Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
5. Lungenentzündung ist eine der häufigsten und ernstesten Krankheiten. Sie befällt gewöhnlich scheinbar gesunde Personen vom 20. bis zum 45. Lebensjahre und öfters Männer als Frauen. Im Winter und im Frühjahr tritt sie häufiger als im Sommer und im Herbst auf. Zuweilen nimmt sie einen epidemischen Charakter an und befällt mehrere Personen in derselben Wohnung oder Straße, in Gefängnissen, Klostern oder Kasernen. Nach den neuesten Untersuchungen spielen mikroskopisch kleine Spaltpilze (Pneumokokken genannt) bei der Entstehung der kruppösen Lungenentzündung, um welche es sich hier handelt, eine Rolle. Zu den veranlassenden Ursachen gehören Erkältung, besonders nach aussergewöhnlicher Körperanstrengung, von plötzlicher Abkühlung des mit Schweiß bedeckten Körpers gefolgt. Auch scheint eine gewisse Disposition für die Krankheit zu bestehen, da es Leute gibt, welche vier, fünfmal und noch öfter von Lungenentzündung befallen werden.
Die Krankheit beginnt gewöhnlich mit heftigem Schüttelfrost und hohem Fieber (bis 40° C. und darüber,) wodurch der Kranke genötigt wird, sofort das Bett aufzusuchen. Heftige Brustschmerzen, Atemnot, beschleunigtes Atmen mit raschem Puls, ein kurzer, trockener, schmerzhafter Husten, Kopfschmerzen und zuweilen Phantasieren weisen auch den Laien auf eine ernste Erkrankung der Lungen hin. Die richtige Diagnose kann jedoch nur von einem Arzte nach genauer Untersuchung der Brust gestellt werden. Der Kranke wirft mit Blut vermischten, rostfarbenen Schleim aus; die Erscheinungen nehmen an Heftigkeit zu, bis in günstigen Fällen am 5. oder 7. Tage die "Krisis," meistens in der Nacht eintritt. Das Fieber fällt dann gewöhnlich plötzlich bis auf 36° C. oder darunter, der Puls wird langsamer, sodaß zuweilen bloß 60—50 Schläge in der Minute gezählt werden, es tritt eine reichliche Schweißabsonderung ein, die Atmung wird ruhiger, der Husten loser, die Schmerzen sind verschwunden — kurz, der Kranke ist aus der Lebensgefahr gerettet. Nicht immer nimmt jedoch die Krankheit einen derartig günstigen Verlauf, sondern nicht selten geht sie von der einen Lunge auf die andere über oder wird mit einer Brustfell- oder Gehirnhautentzündung kompliziert. Bei Alkoholikern, bei beleibten und alten Personen besteht immer Gefahr für Herzschwäche, welche durch einen schwachen Puls und Kräfteverfall gekennzeichnet ist.
Selbstverständlich wird ein Laie nur in äußerster Not, wenn ärztliche Hilfe gar nicht zu erhalten ist, es wagen dürfen, eine solche ernste Krankheit selbst zu behandeln. Für solche Fälle geben wir einige kurze Anweisungen. Im Anfang gelingt es zuweilen durch wiederholte Gaben Aconit. 3 (alle ½ Stunde 5 Tropfen) den vollen Krankheitsausbruch zu verhüten. Dieses Mittel ist bei großer Unruhe, heftigem Durst, dunklem Urin, und besonders nach Erkältung bei scharfem Nordwind angezeigt. Treten von Anfang an dagegen die Erscheinungen von Blutandrang nach dem Kopfe, wie Kopfschmerzen, hochrote Gesichtsfarbe und Phantasieren mehr in den Vordergrund, dann ist Bellad. 4, auf dieselbe Weise angewendet, das angezeigte Mittel. Bei heftigen Schmerzen in der Brust und bei Seitenstechen ist Bryonia 3 mehr am Platze. Wird der Auswurf rostfarben, dann darf mit der Anwendung von Phosph. 5—6, alle 2 Stunden 5 Tropfen in Wasser, nicht gezögert werden. Nach der Krisis paßt Tart. emet. 3—4, allein oder mit Phosph. 5—6 im Wechsel gegeben. Tritt nach anfänglicher Besserung wieder eine Verschlimmerung des Krankheitszustandes ein, wie dieses bei Ausdehnung der Entzündung auf einen anderen Teil der angegriffenen oder auf die bis dahin noch gesunde Lunge vorkommt, dann kann man von Jodium 4 und bei skrofulösen Personen von Sulfur VI oft gute Resultate erleben. Im Stadium der Rekonvalescenz leisten Ferr. phosph. VI—III, China 2, Avena sativa 1 gute Dienste.
Im Anfang der Krankheit halte man Fieberdiät ein (s. Seite 79); bei schwachen und alten Leuten, bei Alkoholikern und bei Erscheinungen von Herzschwäche reiche man öfters etwas guten, alten Wein, auch muß die Ernährung dann kräftiger sein, besonders Milch und Geschlagene Eier sind zu empfehlen, zum Löschen des Durstes ist frisches Wasser oder Fruchtsaft unbedenklich zu reichen. Weitere Hilfsmittel bei der Behandlung sind anderthalb- bis zweistündlich zu erneuernde nasse Umschläge um die Brust und Abwaschungen des ganzen Körpers mit kühlem Wasser. Die Zimmertemperatur darf nicht mehr wie 18° C. betragen und für genügende Lüftung muß gesorgt werden. Nach der Genesung muß der Patient gut ernährt werden, sich warm kleiden und noch längere Zeit vor kalter, rauher Luft hüten.