Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
10. Die Krankheiten des Gefäßsystems, welche wir im Anschluß an die Herzkrankheiten noch kurz besprechen wollen, werden verteilt in Krankheiten der Pulsadern oder Arterien und Krankheiten der Blutadern oder Venen.
Die Wandungen der Arterien können entarten oder verkalken, wodurch Blutkreislaufstörungen entstehen, welche zu Herzkrankheiten Veranlassung geben können. Durch Erweichung oder Brüchigkeit der Arterien können auch leicht Zerreißungen der Gehirngefäße auftreten, wodurch Schlaganfall entsteht. Die Ursachen der Arterienerweichung oder -Verkalkung sind u.a. Fettsucht, Syphilis und Alkoholmissbrauch, vor welchen man sich also zu hüten hat. Der Verlauf dieser Krankheit, die meistens im höheren Mannes- oder Greisenalter auftritt, ist sehr langsam; die daran Leidenden können sehr gut ein hohes Alter erreichen, wenn sie ihre Lebensweise nach den Vorschriften, die wir für Herzleidende gegeben haben, einrichten. Ein gutes diätetisches Mittel ist Buttermilch, welches die Kalksalze im Blut aufgelöst erhält. Als Heilmittel können Aur. jod. IV, Crataegus 2—1 und Kal. jod. 2 empfohlen werden; das Hauptgewicht muß jedoch auf die hygienische Lehensweise (vor allem Vermeiden von Alkohol und Tabak) und auf die Vorheugungsmaßregeln gelegt werden.
Die Blutadern oder Venen sind ebenfalls Krankheiten unterworfen. Durch Entzündung der Innenwand dieser Blutgefäße kann zur Gerinnung des Blutes und zur Bildung eines sog. Blutpfropfens Veranlassung gegeben werden, welch letzterer durch den Blutstrom in das eine oder andere Organ verschleppt wird, sich dort festsetzt und verschiedene, oft sehr gefährliche Erscheinungen verursachen kann. Auf diese Weise können z. B. Lungenentzündung, Lähmung, plötzliche Erblindung entstehen. Alle derartige Fälle können nur von einem Sachverständigen beurteilt und richtig behandelt werden. Wir erwähnen sie nur, um darauf hinzuweisen, wie wichtig es bei allen Venenentzündungen, wie sie z. B. bei Wöchnerinnen zuweilen vorkommen, ist, die größtmögliche Ruhe im Bett zu beobachten, bis die Entzündung gewichen und die Gefahr der Bildung eines Blutpfropfens vorbei ist. Bei schmerzhafter Schwellung des Armes oder des Beines, welche von Venenentzündung ergriffen sind, können Prießnitzsche Umschläge mit Wasser, dem etwas Hamamelis-Tinktur beigefügt ist, sowie Einnehmen von Hamamelis-Extrakt empfohlen werden. Massage ist dagegen strengstens verboten.
Durch Stockungen des Blutkreislaufes, z. B. infolge von Druck auf die großen Blutgefäße, wird der Rückfluß des Blutes in den Venen erschwert, wodurch besonders an den Extremitäten Venenerweiterungen, auch Krampfadern oder Blutaderknoten genannt, entstehen. Anhaltendes Stehen, chronische Stuhlverstopfung, Schwangerschaft und Unterleibskrankheiten sind die am meisten vorkommenden Ursachen dieses unangenehmen Leidens, welches durch Jucken, Spannung, schweres Gefühl in den Beinen gekennzeichnet ist und schließlich die Veranlassung zu langwierigen Geschwüren und offenen Wunden werden kann. Bei der Behandlung kommen die obengenannten Umschläge, verbunden mit Hochlagerung des Beines, Entfernung enger Strumpfbänder, Regelung des Stuhlganges und dem innerlichen Gebrauch von Card. marian. 2 und Hamamelis-Extrakt in Betracht. Durch Platzen einer Krampfader kann eine gefährliche Blutung entstehen, welche sofortige ärztliche Hilfe verlangt, bis zu deren Ankunft man durch Hochlagerung des Beines, Druck auf die Ader unterhalb der blutenden Stelle und feste Umwickelung mit einer leinenen Binde die drohende Lebensgefahr abzuwenden suche.
Bei Unterschenkelgeschwüren, welche im Verlaufe der genannten Venenerweiterung öfters vorkommen, kann durch eine energische Behandlung öfters Besserung, ja sogar Heilung erzielt werden. Geduld ist jedoch sowohl von seiten des Patienten, als auch des Arztes nötig und der Kranke muß in der Lage sein, sich die nötige Ruhe zu gönnen. Wir halten den Patienten, wenn möglich, vier Wochen im Bett, reinigen die Geschwüre durch Baden, Waschungen und Umschläge von allen alten Krusten und schlechten Stoffen, fördern den Blutkreislauf durch tägliche Massage des ganzen Beines, wobei die Umgebung und die harten Ränder des Geschwüres besonders berücksichtigt werden und verbinden die Wunde nach jedesmaliger Anwendung der Massage mit Calendula-Salbe, aus einem Teil Calendula-Tinktur und neun Teilen Lanolin bestehend. Die Diät muß frei von Reizmitteln gehalten werden und der Kranke so wenig wie möglich trinken. Zur Förderung der Heilung sind Sulf. jod. VI und Arsen, jod. V, zur Linderung der brennenden nächtlichen Schmerzen Arsen. alb. 4 und Bellad. 4 oft von Nutzen. Ist die Wunde geheilt, dann muß der Kranke noch längere Zeit anhaltendes Stehen und vieles Gehen vermeiden, das Bein mit einer Trikotschlauchbinde umwickeln oder einen Gummistrumpf tragen.
Zuweilen entwickelt sich bei Personen, welche viel knieen, wie das bei Dienstmädchen und Arbeitsfrauen vorkommt, eine Geschwulst auf der Kniescheibe als Folge des anhaltenden Druckes und des gestörten Blutkreislaufes. Diese Geschwulst enthält eine wässerige Flüssigkeit. Gelingt es nicht, dieselbe durch einen fest angelegten Arnica-Weingeist-Verband (s. S. 34) zu beseitigen, dann muß eine kleine Operation gemacht werden, welche jedoch ganz ungefährlich ist.