Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
48. Skrofulose oder die Skrofelkrankheit, auch Skrofeln genannt, ist eine häufig vorkommende, über die ganze Erde verbreitete, chronische Krankheit, welche meistens Kinder im Alter von 2—14 Jahren, zuweilen jedoch auch Erwachsene befällt. Die Krankheit vererbt sich häufig von den Eltern auf die Nachkommen; nicht selten werden jedoch auch Kinder gesunder Eltern skrofulös, wenn sie schädlichen äußeren Einflüssen längere Zeit ausgesetzt sind. So haben z. B. Aufenthalt in ungesunden, feuchten und düsteren Wohnungen, schlechte Hautpflege, verkehrte Nahrung in dieser Hinsicht eine weittragende Bedeutung. Auch nach schwächenden Krankheiten, z. B. Masern und Keuchhusten, ist der Ausbruch der Skrofulose öfters zu beobachten.
Die Symptome dieser Krankheit sind zu zahlreich, um sie alle hier aufzuzählen. Die wichtigsten sind: schnell oder langsam verlaufende Entzündungen der Hals-, Leisten- und Unterleibsdrüsen; hartnäckige Hautausschläge (Ekzeme) und Entzündungen der Nase, der Luftröhre oder der Lungen; Augen- und Ohrenentzündung mit Bildung von Geschwüren und eitrigen Ausflüssen; Knochen- und Gelenkentzündungen; wiederholt auftretende und langdauernde Verdauungsstörungen, welche durch Appetitlosigkeit, Durchfall und aufgetriebenen Leib gekennzeichnet sind. Der Verlauf der Krankheit ist sehr verschieden, meistens jedoch recht langwierig; zuweilen dauert es 10 und mehr Jahre, bis die letzten Spuren des Leidens überwunden sind. Im allgemeinen unterscheiden wir zwei Formen der Skrofulose und zwar die schlaffe und die blühende Form. Erstere findet man bei Kindern mit plumpem Körperbau, dicker Nase, geschwollener Oberlippe, blassem, aufgedunsenem Gesicht, trägem Geist und phlegmatischem Temperament, während die zweite Form an dem feineren Körperbau, den dünnen Knochen, der durchscheinenden, meistens schön-rötlichen Gesichtsfarbe und dem regen Geiste zu erkennen ist. Oft kann man schon bei kleinen Kindern aus der steten Neigung zu kalten und schwitzenden Füßen und aus der Hartnäckigkeit gewöhnlicher Katarrhe auf eine Veranlagung zur Skrofulose schließen.
Die Vorbeugungsmaßregeln sind besonders bei Kindern Skrofuloser oder tuberkulöser Eltern von der allergrößten Wichtigheit, da durch eine streng geregelte Diät und eine genaue Befolgung der hygienischen Vorschriften die Skrofulose in ihrer Entwicklung vielfach gehemmt werden kann. Betreffs der Ernährung und Erziehung verweisen wir auf unsere diesbezüglichen, ausführlichen Bemerkungen auf Seite 272—276. Streng verboten sind scharf gesalzene und gewürzte Speisen, ferner Kaffee, Tee, Wein und Bier, während Fleischbrühe möglichst wenig verabreicht werden sollte. Die beste Nahrung für solche Kinder besteht aus Milch, Eiern, braunem Brot mit Butter, Hafergrützebrei, Gemüse, etwas Kartoffeln, Obst, besonders Äpfeln, Apfelsinen und Nüssen, während Fleisch nur in geringer Menge genossen werden sollte. Sehr empfehlenswert ist Apfelmus, mit süßem Rahm vermischt. Von großer Wichtigkeit ist ferner der ausgiebige Aufenthalt in reiner, sonniger, sauerstoffreicher Luft; deshalb hat die See- oder Bergluft manchmal solch auffallend günstige Wirkung bei schwächlichen und zur Skrofulose neigenden Kindern. Die Hautpflege darf nicht vernachlässigt werden; 2 mal wöchentlich bade man lauwarm (32° bis 28° C.), am besten unter Hinzufügen von 1 bis 2 Pfund Salz zum Badewasser, ferner sind kalte Waschungen und Zimmerluftbäder zu empfehlen. Die Kleidung sollte porös und warm sein (vergleiche Seite 75 und 76). Körperbewegung, besonders Spazierengehen und Turnen, sind empfehlenswert, falls des Guten nicht zu viel getan wird; Überanstrengung des Geistes muß dagegen gänzlich vermieden werden.
Bei der Behandlung der Skrofulose leisten unsere homöopathischen Heilmittel hervorragende Dienste, vorausgesetzt, daß die ganze Lebensweise den obigen Gesichtspunkten entspricht. Die am meisten gebrauchten Mittel sind folgende: Calcar. carb. VI—XII bei steter Neigung zu Luftröhrenkatarrhen und Verdauungsstörungen, bei Kindern mit dickem Leib und dünnen Beinen oder bei solchen, die viel am Kopfe schwitzen, auch bei Zahnbeschwerden und Leichterkältlichkeit; Mercur. solub. VI bei Geschwulst, Röte und Eiterung der Drüsen, bei Milchschorf, Kopfgrind und Augen- und Ohrenentzündung, ferner bei heftigen, nächtlichen Schmerzen in den Knochen; Silicea VI bei eiternden Drüsen und Fisteln, bei langwierigem Husten mit eitrigem Auswurf und bei Skrofuloser Knochen- und Gelenkentzündung; Sulfur VI—XII im Anfang der Behandlung und bei langwierigen Hautausschlägen, Schwellung der Nase und Oberlippe, Verstopfung, mit Durchfall abwechselnd, und bei skrofulösen Augen- und Ohrenkrankheiten. Die genannten Mittel müssen längere Zeit wöchentlich 2 mal genommen werden. In hartnäckigen Fällen hat uns der abwechselnde Gebrauch von Calcar. carb. VI und Sulfur VI wiederholt gute Dienste geleistet. Ferner kommen noch in den verschiedensten Fällen Arsen. alb. 5, Arsen. jodat. VI, Aur. jodat. VI, Baryt. carb. VI, Ferr. phosph. VI, Jodum 4 und Phosph. 5—12 in Betracht. Der viel benutzte Lebertran wird manchmal nicht vertragen, man zwinge die Kinder deshalb nicht, ihn zu nehmen, wenn sie Widerwillen dagegen haben. Wird er gut vertragen, dann hat er manchmal ganz gute Wirkung. Er muß dann im Winter 6 Wochen hintereinander bis zu 2 Esslöffeln täglich genommen werden. Ein empfehlenswertes Präparat ist ferner Ossin, ein Gemisch von gereinigtem Lebertran, Eidotter und Zucker, welches die Kinder gerne nehmen und meistens gut vertragen; dasselbe kann von manchen andern Ersatzmitteln des Lebertrans nicht gesagt werden. Zuweilen können sich bei hartnäckigen oder verunstaltenden Drüsenanschwellungen, wie auch bei Knochen- und Gelenkerkrankungen operative Maßregeln nötig erweisen; es ist deshalb immer gut, von Zeit zu Zeit ärztlichen Rat einzuholen.