Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
2. Kopfschmerzen sind ein häufig vorkommendes Übel, jedoch keine Krankheit für sich, sondern stets das Symptom einer Krankheit. Die meisten fieberhaften Krankheiten, wie Influenza, Lungenentzündung u. s. w. gehen mit Kopfschmerzen einher. Die Behandlung ist dann dieselbe, wie die der betreffenden Krankheit. Kalte Aufschläge auf die Stirn, auf den Kopf oder eine Blase mit kaltem Wasser unter dem Hinterkopf können Erleichterung verschaffen. Auch bei vielen chronischen Krankheiten kommen Kopfschmerzen als Begleiterscheinungen vor. Weiter treten bei Verdauungsstörungen, verdorbenem Magen, Stuhlverstopfung oder nach übermäßigem Genuß alkoholischer Getränke Kopfschmerzen auf. In diesen Fällen hilft oft Nux vomica 4, ein großartiges homöopathisches Heilmittel. Rheumatische Kopfschmerzen sind oft die Folge von Erkältungen; sie haben ihren Sitz gewöhnlich in der Kopfhaut und verschlimmern sich durch Hin- und herbewegen, sogar durch einfaches Berühren des Kopfes. Hier sind Ruhe und Wärme angezeigt, neben Aconit. 4, Rhus. tox. 4, Causticum 3 oder Mercur. solub. IV. (Man vergleiche betreffs dieser und vieler andern, in den folgenden Seiten genannter Mittel stets die Charakteristik ihrer Wirkung im 1. Abschnitt.) Bei Syphilis sind die Kopfschmerzen nachts am schlimmsten, bei Tuberkulose der Hirnhaut sind die Schmerzen anhaltend, während Stirnkopfschmerzen oft durch Entzündungen und Eiterungen der Nasen- oder Stirnhöhle verursacht werden. Alle diese Fälle können nur vom Arzte nach genauer Untersuchung richtig behandelt werden. Bei schlecht plombierten Zähnen kann die Wirkung des Quecksilberamalgams zuweilen rasende Kopfschmerzen verursachen, welche verschwinden, wenn der Zahn entfernt wird.
Im allgemeinen unterscheiden wir Kopfschmerzen, die durch Blutandrang nach dem Kopfe, Kopfschmerzen, die durch Blutarmut verursacht werden und nervöse Kopfschmerzen. Kopfschmerzen, welche durch Blutandrang verursacht werden, sind kenntlich an der hochroten Farbe und Aufgedunsenheit des Gesichtes und dem Klopfen der Kopf- und Halsadern. Diese Schmerzen werden verschlimmert durch Bücken und sind oft von Schwindel, Flimmern vor den Augen und Ohrensausen begleitet. Das beste Mittel ist in diesen Fällen Bellad. 4 oder auch Glonoin. 6, wenn große Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch mit einem Gefühl, als ob der Kopf "vergrößert" wäre, vorhanden ist. Hilfsmittel sind das Entfernen aller engschliessenden Kleider, Kragen, Korsetts und Gürtel, die Anwendung kalter Aufschläge auf den Kopf und heiße Fußbäder. Für diejenigen, welche an chronischem Blutandrang nach dem Kopfe leiden, wie dieses besonders bei Personen, welche eine sitzende Lebensweise führen und an Verstopfung und Hämorrhoiden leiden, der Fall ist, müssen Veränderung der Lebenweise, ausgiebige Körperbewegung, Sorge für warme Füße durch Wechselfußbäder und eine Diät, welche reich an Obst und Gemüsen und arm an Reizmitteln ist, als unumgänglich notwendig für die Heilung bezeichnet werden.
Kopfschmerzen, welche durch Blutarmut verursacht sind, äußern sich ganz anders. Das Gesicht ist blaß, der Puls schwach, Hände und Füße sind kalt. Die Schmerzen werden besser in horizontaler Lage. Wir treffen diese Kopfschmerzen bei Personen mit blassen Lippen und blassem Zahnfleisch, mit dünner, durchsichtiger Haut, besonders bei blutarmen, bleichsüchtigen Mädchen und Frauen, bei jungen Leuten, Beamten, Gelehrten, welche sich schlecht ernähren und den Kopf viel anstrengen müssen. Bei letzteren besteht ein Gefühl von Druck in der Stirn, welches durch Lesen und Studieren verschlimmert, durch Aufenthalt in der frischen Luft gebessert wird. Solche Kopfschmerzen finden ihr Heilmittel in China 3, Ferr. phosph. VI oder Anacard. 6 (die Schmerzen werden schlimmer durch Bewegung, verschwinden während des Essens und kehren hernach wieder zurück, paßt besonders bei jungen Leuten, welche viel studieren müssen), wobei jedoch zu gleicher Zeit die Verbesserung des Blutes durch leichtverdauliche, blutbildende Nahrung, Ruhe und Aufenthalt in frischer Luft ins Auge gefaßt werden muß.
Nervöse Kopfschmerzen, auch Nervenkopfschmerzen oder Migräne genannt, kommen beim weiblichen Geschlecht am meisten, jedoch auch bei neurasthenischen Männern vor. Diese Schmerzen treten periodisch, manchmal alle 14 Tage auf und dauern gewöhnlich 6—24 Stunden. Dem Anfall geht zuweilen ein unbehagliches Gefühl, Ohrensausen und Schwindel vorher. Die Schmerzen sind drückend, bohrend, gewöhnlich auf die eine Kopfhälfte beschränkt und von Übelkeit, Erbrechen und großer Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch begleitet. Die Ursachen dieses Übels, welches das Leben mancher Frau verbittert, sind hauptsächlich Verdauungsstörungen, Verstopfung, Unterleibsleiden und zu reichlicher Genuß von Fleisch und Eiern. Erblichkeit spricht jedoch auch oft mit. Während des Anfalls ist der Aufenthalt in einem ruhigen, verdunkelten Raum, verbunden mit horizontaler Lage, von großem Nutzen. Bei der Behandlung wird viel Mißbrauch getrieben mit Antipirin und Migränin, Mittel, welche zwar sofortige Erleichterung verschaffen und deshalb in besonderen Fällen wohl einmal nötig sein können, aber bei fortgesetztem Gebrauch die Krankheit nur um so hartnäckiger machen und das Nervensystem angreifen. Ein Hausmittel, welches zuweilen gut hilft, ist eine Tasse starken Kaffees mit Zitronensaft. Homöopathische Mittel, welche bei den Anfällen versucht werden können, sind: Bellad. 4, Nux vom. 4, Arsen. alb. 6, Gelsem. 6, Ignat. 3, Spigel. 6. Um die Wiederkehr der Anfälle zu verhüten, ist es nötig, die Lebensweise zu regeln, eine geeignete Diät zu befolgen, wobei besonders Kaffee und Tee gänzlich vermieden und der Genuß von Fleisch und Eiern beschränkt werden muß, während zugleich für geregelten Stuhlgang gesorgt und Gemütserregung so viel als möglich vermieden werden muß. Richtig gewählte homöopathische Heilmittel bewirken oft Wunder. Bei manchen Frauen hilft der abwechselnde Gebrauch von Calcar. carb. VI und Sepia VI, morgens früh eine Messerspitze voll zu nehmen. Sanguin. 3—6 paßt oft bei jungen Frauen mit zu reichlicher Menstruation, bei denen ein Migräneanfall derselben voraufgeht und nachfolgt. Nux vom. 4—6 ist bei solchen angezeigt, welche an Verstopfung und Hämorrhoiden leiden; die Kopfschmerzen fangen morgens früh im Bett, manchmal schon in der Nacht an. Iris versic. 6—12 ist durch Galleerbrechen und zusammenziehende Schmerzen im ganzen Kopfe gekennzeichnet. Durch diese Behandlung gelingt es zwar nicht immer, die Migräne gänzlich zu heilen, meistens können jedoch die Anfälle verringert und eine bedeutende Besserung erzielt werden.