Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
41. Diphtherie ist eine sehr gefährliche, ansteckende Krankheit, welche hauptsächlich Kinder im Alter von 2 bis 10 Jahren befällt und oft epidemisch auftritt. Das Hauptkennzeichen ist ein schmutzig-grauer oder gelblicher Belag auf den Mandeln, welcher oft zu Geschwürenbildung führt und die Neigung hat, sich auf den Gaumen, das Zäpfchen, die hintere Rachenwand, die Nase und den Kehlkopf auszudehnen. Durch Vergiftung des Blutes mit den Stoffwechselprodukten der Diphtheriebazillen entstehen nicht selten auch ernste allgemeine Krankheitserscheinungen, wie hohes Fieber, Phantasieren, Verlust des Bewußtseins, Nierenentzündung und Herzschwäche. Stets sind die Drüsen am Hals und am Unterkiefer angeschwollen und hierdurch läßt sich auch ein leichter Diphtheriefall von einer gewöhnlichen Mandelentzündung unterscheiden. Der Mundgeruch ist schlecht, die Zunge gelb belegt und das Schlucken erschwert. Leichtere Fälle können bei einer geeigneten Behandlung in etwa 4 bis 8 Tagen wieder geheilt sein; gefährlich ist stets die Ausdehnung des diphtheritischen Prozesses auf die Nase (was sich durch Nasenbluten und Absonderung stinkenden Schleims aus der Nase kundgibt) und auf den Kehlkopf (was an Heiserkeit, Krupphusten und erschwertem Atmen zu erkennen ist). Auch bei einem scheinbar günstigen Verlauf der Krankheit kann unerwartet Herzschwäche auftreten und nicht selten bleiben Lähmungen der Halsnerven (welche erschwertes Schlucken und durch die Nase Sprechen verursachen) oder der Augen (wodurch Schielen und Schwächung der Sehkraft verursacht wird) zurück, welche jedoch in den meisten Fällen durch eine sorgfältige Behandlung geheilt werden können.
Die Behandlung dieser ernsten Krankheit muß natürlich dem Arzte überlassen bleiben. Für diejenigen, welche ärztliche Hilfe gar nicht erlangen können, mögen hier einige Anweisungen, wie man sich dieser Krankheit gegenüber verhalten soll, folgen. Der an Diphtherie Erkrankte sollte, wenn möglich, stets abgesondert von allen andern Familiengliedern in einem geräumigen, luftigen Zimmer untergebracht werden. Die Diät sollte im Anfang flüssig, aber nahrhaft sein; es ist ratsam, alle 2 Stunden Milch, bei Herzschwäche auch Wein zu verabreichen. Gleich bei Beginn der Krankheit mache man ein Bettdampfbad, bewirke Stuhlentleerung durch ein Klistier und gebe innerlich Bellad. 4; sobald die Krankheit richtig erkannt ist, verabreiche man Apis 3 und Mercur. cyanat. 5—12 im Wechsel. Letzteres Mittel muß stets frisch sein, da es sonst leicht an Wirksamkeit einbüßt. Ferner sind lauwarme Umschläge um den Hals (kein Eis) und Gurgeln mit warmem Honigwasser und Zitronensaft zu empfehlen. Bei Nierenentzündung kommen Nitr. acid. 4 und warme Vollbäder, bei Krupp Bromium 4 oder Ammon. bromat. 2, nebst Einatmungen von Zitronen- oder Emserwasser mittels eines Inhalationsapparats in Betracht; bei Schwäche ist Arsen. alb. 6—4, bei bösen Geschwüren und großer Anschwellung der Drüsen Mercur. bijod. IV und bei Nasenbluten Natr. nitr. II von Nutzen. Ob eine Einspritzung des gegenwärtig viel benutzten Diphtherie-Heilserums wünschenswert oder notwendig ist, muß dem Urteil und der persönlichen Erfahrung des behandelnden Arztes überlassen werden. Gegen die nachfolgenden Lähmungen sind Caust. 4, Gelsem. 4 und Phosph. 5, nebst Anwendung des faradischen Stroms, von Nutzen.
Die Vorbeugungsmaßregeln bestehen im Vermeiden des Verkehrs mit an Diphtherie Erkrankten und in Isolierung der Kranken. Die Pflegerin sollte im Krankenzimmer weder essen noch trinken und sich öfters die Hände mit warmem Wasser und Seife waschen. Während einer Diphtherie-Epidemie sollte jede, auch die geringste Halsentzündung sorgfältig behandelt werden; ist die Krankheit in einer Familie zum Ausbruch gekommen, dann gebe man den gesunden Kindern täglich 5 Tropfen Mercur. cyanat. 5 und lasse sie fleißig mit verdünntem Zitronensaft gurgeln.
Nach der Heilung sollten die Kleider und das Bettzeug des Kranken und auch das Krankenzimmer sorgfältig desinfiziert werden.