Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
Die meisten akuten, d. h. einen schnellen Verlauf nehmenden oder plötzlich eintretenden Krankheiten sind von Fieber begleitet, sei es, daß dieses gleich im Anfang auftritt oder sich im weiteren Verlauf der Krankheit bei Ausdehnung des örtlichen Krankheitsprozesses bemerkbar macht. Auch bei chronischen, d. h. einen langsamen Verlauf nehmenden und lange dauernden Krankheiten kommt Fieber vor, meistens jedoch nur dann, wenn der Krankheitsprozeß eine akute Verschlimmerung erfährt. Obwohl Fieber keine selbständige Krankheit ist, ist es doch von großer Wichtigkeit, einigermaßen mit seinem Auftreten und seinen Kennzeichen bekannt zu sein. Wenn jemand über Frösteln oder Hitzegefühl im ganzen Körper, besonders im Kopf, ferner über Kopfschmerzen, Mangel an Appetit und ein allgemeines unbehagliches Gefühl klagt, liegt die Vermutung nahe, daß er "fieberisch" ist oder "Fieber" hat. Geht der Puls dabei sehr rasch, bei Erwachsenen mehr als ungefähr 80 Schläge in der Minute, bei Kindern mehr als 100 Schläge in der Minute, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß Fieber vorhanden ist; das wichtigste Kennzeichen des Fiebers ist jedoch die Erhöhung der Körpertemperatur, welche auf sichere Weise nur mittels des Fieberthermometers festgestellt werden kann. Ein derartiges Instrument verdient deshalb einen Platz in jeder Familie, besonders wo Kinder sind; seine Anschaffung verursacht nur geringe Kosten und hat den Vorteil, daß man sofort beim Anfang jeder Krankheit feststellen kann, ob Fieber da ist und demgemäß die geeigneten Maßregeln treffen kann. Bei der Anwendung des Thermometers lege man denselben in die Achselhöhle, wobei man dafür sorgen muß, daß der Oberarm fest gegen den Körper gedrückt wird und der Vorderarm auf der Brust liegt; man kann jedoch das Instrument auch in den Mund, oder bei Kindern in den After schieben, was natürlich mit der nötigen Vorsicht geschehen muß. In ersterem Fall hat die Quecksilbersäule nach 10 bis 15 Minuten, in den beiden anderen Fällen nach 5 Minuten ihren höchsten Stand erreicht, welcher auf der nach Celsiusgraden abgeteilten Skala bequem abgelesen werden kann. Bei längerer Dauer der Krankheit ist es öfters erforderlich, die Temperatur regelmäßig 2 mal am Tage zu messen; dieses geschieht immer am besten morgens zwischen 7 und 9 Uhr, weil dann die Temperatur gewöhnlich am niedrigsten, und immer abends zwischen 5 und 7 Uhr, weil sie dann gewöhnlich am höchsten ist. Die normale Körpertemperatur beträgt morgens ungefähr 37° C, abends etwas mehr: 37,3° bis 37,5°; eine Temperatur von 37,5° bis 38,5° zeigt leichtes Fieber, von 38,5° bis 39,5° Fieber, darüber hohes Fieber und über 42° C. große Lebensgefahr an. Fällt die Temperatur weit unter die normale, z. B. 35° bis 33°, dann tritt Kollaps, d. h. plötzlicher Kräfteverfall ein, womit ebenfalls große Lebensgefahr verbunden ist.
Wie oben schon bemerkt wurde, ist Fieber keine selbständige Krankheit; es ist vielmehr ein Zeichen, daß etwas im Körper nicht in Ordnung ist; um welche Krankheit es sich handelt, ist in manchen Fällen sofort, in anderen erst nach einem oder mehreren Tagen festzustellen. Die das Fieber begleitenden Krankheitserscheinungen können hierüber Aufklärung geben; so zeigen z. B. Husten und Seitenstiche, wenn sie mit hohem Fieber einhergehen, auf eine Entzündung der Atmungsorgane; Kopfschmerzen, Phantasieren und Erbrechen auf Gehirnhautentzündung; Fieber, dem heftiger Frost vorhergeht und Schweißausbruch folgt, auf Wechselfieber hin, u. s. w., u. s. w. Bei Kindern ist es ratsam, stets in den Hals zu sehen, da nicht selten hier die Ursache des Fiebers zu finden ist. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß es in allen Fällen von hohem Fieber, anhaltendem Fieber, oder Fieber, dessen Ursache nicht sogleich erkennbar ist, nötig ist, ungesäumt ärztlichen Rat einzuholen.
Welches ist nun die beste Behandlung einer plötzlich eintretenden fieberhaften Krankheit? Für den aufmerksamen Leser ist es nicht nötig, zu sagen, daß es verkehrt ist, das Fieber durch starke, fiebervertreibende Arzneimittel gewaltsam zu unterdrücken; wir haben uns hierüber in den vorhergehenden Abschnitten deutlich ausgesprochen. Der Homöopath denkt in derartigen Fällen stets in erster Linie an zwei Mittel, welche nach dem "Simile-Prinzip" angezeigt sein können und zwar an Aconitum und Belladonna, welche beide auf die Blutgefäße und den Blutkreislauf wirken. Geht das Fieber mit heißer, trockener Haut und Unruhe einher, und ist es infolge von Erkältung entstanden, dann ist Aconitum angezeigt; geht es jedoch mit Schwitzen einzelner Körperteile, Blutandrang nach dem Kopf und Klopfen der Halsadern einher, dann ist Belladonna am Platze. Von diesen Mitteln verabreiche man 1 bis 2 stündlich, je nach der Heftigkeit der Erscheinungen 5 Tropfen der 3. oder 4. Dezimalverdünnung in einem Teelöffel Wasser. Ist man sich nicht klar, welches Mittel am meisten angezeigt ist, dann verabreiche man beide Mittel im Wechsel. Sobald aus dem ferneren Verlauf hervorgeht, mit welcher Krankheit man es zu tun hat, kommen die für dieselbe angezeigten Mittel in Betracht. Empfehlenswert ist es ferner, die Wirkung der innerlichen Mittel durch eine zweckmäßige äußerliche Behandlung zu unterstützen. Dieses kann durch nasse Umschläge, kühle Waschungen des ganzen Körpers oder durch Anwendung des Bettdampfbades geschehen, worüber wir im Abschnitt über Wasserbehandlung bereits ausführlich gesprochen haben. Bei Kindern empfehlen wir besonders das Anlegen der nassen Strümpfe (s. S. 83).
Über die weitere Behandlung und über die Pflege von Fieberkranken lese man im 2. Abschnitt des zweiten Teiles nach, wo auch die äußerst wichtige Diät für Fieberkranke beschrieben ist.