Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
Durch eine unvernünftige Lebensweise während der Schwangerschaft kann die zukünftige Mutter nicht nur zu einer schwächlichen Entwicklung und Kränklichkeit des Kindes, sondern auch zu ernsten Gefahren für sich selbst die Verschuldung tragen. Durch zu enge und zu dünne Bekleidung, zu große körperliche Anstrengung, zu spätes Aufbleiben, Teilnehmen an ermüdenden Festlichkeiten, das Sichgehenlassen bei Leidenschaften und Gemütsbewegungen sündigen viele Frauen, welche sich in gesegneten Umständen befinden, gegen die einfachsten Regeln der Gesundheitslehre. Die Folgen bleiben denn auch nicht aus. Ernste Beschwerden, Krankheitserscheinungen, Fehlgeburt, Geburt toter oder schwächlicher Kinder sind nur zu oft die Folgen einer derartigen verkehrten Lebensweise.
Jede Frau, welche Mutterfreuden zu erwarten hat, bedenke, daß sie dem Kinde gegenüber, noch ehe dieses das Licht der Welt erblickt hat, heilige Pflichten zu erfüllen hat.
Das Wachstum und die Entwicklung des zukünftigen Kindes darf vor allen Dingen nicht durch die Kleidung der Mutter gehemmt werden. Deshalb sind zu enge Korsetts und zu festes Binden der Kleidungsstücke in der Taille äußerst nachteilig. Nicht nur die Bildung von Mißgeburten und elenden Kindern, sondern auch Benachteiligung der Mutter selbst findet hierdurch statt, was sie aus Herzklopfen, Angstgefühlen und Kurzatmigkeit leicht ersehen könnte. Die Kleidung einer Schwangeren muß aber auch warm sein; eine wollene Leibbinde ist deshalb zum Warmhalten des Unterleibes zu empfehlen.
Die Mutter vermeide alles, was das Band zwischen sich selbst und dem Kinde lockern oder zerreißen könnte. Dazu gehören: ein Fall, Stoß oder Schlag, springen, tanzen, reiten, zu schwer heben, anhaltendes Bücken oder Treten an der Nähmaschine, weil hierdurch besonders in den ersten 4 Monaten der Schwangerschaft eine Fehlgeburt eintreten könnte. Dagegen ist tägliche Körperbewegung, nicht zu schwere Hausarbeit und Spazierengehen von Nutzen. Ruhe ist gut und nötig, aber zu lange und zu oft schlafen ist verkehrt. Gemütsbewegungen und Aufregungen sind ebenso wie der Gebrauch zu starker Arzneien schädlich. Ein ruhiges Gemüt, ein fröhlicher Geist und Zufriedenheit sind für das Wohlbefinden, sowohl der Mutter als des Kindes, von großer Bedeutung. Die Hautpflege darf nicht vernachlässigt werden. Besonders Waschungen der Geschlechtsteile und lauwarme bis mäßig kalte Sitzbäder sind zu empfehlen. Wir raten in der ersten Hälfte der Schwangerschaft zu Sitzbädern von 32—30° C, 5 bis 10 Minuten lang, 2—3 mal wöchentlich zu wiederholen; in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft können die Sitzbäder allmählich etwas kälter genommen werden, man gehe jedoch nicht unter 26° C. und kürze die Zeit des Bades etwas ab. In den letzten Wochen vor der Entbindung sind tägliche Sitzbäder von 28° C., 5 Minuten lang, denen eine kalte Waschung der Geschlechtsteile und gutes Abtrocknen folgen muß, sehr zu empfehlen, da sie erfahrungsgemäß die Entbindung erleichtern. Natürlich muß das Zimmer, in welchem die Bäder genommen werden, im Winter geheizt sein. Überhaupt muß sich jede Schwangere vor Erkältung in acht nehmen, besonders kalte und nasse Füße sind schädlich und können zu Nierenkrankheiten Veranlassung geben. Ferner müssen zur Erleichterung des späteren Stillgeschäfts die Brüste, besonders in der letzten Zeit der Schwangerschaft, öfter mit kaltem Wasser gewaschen und die Brustwarzen vorsichtig herausgezogen werden.
Wichtig ist es ferner, durch eine geeignete Diät und, wenn dies nicht genügend hilft, durch lauwarme Klistiere für eine geregelte Stuhlentleerung Sorge zu tragen. Der Drang zum Wasserlassen darf nie unterdrückt werden. Der Beischlaf ist in den letzten Monaten der Schwangerschaft, und bei Frauen, welche früher schon eine Fehlgeburt gehabt haben, auch in den ersten Monaten zu vermeiden. Ist der Urin trübe oder mit Schaum bedeckt, und sind die Füße oder das Gesicht mehr oder weniger geschwollen, dann ist es unbedingt notwendig, den Harn auf Eiweißgehalt untersuchen zu lassen. Endlich ist es bei allen vorkommenden ernsteren Beschwerden, besonders aber bei Blutungen während der Schwangerschaft, unbedingt notwendig, einen Arzt zuzuziehen.