Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
31. Hysterie ist ein Übel, welches das Leben mancher Frau samt ihrer Umgebung verbittert, indem das Nervensystem, besonders das Gemüt, eine krankhafte Überempfindlichkeit zeigt. Kummer und Sorgen, unglückliche Liebe, Mangel an einer nützlichen Beschäftigung, Störungen in den Funktionen der Geschlechtsorgane sind meistens die veranlassenden Ursachen. Der Anfang der Hysterie gibt sich meistens durch eine reizbare und sehr veränderliche Gemütsverfassung kund. "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt," leicht geneigt zum Weinen, schnell beleidigt und durch unbedeutende Vorfälle aus der Fassung gebracht wird die Kranke nicht selten auch von hysterischen Krämpfen befallen, welche zwar mit Fallsucht Ähnlichkeit haben, aber sich davon unterscheiden, weil das Bewußtsein hierbei niemals ganz aufgehoben ist. Lach-, Wein- und Gähnkrämpfe, Ohnmachtsanfälle, Unempfindlichkeit der Haut, Störungen der Blutzirkulation, Atembeschwerden, Herzklopfen, heftige Nervenschmerzen, sogar Blutspucken und Lähmungen kommen bei dieser Krankheit in ernsten Fällen vor, sodaß sogar ein Sachverständiger im Zweifel sein kann, ob nicht das eine oder andere Organ wirklich ernstlich angegriffen ist. Das Merkwürdige ist jedoch dabei, daß oft alle Krankheitserscheinungen nach kurzer Zeit plötzlich verschwunden sind. Eine häufige Klage der hysterischen Mädchen und Frauen ist das Gefühl, als ob eine Kugel im Halse säße und ein leeres Gefühl im Magen. Die Krankheit verschwindet oft von selbst nach dem 45. Lebensjahr.
Die Behandlung muß hauptsächlich eine psychische sein. Da die Willenskraft der Kranken geschwächt ist, muß man versuchen, diese zu heben und der Kranken immer wieder von neuem Mut zuzusprechen. Dies ist freilich leichter gesagt, als getan, besonders bei solchen Hysterischen, denen es so zu sagen ein Bedürfnis ist fortwährend zu jammern und zu klagen, aber dennoch kann es dem Arzte durch energisches Auftreten gelingen, das Vertrauen der Patienten zu gewinnen und die Genesung zu fördern. Selbstverständlich muß zuvor durch eine genaue Unter, suchung festgestellt werden, ob nicht das eine oder andere Organ, worüber geklagt wird, wirklich angegriffen ist. Ist dieses der Fall, dann ist die Behandlung dieselbe, wie diejenige der veranlassenden Krankheit. In allen Fällen von Hysterie ist es deshalb ratsam, die Kranke von einem erfahrenen Arzte untersuchen zu lassen, da nur ein solcher imstande ist, die wahre Ursache zu entdecken. Von großer Wichtigkeit für alle hysterischen Patienten ist eine regelmäßige, genügende Tätigkeit im Haushalt, während das Lesen von Romanen, das viele Handarbeiten, das späte Aufbleiben, das Trinken von starkem Kaffee am besten ganz vermieden werden. Dagegen ist est nötig, sowohl für Kräftigung des Körpers als auch für Ableitung des Geistes durch Körperbewegung, Aufenthalt in frischer Luft, Spazierengehen, gymnastische Übungen, angenehmen Verkehr, Musizieren u. s. w. Sorge zu tragen. Von großem Nutzen ist zuweilen eine gänzliche Änderung der Umgebung, ein Aufenthalt in den Bergen, am Meer oder in einer Naturheilanstalt. Von den homöopathischen Arzneien, welche in Betracht kommen, nennen wir als die hauptsächlichsten: Asa foet. 3, Ignat. 3, Sepia VI bei einem Gefühl, als ob eine Kugel im Hals stecke; Ignat. 3, Moschus 5, Zinc. valer. III bei Lach- und Weinkrämpfen; Carbo veget. VI—III, Lycopod. VI, Nux vom. 4, bei Magen- und Darmsymptomen; Valer. 2—3, Zinc. valer. III bei allgemeiner Nervosität und großer Unruhe; Plat. muriat. VI, Sepia 6, Pulsat. 3 bei Störungen der Geschlechtsorgane; Valer. 2—3 bei Kopfschmerzen bei der geringsten Anstrengung; Nux vom. 4, Rhus tox. 4, Caustic. 4, Phosph. 6 bei Lähmungen. Wichtig ist es, bevor man ein Mittel wählt, die Charakteristik seiner Wirkung, soweit diese im 1. Abschnitt des 3. Teiles beschrieben ist, zu vergleichen.