Jacob Voorhoeve |
- |
Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
30. Pocken. Die Pocken oder Blattern waren schon in uralten Zeiten bekannt und haben den Untergang ganzer Völkerschaften bewirkt. Seitdem die Kuhpockenimpfung allgemein gebräuchlich geworden ist, kommt diese äußerst ansteckende Krankheit in Europa meistens nur noch sporadisch (d. h. in vereinzelten Fällen hier und dort) vor, wenigstens hört man von großen, verheerenden Epidemien nichts mehr. Der Ansteckungsstoff befindet sich im Eiter der Pocken und wird durch Berührung oder auf dem Wege der Einatmung übertragen; nachdem er sich im Körper auf unmerkliche Weise bis zum 12. Tage nach der Ansteckung vermehrt hat, bricht die Krankheit meist plötzlich aus mit hohem Fieber, heftigen Kopf- und Rückenschmerzen, Delirien und Erbrechen, während gewöhnlich am 4. Tage, zuerst am Gesicht, hernach am ganzen übrigen Körper, ein Ausschlag hervorbricht, welcher mit Masern viel Ähnlichkeit hat, aber sich bald in Bläschen und Pusteln verwandelt. Das Fieber läßt jetzt einige Tage nach, erhebt sich aber wieder, sobald sich die Bläschen mit Eiter füllen und in echte Pocken verwandeln. Dieses zweite Fieber dauert ungefähr 10—12 Tage; während dieser ganzen Leidenszeit sind die Haut und die Schleimhäute, Augen, Ohren, Nase und Hals, ja sogar die Geschlechtsteile mit Pocken wie besät. Dann fangen die Pocken an zu vertrocknen, wobei sich Krusten bilden, nach deren Abfallen die bekannten, entstellenden Pockennarben zeitlebens bestehen bleiben.
Die Behandlung: muß natürlich dem Arzte überlassen werden. Die Kranken sollten in isolierten Räumen oder am besten in eigens zu diesem Zwecke eingerichteten Baracken untergebracht werden. Kühles Verhalten, Zufuhr frischer Luft, Fieberdiät (besonders Obstsäfte), oft wiederholte, lauwarme Abwaschungen und Ausspülen des Mundes sind die ersten Erfordernisse für eine richtige Pflege Pockenkranker. Um die häßliche Narbenbildung im Gesicht möglichst zu verhüten, empfiehlt es sich, jede einzelne Pocke mit einer ausgeglühten Nadel zu durchstechen, den Inhalt auszudrücken und hernach Kaltwasseraufschläge zu machen. Für solche, die fern von allen sanitären Einrichtungen auf sich selbst angewiesen sind, bemerken wir, daß im Anfang der Krankheit Aconit. 4 und Bellad. 4, beim Ausbruch des Ausschlags Mercur. corros. 4—6 und beim Eiterfieber Hep. sulf. IV—VI als innerliche Mittel in Betracht kommen. Die Rekonvaleszenten dürfen erst wieder in das Zusammenleben zurückkehren, wenn die Abschuppung der Haut völlig beendet ist; zuvor müssen aber sowohl das Bettzeug, als alle Kleider des Kranken, ebenso auch das Krankenzimmer mit allen darin befindlichen Gegenständen, gründlich desinfiziert werden.
Die Vorbeugungsmaßregeln bestehen im Isolieren des Kranken und seiner Pfleger und in peinlicher Reinlichkeit. Die Kuhpoekenimpfung scheint einen ziemlich sicheren Schutz gegen die Pocken zu verleihen; meistens hält dieser Schutz jedoch nicht länger als 10—12 Jahre an. Bei Kindern können unangenehme und gefährliche Krankheitserscheinungen, welche im Anschluß an die Impfung zuweilen auftreten, durch das Befolgen der auf Seite 284 gegebenen Ratschläge verhütet werden.