und Elektrizität sind verschiedenartige Äußerungen derselben Naturkraft"

 

Der erste, welcher, soweit aus der Geschichte bekannt ist, eine Entdeckung auf dem Gebiete der Elektrizität gemacht hat, war Thales von Milet, welcher um das Jahr 600 v. Chr. die anziehende Kraft des durch Reibung erhitzten Bernsteins untersucht und beschrieben hat. Der Ruhm, durch sorgfältige methodische Prüfung den Wert der Elektrizität erkannt und dieselbe bei der Krankenbehandlung eingeführt zu haben, gebührt Jallabert, Professor der Physik in Genf, welcher im Jahre 1750 ein wissenschaftliches Werk über die Anwendung der Elektrizität in der Heilkunde erscheinen ließ.

Seit dieser Zeit hat man in der Kenntnis und der Anwendung der Elektrizität auf jedem Gebiete der Technik und der Wissenschaft staunenswerte Fortschritte gemacht. Auch die Heilkunde hat aus dieser Entwicklung Vorteil gezogen. Die elektrische Behandlung von Krankheiten kann in zunehmendem Maße sich guter Erfolge rühmen.

Was ist nun aber eine elektrische Behandlung? Wir verstehen darunter nicht die Selbstbehandlung mit elektrischen "Universalapparaten," "elektrischen Gürteln" und dergl., wie solche in den Zeitungen zur Heilung aller, selbst unheilbarer Krankheiten mit großer Reklame angepriesen werden, sondern die sorgsam individualisierende elektrische Behandlung durch einen mit der Ausübung dieser Kunst vertrauten Arzt. Eine solche elektrische Behandlung muß auf die Art der Krankheit und die Konstitution des Kranken Rücksicht nehmen und ist in den dafür angezeigten Fällen ein sehr wirksames Heilmittel. Die elektrische Behandlung deckt sich sogar in gewisser Hinsicht mit der homöopathischen Behandlung, da z. B. schwache galvanische Ströme das Gegenteil von starken Strömen bewirken und in den meisten Fällen die milde Anwendung der Elektrizität die besten Erfolge aufzuweisen hat.

Da der homöopathische Arzt für jeden Fortschritt auf dem Gebiete der Heilkunde ein offenes Auge hat oder wenigstens haben soll und bei langwierigen Krankheiten den Vorteil einer kombinierten Behandlung zu schätzen weiß, macht auch er in den ihm dafür geeignet erscheinenden Fällen von der Elektrizität als Heilfaktor Gebrauch, sicher nicht zum Nachteil der seiner Sorge anvertrauten Kranken, weil er, durchdrungen von der Wichtigkeit einer milden Anwendung der therapeutischen Maßregeln, stets nur solche elektrische Ströme anwenden wird, welche, ohne zu schaden, doch noch eine deutliche Wirkung auf den erkrankten Körper ausüben.

Die allgemeine Wirkung der Elektrizität auf den kranken Organismus besteht in der Aufhebung von Ernährungsstörungen der feineren Nervenelemente, in der Kräftigung des ganzen Körpers und in der Beseitigung unangenehmer Symptome, wie Schmerz, Steifigkeit, Taubheitsgefühl u. s. w. Demnach hat die Elektrizität bei Nervenkrankheiten, Neurasthenie oder Nervenschwäche, Hysterie, Neuralgien, Lähmungen die besten Resultate aufzuweisen. In manchen Fällen tritt der gute Erfolg alsbald auf überraschende Weise zu Tage, sodaß die Patienten sich wie neugeboren fühlen, in anderen Fällen läßt die Besserung länger auf sich warten, während es auch einzelne Kranke gibt, bei denen eine elektrische Behandlung keinen Nutzen hat, ohne daß sie deshalb als unheilbar zu betrachten wären. Eine Erklärung dieser eigentümlichen Wirkung der Elektrizität ist noch nicht gefunden.

Die zwei gebräuchlichsten Anwendungen der elektrischen Behandlung sind die des galvanischen und des faradischen Stromes. Der erstere, nach seinem Entdecker Prof. Galvani benannt, ist ein konstanter Strom, welcher in ununterbrochener, gleichmäßiger Weise durch den Körper fließt, während der zweite, nach dem englischen Physiker Faraday benannt, fortwährend unterbrochen, d. h. mit großer Schnelligkeit stets von neuem geöffnet und geschlossen wird. Beide Ströme werden in bestimmten elektrischen Apparaten mittels Elementen hervorgerufen, in welch letzteren Zinkstäbe und Holzkohlenzylinder durch eine Salmiaklösung umspült werden. Der positive Pol befindet sich an der Holzkohle, der negative am Zink.

Der faradische Strom wirkt belebend und erregend und wird deshalb am meisten bei Lähmungen, Schwächezuständen der Muskeln und Gelenke, chronischem Rheumatismus, Magenerweiterung und Neurasthenie gebraucht. Bei der Anwendung dürfen keine Schmerzen, sondern nur schwache Muskelzusammenziehungen bewirkt werden. Eine sehr zweckmäßige Anwendung ist die sogenannte allgemeine Faradisation, welche Verfasser in der Weise ausübt, daß er den Patienten, dessen Oberkörper entkleidet ist, eine große biegsame Elektrode auf die Magengegend halten läßt und dann mit einer kleineren Elektrode, einer Massierrolle oder einer elektrischen Bürste Arme, Brust, Hals und Rücken nacheinander bestreicht oder beklopft. Diese Sitzung dauert im ganzen fünf bis zehn Minuten und wird einen um den andern Tag wiederholt. Diese Behandlung hat besonders bei Nervenschwäche und neur-asthenischen Erscheinungen ausgezeichnete Erfolge, wie wir aus eigener Erfahrung an zahlreichen Kranken bezeugen können.

Der galvanische Strom hat eine andere Wirkung: schmerzstillend, wiederherstellend, beruhigend; er wird deshalb besonders bei Neuralgien und Erschöpfungszuständen des Nervensystems gebraucht. Er findet immer mehr Anhänger, besonders seit man die Stärke des Stromes, welchen der Patient erhält, an dem Galvanometer, einem Instrument, das bei Anwendung dieses Stromes unentbehrlich ist, genau ablesen kann. Schwache Ströme haben die beste Wirkung, starke Ströme, zu lang angewendet und zu oft wiederholt, können das ganze Nervensystem ruinieren. Eine ausgezeichnete Wirkung auf ein ermüdetes und angegriffenes Gehirn hat die Galvanisation des Kopfes, welche auf vorsichtige Weise mit sehr schwachen Strömen öfters wiederholt werden muß.

Wir sehen aus dem Gesagten, daß die Anwendung der Elektrizität als Heilmittel sehr nützlich sein kann, aber immer auf gewisse Krankheitsfälle beschränkt ist und viel Umsicht und Kenntnis erfordert. Keinesfalls ist die Elektrizität ein Universalmittel, das gegen Lungenentzündung, Diphtherie und alle möglichen Krankheiten helfen kann, wie spekulative Fabrikanten die Leute glauben machen wollen, um ihnen dann um so leichter ihre elektrischen Apparate aufhängen zu können, welche stets weit über den wirklichen Wert bezahlt werden müssen.

Auch von der chemischen Wirkung des elektrischen Stromes auf die Gewebe des Körpers wird in der Heilkunde Gebrauch gemacht und zwar in der Form der Elektrolyse. Hierbei werden Nadeln, durch welche der galvanische Strom geleitet wird, in Geschwülste, Lupusknötchen u. s. w. gestochen; infolge der « Bildung von Säuren und Alkalien wird das krankhafte Gewebe vernichtet, sodaß auf diese Weise hie und da Resultate erzielt werden können, wie sie ein Operateur sich nicht besser wünschen könnte. Eine solche Behandlung dauert zwar länger als eine Operation, da hierzu wiederholte elektrische Sitzungen nötig sind, hat aber dafür den Vorteil gänzlich ungefährlich zu sein und Blutungen zu vermeiden. Sogar vergrößerte Mandeln bei Kindern hat Verfasser auf diese Weise in verschiedenen Fällen zu der normalen Größe zurückbringen können.

Schließlich wollen wir noch erwähnen, daß in letzter Zeit auch das elektrische Licht in den Dienst der leidenden Menschheit gestellt ist und zwar in der Form von elektrischen Lichtbädern, wobei der Kranke sich in einem Kasten, der von innen mit elektrischen Glühlämpchen versehen ist, befindet, und fernerhin als konzentriertes, elektrisches Bogenlicht, welches von Prof. Finsen in Kopenhagen als ein mächtiger Faktor bei der Lupusbehandlung eingeführt ist. Letztere Anwendungen können jedoch nur in besonderen, dafür eingerichteten Anstalten zur Ausführung gebracht werden, während die oben erwähnten Methoden von jedem Arzte, welcher über die dazu nötigen Instrumente und Apparate verfügt, in der täglichen Praxis angewendet werden können.



DRUCKVERSION
WEITEREMPFEHLEN

V. Massage, Heilgymnastik und Orthopädie - I. Charakteristik der wichtigsten homöopathischen Arzneimittel