Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
16. Gemütsleiden und Geistesstörungen kommen in unserer Zeit außerordentlich viel vor. Man hat berechnet, daß in den Kulturländern auf je 500 Bewohner 1 Irrsinniger kommt. Die Ursachen dieser traurigen Krankheit sind mannigfach. Anhaltende Gemütsbewegungen, Erschöpfungszustände des Nervensystems, Überanstrengung des Körpers und des Geistes im erschwerten Kampf ums Dasein, Ausschweifungen aller Art sind ebenso viele Veranlassungen von Geistesstörungen. Auch die Erblichkeit spielt eine Rolle. Heiraten unter Verwandten oder unter Personen exklusiver aristokratischer Kreise bringen eine Nachkommenschaft hervor, welche Geisteskrankheiten besonders ausgesetzt ist.
Die am meisten vorkommenden Formen von Geistesstörungen sind Melancholie, durch eine schwermütige, niedergeschlagene Gemütsstimmung gekennzeichnet; Wahnsinn, wobei der Kranke an abnormal erhöhter Einbildungskraft und Selbstüberhebung leidet; Monomanie oder fixe Idee, z. B. Verfolgungswahnsinn; Manie, welche sich in gewalttätigen Handlungen äußert und Idiotie oder angeborener Schwachsinn, wobei der Verstand in der Entwicklung zurückgeblieben ist.
Das Erkennen einer Geistesstörung ist oft sehr schwierig und erfordert große Kenntnis und Erfahrung, es ist deshalb hier nicht am Platze, darauf weiter einzugehen. Werden die Anfänge früh genug beachtet, dann gelingt es nicht selten, den Ausbruch der Krankheit durch eine passende Behandlung zu verhüten. Diese Anfänge äußern sich oft in Schwermut, Unfreundlichkeit, Hang zur Einsamkeit. Dabei ist der eine Kranke ruhig und geduldig, der andere aufgeregt und kann für sich selbst und seine Umgebung gefährlich werden. Ist die Krankheit zum Ausbruch gekommen, dann muß der Patient in einer Anstalt untergebracht werden, da eine gänzliche Entfernung aus der gewohnten Umgebung oft allein schon einen günstigen Einfluß auf das Gemüt des Kranken hat. Bekanntlich war Hahnemann einer der ersten, welcher, unter heftigem Widerspruch seiner Zeitgenossen, eine milde Behandlung der Irrsinnigen befürwortete und die Anwendung von Gewalt verwarf. Gegenwärtig ist diese Ansicht allgemein geworden. Starke Betäubungsmittel werden jedoch noch immer viel in Anwendung gebracht. Daß es vielfach auch ohne diese geht, beweisen die guten Erfolge der ausschließlich homöopathischen Behandlung in mehreren Irrenanstalten der Vereinigten Staaten Nordamerikas. Die größte Besserung, ja zuweilen gänzliche Heilung wird in nicht zu veralteten Fällen mit den folgenden Mitteln, deren charakteristische Kennzeichen wir kurz angeben, erzielt.
Aconitum, große Unruhe; der Kranke wirft sich hin und her, ist von Todesfurcht erfüllt, sagt die Stunde seines Todes voraus.
Arsenicum album, große Angst und Verzweiflung, Selbstmordgedanken, will nicht allein sein, sieht Gestalten und schreckliche Erscheinungen.
Aurum, Melancholie mit Hang zum Weinen, religiöser Wahnsinn, Selbstmordgedanken, Widerspruch erregt, Gedächtnisschwäche, zaghafter Charakter.
Baryta carbonica, mißtraut jedem, schont niemand, hat fixe Ideen.
Belladonna, große Aufregung, schreit, rast, springt aus dem Bett, schlägt und beißt, bekommt Krämpfe, hat dunkelrote Gesichtsfarbe und klopfende Adern.
Calcarea carbonica, Geistesschwäche und Idiotie.
Cantharis, unnatürlich vermehrter Geschlechtstrieb, Satyriasis.
Coffea, unnatürliche Heiterkeit, erregte Phantasie, lebhafte Träume.
Helleborus, tiefe Schwermut mit Angst und Verzweiflung, spricht gar nicht, scheint blind und taub und ganz gefühllos zu sein.
Hyoscyamus, phantasiert, hat Visionen, denkt, daß er verfolgt wird, spricht und schwätzt fortwährend, dabei von einem Gegenstand auf den andern überspringend.
Ignatia, Gleichgültigkeit, Stumpfsinn, meistens besteht guter Appetit, paßt besonders nach vorangegangenen Sorgen und Kummer.
Kalium phosphoricum, Erschöpfung des Nervensystems, große Schwäche.
Opium, Halluzinationen, sieht feurige Linien und Gestalten, hört sonderbare Töne, alles scheint ihm größer zu sein, Schlafsucht.
Platina, Sinnlichkeit, Monomanie, Größenwahn, Stolz, Heiterkeit, paßt besonders für Frauen.
Pulsatilla, Furchtsamkeit, Weinen, sanftes, nachgiebiges Gemüt, Frauenmittel.
Sepia, Gefühllosigkeit, Gedankenlosigkeit, Bosheit, will nicht allein sein, hat jedoch Widerwillen gegen ihre nächste Umgebung, paßt oft bei Frauen.
Stramonium, heftiges Phantasieren, schreckliche Halluzinationen, Visionen, sieht Geister und Teufel, lacht, singt und betet laut.
Sulfur, verrückte Ideen, Ruhelosigkeit, Gleichgültigkeit, skrofulöse Erscheinungen.
Veratrum, Wut, schreit, flucht, rennt hin und her, zerreißt seine Kleider, kalter Schweiß auf der Stirn.
Zincum phosphoricum, Melancholie, Gedächtnis- und Geistesschwäche, Gefühllosigkeit, Schläfrigkeit, langwieriges Gehirnleiden.