Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
7. Influenza ist eine seit der großen Epidemie von 1889/90 allgemein bekannte Infektionskrankheit, welche vorwiegend die Atmungs- und Verdauungsorgane und das Nervensystem angreift. Im Vordergrund stehen die Symptome einer heftigen Luftröhrenentzündung, welche jedoch gewöhnlich von mehr oder weniger ernsten allgemeinen Erscheinungen nervöser Art begleitet ist. Die Vorboten, welche 1 bis 3 Tage dauern, bestehen meistens in Mattigkeitsgefühl und Schmerzen in den Gliedern und im Rücken. Die eigentliche Krankheit beginnt mit Frostschauern, Fieber von 39°—40° C, heftigem Kopfschmerz, Schmerzen im Rücken und in den Beinen, Nasenkatarrh, trockenem Husten, Appetitmangel, Übelkeit, Schwächegefühl, wozu sich nicht selten Schlaflosigkeit, Ohrensausen, Schwindel, große Unruhe und sogar Delirien gesellen. Zuweilen wird auch das Herz angegriffen, entweder durch direkte Vergiftung des Blutes mit dem Influenzagiftstoff oder durch Affektion der Herznerven. Die Dauer der Krankheit schwankt zwischen 8 bis 14 Tagen; bei alten und geschwächten Personen und bei verkehrter Behandlung, besonders mit starken, fieberunterdrückenden Mitteln dauert die Krankheit manchmal beträchtlich länger. Bei solchen Patienten kann es wochen- und monatelang dauern, bis sie ihre frühere Gesundheit wiedererlangt haben. Obwohl die Influenza im Laufe der Jahre viel von ihrer ursprünglichen Gefährlichkeit verloren hat, ist sie doch nicht so leicht zu nehmen und kann besonders durch Komplikationen und Nachkrankheiten gefährlich werden. Nicht selten tritt nämlich im Verlaufe der Influenza Lungenentzündung oder Herzschwäche hinzu, und von den Nachkrankheiten sind besonders Mittelohrentzündung, chronische Augenentzündungen, Lähmungen, Neuralgien und Lungenschwindsucht zu nennen.
Vorbeugungsmaßregeln. Da Influenza durch mikroskopisch kleine Spaltpilze verursacht wird, welche besonders im Auswurf der Kranken zu finden sind, vermeide man es so viel als möglich, derartige Kranke zu besuchen und trage Sorge, wenn man sie zu pflegen hat, daß sie einem nicht ins Gesicht husten. Ebenso wenig darf der Auswurf auf den Boden oder in Taschentücher gespuckt werden, sondern muß in einen Spucknapf mit Wasser kommen. Im Krankenzimmer lasse man von Zeit zu Zeit 10—20 Tropfen Eucalyptus-globulus-Tinktur, am besten in einem Inhalationsapparat oder auch in einem Schüsselchen mit Wasser verdunsten, wodurch die Luft desinfiziert wird. Ferner wird als Vorbeugungsmittel das Riechen an Kampferspiritus, oder das Einnehmen einiger Tropfen Camphora Rubini auf Zucker mehrere male täglich empfohlen.
Behandlung. Von der größten Wichtigkeit ist es, sich sofort in einem erwärmten Zimmer zu Bett zu begeben. Viele meinen, daß sie so lange wie möglich gegen die Krankheit angehen müssen und erreichen dadurch nur, daß dieselbe umso hartnäckiger wird. Der häufige Gebrauch von Antipyrin, Phenacetin und dergl. ist oft die Ursache der langen Dauer der Krankheit und von mancher gefährlichen Nachkrankheit, da die Widerstandskraft des Körpers durch diese, das Fieber mit Gewalt unterdrückenden Mittel geschwächt und die Ausscheidung der giftigen Krankheitsstoffe verzögert wird. Homöopathische Heilmittel geben in Verbindung mit Wasserbehandlung meistens recht befriedigende Resultate. Die Wahl des Mittels muß in allen ernsten Fällen dem Arzte überlassen bleiben, da dieselbe manchmal nicht leicht ist, indem die Krankheit in den einzelnen Epidemien einen verschiedenen Charakter trägt und bald dieses, bald jenes Mittel zu den Krankheitserscheinungen am besten paßt. Hahnemann hat Camphora 1, 4—5 mal täglich 3 Tropfen in warmem Wasser oder auf Zucker empfohlen, wodurch die Krankheit zwar nicht verkürzt wird, aber einen milderen Verlauf nimmt. Nach unserer Erfahrung leistet Eucalypt. glob. 2, stündlich 5 Tropfen, in leichteren Fällen auch Pulsat. 3, oft gute Dienste; beide Mittel enthalten ein kampferartiges Öl und sind leichter zu nehmen als Camphora, welches manchen Kranken seines scharfen Geschmackes wegen widersteht. Nicht selten kommen jedoch im Verlauf der Krankheit noch andere Mittel in Betracht, z. B. bei sehr hohem Fieber, hartem und raschem Puls: Aconit. 3; bei heftigen Kopfschmerzen: Bellad. 4; bei trockenem Husten und Brustschmerzen: Bryon. 3; bei Magenschmerzen und Verdauungsstörungen: Baptis. 3, Bryon. 3, Muriat. acid. 3, Antim. crud. IV; bei heftigen Rückenschmerzen und nervösen Erscheinungen, besonders, wenn die Beschwerden durch Bewegung gebessert werden: Rhus tox. 4, Eupat. perf. 3; bei Ohrenschmerzen: Pulsat. 3; bei Schlaflosigkeit, Unruhe, großer Schwäche und Angst: Arsen. alb. 4—6, Chinin, arsen. III; bei Besorgnis vor Lungenentzündung: Phosph. 5—6 im Wechsel mit Tart. emet. 4; bei Herzschwäche: Arsen. alb. 4, Strophant. 4, Camphora 1 und Wein.
Neben dem Gebrauch der Arzneien empfehlen wir Waschungen des ganzen Körpers mit Wasser von 30—35° C, das Legen einer Wärmflasche, mit einem nassen Tuch umwickelt, zu den Füßen und das Trinken von heißer Zitronenlimonade. Ein günstiges Zeichen ist es, wenn der Kranke anfängt zu schwitzen, weil dadurch die Toxinen (giftige Krankheitsstoffe) aus dem Körper entfernt werden. Wir bemerken, daß es oft schwierig ist, einen Fieberkranken nachmittags oder abends zum Schwitzen zu bringen und daß es nicht ratsam ist, dieses mit Gewalt bewirken zu wollen; oft gelingt es morgens besser. Zuweilen ist es empfehlenswert, eine nasse Einwickelung des ganzen Körpers zu machen, es ist jedoch wegen der Gefahr der Herzschwäche, welche man bei Influenza nie aus dem Auge verlieren darf, besser, dieses nicht ohne Wissen des Arztes zu tun. Im weiteren Verlauf der Krankheit, welcher bei dieser Behandlung meistens günstig ist, kommen noch die früher bei Husten und Katarrh genannten Mittel in Betracht; während der Rekouvalescenz ist leicht verdauliche, kräftige Nahrung angezeigt. Nach der Genesung muß der Patient sich warm kleiden und zu frühes Ausgehen, besonders bei rauhem Wetter, vermeiden. Diese Mahnung haben besonders alte Leute und diejenigen, welche schon vor der Krankheit schwache Lungen hatten, zu beherzigen.