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Jacob Voorhoeve Homöopathie in der Praxis III. Behandlung der Krankheiten und erste Hilfe IV. Krankheiten der Atmungsorgane

[9. Lungenschwindsucht]

9. Lungenschwindsucht oder Lungentuberkulose ist die häufigste Lungenkrankheit und mit Recht eine Geißel der Menschheit genannt worden, da 1/7 bis 1/5 aller Sterbefälle für ihre Rechnung kommen. Seit der Entdeckung der Tuberkelbazillen durch Prof. Koch werden diese Spaltpilze für die Ursache der Tuberkulose gehalten. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, daß noch andere Ursachen mitwirken müssen, um diese Krankheit entstehen zu lassen. Die Disposition oder Empfänglichkeit des Körpers spielt dabei sicher eine Rolle. Ebenfalls die Erblichkeit und das Alter. Die Erfahrung hat gelehrt, daß Leute jahrelang mit Schwindsüchtigen zusam­mengelebt haben, ohne selbst die Schwindsucht zu bekommen. Sie waren nicht dazu disponiert. Ein Gesunder kann jedoch für Tuberkulose empfänglich werden, wenn er durch irgend eine Krankheit oder sogar durch eine heftige Gemütsbewegung geschwächt wird. Es ist deshalb ratsam, die Vorbeugungsmaßregeln, welche auf Grund der Kochschen Entdeckung empfohlen werden, wie z. B. Desinfektion des Auswurfs u. s. w. nicht zu vernachlässigen. Hochgelegene, sonnige Gegenden, wie die Alpen, die Kordilleren, die Hochebenen von Abessinien und Persien, ferner trockene Gegenden, wie Peru, die Kirgisensteppen, das Binnenland Südafrikas und Ägyptens sind beinahe gänzlich frei von Tuberkulose, dagegen sind die Bewohner niedriger und feuchter Gegenden, von Fabrikstädten, wo die Luft durch Staub und Rauch verunreinigt ist, außerordentlich empfänglich für diese Krankheit. Schlechte, ungesunde Wohnungen, ungenügende Lüftung in Wohn- und Schlafräumen, Mangel an Körperbewegung, Sonnenschein und frischer Luft, unzureichende, schlechte Nahrung, besonders, wenn damit geistige und körperliche Überanstrengung verbunden ist, ausschweifendes Leben und Alkoholmißbrauch sind ebenso viele veranlassende Ursachen zum Entstehen der Schwindsucht.

Der Verlauf der Krankheit ist verschieden. Bald tritt sie als galoppierende Lungenschwindsucht auf, wobei der Kranke in wenigen Wochen unter anhaltenden Fiebern und Nachtschweißen schnell abmagernd zugrunde geht, bald beginnt sie als eine akute Krankheit, kommt zum Stillstand, bricht aufs neue aus und kann wiederum scheinbar geheilt werden, während sie endlich in den meisten Fällen von Anfang an einen chronischen Charakter hat und einen verhältnismäßig günstigen Verlauf nimmt, sodaß der Kranke, wenn er seine Lebensweise dementsprechend einrichtet, noch ein ziemlich hohes Alter erreichen kann. Wir unterscheiden drei Stadien der chronischen Lungenschwindsucht. Das erste Stadium beginnt mit einem kurzen, trockenen Reizhusten, wodurch nur sehr wenig Schleim herausgefördert wird, Schmerzen in der Seite und der Brust, geringe Kurzatmigkeit und Müdigkeitsgefühl. Zuweilen tritt unerwartet eine Lungenblutung auf. Werden diese Erscheinungen nicht genügend beachtet oder nicht auf zweckmäßige Weise behandelt, dann geht die Krankheit in das zweite Stadium über, welches durch abendliches Fieber, Husten mit gelblichem, zuweilen blutigem Auswurf, Appetitlosigkeit, Abnahme des Körpergewichtes, Nachtschweißen, Atembeschwerden und Kraftlosigkeit gekennzeichnet ist. Auch jetzt noch kann durch eine energische Behandlung die Krankheit in vielen Fällen zum Stillstand gebracht werden. Im dritten Stadium nehmen alle Erscheinungen an Heftigkeit zu, das Fieber, die Schweiße, die Kraftlosigkeit, die Abmagerung, der Husten, der Auswurf erreichen ihren Höhepunkt, der Kehlkopf und die Eingeweide können auch mit angegriffen werden (Heiserkeit, Halsschmerzen, Durchfall) und wiewohl der Kranke bis zum Ende die Hoffnung auf Besserung nicht aufgibt, kann auch die beste und sorgfältigste Behandlung das Unvermeidliche nicht mehr verhindern.

Vorbeugungsmaßregeln. Bei schwachen und erblich belasteten Personen, besonders bei Kindern aus schwindsüchtigen Familien, muß durch kräftige Ernährung, Aufenthalt in frischer Luft, hygienische Lebensweise, kalte Waschungen und Luftbäder die Widerstandsfähigkeit des Organismus erhöht werden. Wenn möglich müssen sie einen Beruf wählen, welcher sie nicht zu einer sitzenden Lebensweise verurteilt. Für gute Ventilation in Wohn- und Schlafräumen muß stets gesorgt werden. Bei der Pflege Schwindsüchtiger ist es sowohl für die Pfleger als für den Kranken selbst von größter Wichtigkeit, für die Unschädlichmachung des Auswurfs Sorge zu tragen. Der Kranke darf nicht auf den Boden oder in Taschentücher spucken, sondern in einen Spucknapf, der mit Karbolwasser gefüllt ist. Die größte Reinlichkeit muß beobachtet werden, Leib- und Bettwäsche öfters erneuert und besonders gewaschen werden.

Behandlung. Hierbei ist es von der größten Wichtigkeit einen Arzt zu konsultieren, weil nur dieser allein imstande ist, durch eine wissenschaftliche Untersuchung der Brust den ersten Anfang der Krankheit zu entdecken und über ihren weiteren Verlauf ein Urteil zu fällen. Wir warnen vor dem Gebrauch aller Quacksalbereien, sowie vor starken Arzneien, welche den Husten und das Fieber mit Gewalt unterdrücken sollen, denn weder durch das eine noch durch das andere wird die Krankheit geheilt. Übrigens denke der Lungenkranke auch nicht, daß er durch das Einnehmen eines homöopathischen Mittels genug getan habe, um gesund zu werden — nein, seine ganze Lebensweise muß er nach der Art seiner Krankheit, welche Ruhe, frische Luft, kräftige Ernährung verlangt, einrichten. Die Nahrung des Schwindsüchtigen besteht am besten aus Milch, Eier, Fett, Mehlspeisen, Obst, Salaten und Gemüsen. Auch Fleisch darf genossen werden, während besonders leicht verdauliches Fett wie Süßrahmbutter und süßer Rahm sehr zu empfehlen sind. Hafergrützebrei mit Milch und Zucker bildet ein ausgezeichnetes Frühstück für Lungenkranke. Bei Appetitlosigkeit hilft oft der Gebrauch von Sanatogen, welches übrigens auch ein gutes Stärkungsmittel ist. Durch regelmäßiges Wiegen muß das Körgergewicht kontrolliert werden, da dieses für die Beurteilung des Gesundheitszustandes wertvoll ist. Für frische, reine Luft in Wohn- und Schlafräumen muß so viel als möglich Sorge getragen werden. Man lüfte viel, und öffne Türen und Fenster, ohne selbst im Zuge zu sein. Im Winter muß das Schlafzimmer geheizt werden. Kalte Luft ist übrigens nicht schädlich, wie die guten Resultate von Davos beweisen; scharfe Nordostluft muß dagegen gemieden werden. Wir warnen eindringlich vor übertriebenen Kaltwasserprozeduren, da der Lungenkranke keine Wärme zu verlieren hat. Weit besser sind Luft- und Sonnenbäder. Man lasse so viel als möglich Brust und Rücken von der Sonne bescheinen, außer in den heißesten Sommermonaten, weil dann die Wirkung der Sonnenstrahlen zu intensiv ist. Prießnitzsche Umschläge um die Brust können von Zeit zu Zeit abends gemacht werden; dieselben tragen dazu bei, den Schleim zu lockern und den Schlaf zu fördern. Bei Fieber werden kühle (22° — 25° C.) Waschungen des ganzen Körpers im Bett gemacht und nasse Strümpfe, die alle 4 Stunden zu erneuern sind, angelegt. Die Kleidung muß porös und warm sein; die Unterkleidung von Mahr & Haake und Trikot-Wollkleidung sind empfehlenswert (s. S. 75). Der Aufenthalt in Luftkurorten wie Davos, Montreux, Meran, Pau, Madeira, Algier, an oder auf der See ist oft von großem Nutzen. Aber diejenigen, welche die Mittel zu einer solchen Kur nicht besitzen, können auch zu Hause gesund werden, wenn die Krankheit noch nicht zu weit vorgeschritten ist und obige Ratschläge befolgt werden.

Von den homöopathischen Arzeneien, welche bei Lungenschwindsucht hauptsächlich in Betracht kommen, sind folgende zu nennen: Arsen. jod. IV—VI, ein Mittel, welches oft die besten Erfolge gezeitigt hat. Die 6. Dezimalverreibung paßt mehr für bettlägerige Kranke, die 4. Verreibung mehr für noch nicht so sehr geschwächte Personen. Gewöhnlich genügt eine Dosis morgens früh. Ist Fieber vorhanden, dann ist zuweilen Kreosot 4, 2—3 mal täglich, vorzuziehen. Calcar. phosph. VI paßt besonders für Kinder und bleichsüchtige Mädchen, wie auch bei hektischen Fiebern, zuweilen im Wechsel mit Arsen. jod. VI oder Chinin. arsen. IV. Bei skrofulösen Personen passen Calcar. jod. IV und Silicea VI. Mit Sulfur und Tuberkulinum muß bei Lungenkranken Vorsicht gebraucht werden. Dies sind die Hauptmittel, welche eine Zeitlang gegeben werden, worauf eine Pause eingeschaltet wird, um die Besserung abzuwarten; als Zwischenmittel sind manchmal nötig: Bellad. 4 bei Reizhusten; Drosera 3 bei Morgen- und Abendhusten; Pulsat. 3 bei Nachthusten mit gelbgrünlichem Auswurf und bitterem Geschmack; Bryon. 3 bei Stechen in der Brust und Schmerzen beim Husten; Arsen. alb. 6, Cannab. sat. 3 und Spongia 3 bei großer Kurzatmigkeit; Ammon. brom. 2 und Ammon, jod. IV bei Angegriffensein des Halses und des Kehlkopfes; Phosph. 6 und Cupr. arsen. IV—VI bei schmerzlosem Durchfall; Sambucus 4 bei Schwitzen am Tage; Phosph. 6, Gelsem. 4, Boletus 2 bei Nachtschweißen (neben Waschungen der Brust und des Rückens mit Wasser und Essig); Millefol. 2, Hydr. cand. 2, Hamamelis-Extrakt bei Blutspucken.



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