Jacob Voorhoeve |
- |
Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
24. Cholera ist eine glücklicherweise in Europa selten vorkommende, epidemische Krankheit, deren Erscheinungen in ungefärbten, geruchlosen, reiswasserähnlichen Durchfällen, Erbrechen, großem Durst, Wadenkrämpfen, Kräfteverfall und schnell zunehmender Herzschwäche bestehen. Die Krankheit tritt meistens 1—2 Tage nachdem die Ansteckung stattgefunden hat, auf. Zuweilen gehen als Vorboten leichter Durchfall mit Leibschmerzen und Erbrechen, sog. Cholerine vorauf. Meistens treten jedoch obengenannte Erscheinungen bei der echten asiatischen Cholera plötzlich auf und nehmen ganz schnell an Heftigkeit zu. Die Erreger dieser Krankheit sind die von Prof. Koch entdeckten Kommabazillen, welche in den Entleerungen der Cholerakranken gefunden werden und sich in deren Eingeweiden auf unglaublich schnelle Weise vermehren und giftige Stoffe produzieren, welche die schweren Vergiftungserscheinungen der Cholera verursachen. Der mehr oder weniger heftige Verlauf einer Epidemie steht jedoch auch mit den hygienischen und sanitären Verhältnissen, den Zuständen der Wohnungen, der Kanalisation und dem Grundwasser in Zusammenhang.
Die Behandlung: mit homöopathischen Mitteln hat nach den mitgeteilten Erfahrungen solch gute Erfolge aufzuweisen, daß es unbegreiflich ist, daß noch immer an dem alten Schlendrian der Behandlung mit Opium, Tannin und dergleichen stopfenden Mitteln von so vielen Ärzten in den Choleraländern festgehalten wird. Bei der letzten Choleraepidemie in Europa, der von Hamburg im Jahre 1892, betrug die Sterblichkeit bei allopathischer Behandlung 42 %, während sie bei homöopathischer Behandlung bis auf 15 ½ % herabgedrückt wurde. Diese Behandlung, welche in vorkommenden Fällen wert ist nachgeahmt zu werden, wurde in Hamburg folgenderweise ausgeübt: Nachdem der Kranke zu Bett gebracht war und ihm Heißwasserkompressen auf den Unterleib und heiße Krüge an die Füße gelegt waren, bekam er alle ¼—½ Stunde 5 Tropfen Arsen. alb. 4—3 in einem Löffel lauwarmen Wassers. Der Kranke wurde warm zugedeckt und durfte nach Belieben lauwarmes Wasser mit Rotwein und warmen Haferschleim trinken. Dagegen wurden Eis und eiskaltes Wasser, große Mengen Alkohol und alle stopfenden Arzneimittel streng vermieden. Die Entleerungen wurden in einem erwärmten Stechbecken aufgefangen und sofort desinfiziert. Bei sehr schmerzhaften Wadenkrämpfen wurden die Beine mit Kampferspiritus eingerieben, wobei Sorge getragen wurde, den Kranken nicht zu entblößen. Bei dieser einfachen, aber zweckmäßigen Behandlung geriet der Kranke in den meisten Fällen sehr bald in Schweiß, wodurch er auf den Weg der Heilung gebracht war. Außer Arsenicum wurden noch Veratr. 3 bei kaltem Schweiß und blauen Lippen, Camphora Ruhini bei Kollaps und Herzschwäche, und in einzelnen Fällen Cuprum, Phosphorus und Carbo vegetahilis angewandt.
Die Vorbeugnngsmaßregeln während einer Choleraepidemie, bestehen in geregelter Lebensweise, vernünftiger Diät, Warmhalten des Unterleibes mit einer wollenen Leibbinde und sofortiger Anwendung von Arsenicum oder Veratrum beim geringsten Durchfall. Zur Verhütung der Ansteckung müssen alle Nahrungsmittel, welche Cholorakeime enthalten können, wie z. B. Milch und Obst, und auch das Trinkwasser vor dem Gebrauch gekocht und die größte Reinlichkeit sowohl beim Essen und Trinken, als in der Kleidung und in den Wohnungen beobachtet werden. Die Klosetts müssen desinfiziert und aller Abfall und Schmutz sofort verbrannt werden. Das Aufsuchen von Lokalen, wo viele Menschen zusammenkommen, ist in Cholerazeiten nicht ratsam. Wohnungen, in denen sich Cholerakranke befunden haben, müssen desinfiziert werden; ebenso müssen die Auswurfstoffe der Kranken am besten mit Chlorkalk unschädlich gemacht, und die Nachtstühle stets mit 5 prozentigem Karbolwasser gereinigt werden. Die Bett- und Leibwäsche muß in eine starke Schmierseifenlösung gesteckt werden, 24 Stunden darin stehen bleiben und danach ausgekocht werden. Die Pfleger der Kranken dürfen im Krankenzimmer weder essen noch trinken und müssen ihre Hände öfters mit Seife und Bürste reinigen und mit Karbolwasser abwaschen. Da bei der Cholera eine Ansteckung durch die Luft nicht stattfindet, kann durch die genannten Maßregeln die Gefahr einer Übertragung der Krankheitskeime vermieden werden, wie die Erfahrung bei der Pflege Cholerakranker hinlänglich bewiesen hat. Übertriebene Angst ist deshalb ganz und gar unnötig. Als Vorbeugungsmittel wird übrigens noch das Einnehmen von 2—3 Tropfen Camphora Rubini, einige Male täglich, empfohlen.