Jacob Voorhoeve |
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Homöopathie in der Praxis |
Medizin |
(1908) |
40. Unterleibstyphus, auch Abdominaltyphus und Nervenfieber genannt, ist eine häufig vorkommende Infektionskrankheit, deren Erreger bekanntlich die Typhusbazillen sind. Sie kommt epi- und endemisch, zuweilen auch sporadisch vor; die Ansteckung erfolgt durch den Genuß von Trinkwasser, Milch oder andern Nahrungsmitteln, welche mit dem Typhusgift verseucht sind. Außerdem spielt auch die Disposition eine Rolle, da es feststeht, daß ungeeignete oder ungenügende Nahrung, andauernde, seelische Erregungen und außergewöhnliche körperliche oder geistige Anstrengung den Körper für die Ansteckung besonders empfänglich macht. Wer die Krankheit überstanden hat, wird selten zum zweiten Male von ihr befallen. Eigentümlich ist es, daß Personen, welche an chronischen Krankheiten leiden, nach einem glücklich überstandenen Typhus oft gesünder werden, wie je zuvor.
Die Krankheit ist anfänglich nicht leicht zu erkennen. Die ersten Erscheinungen sind: Mattigkeitsgefühl, Mangel an Appetit, Kopfschmerzen, anfänglich Verstopfung, welcher jedoch bald Durchfall folgt, wodurch der Kranke derartig geschwächt wird, daß er nicht mehr aufbleiben kann, sondern sich zu Bett begeben muß. Unter charakteristischen Fiebererscheinungen nimmt die Krankheit dann gewöhnlich innerhalb 4—6 Wochen ihren weiteren Verlauf, indem Kopfschmerzen und Delirien oder Verlust des Bewußtseins, schwacher Puls, trockene, braune Zunge, 2—6 mal täglich erfolgender, gelblicher Durchfall, Milzschwellung und rote Flecke am Unterleib hinzutreten. Die Kranken magern sehr ab, die Haare fallen aus und während der Rekonvaleszenz besteht immer noch Gefahr von Rückfällen. Gefährliche Komplikationen sind u. a. Darmblutungen und Lungen- oder Gehirnhautentzündung.
Bei der Behandlung dieser gefährlichen Krankheit, welche wenn irgend möglich einem Arzte zu überlassen ist, ist die richtige Diät und die Anwendung warmer und lauwarmer Bäder von größter Wichtigkeit. Solange Fieber vorhanden ist, sollte nur flüssige Nahrung verabreicht werden, und zwar hauptsächlich Milch, ferner Hafer-, Reis- und Qerstenschleim, Flaschenbouillon, geschlagene Eier, dünne Suppen. Später können Gries- und Reissuppe, Kartoffelbrei, fein gekochtes Gemüse, geschabter Schinken, junge Hähnchen oder Täubchen hinzugefügt werden, aber immerhin sollte der Patient auch während der Rekonvaleszenz sehr vorsichtig mit dem Essen sein und schwerverdauliche Speisen gänzlich vermeiden. Die Wasserbehandlung wird bei Fieber nicht über 39° C. in Form von kühlen Waschungen des ganzen Körpers, bei höherem Fieber in Form von Vollbädern mit gutem Erfolge angewendet. Am besten wirkt ein Bad von 34° C, welches allmählich auf 28° C. abgekühlt wird. Ein solches Bad kann 10-15 Minuten dauern, je nachdem der Kräftezustand des Kranken es erlaubt, und nötigenfalls 2 mal täglich wiederholt werden. Vor dem Bade verabreiche man dem Kranken etwas Rotwein, um Herzschwäche vorzubeugen. Homöopathische Mittel sind erfahrungsgemäß bei dieser Krankheit von guter Wirkung. Die wichtigsten Mittel sind: Bellad. 4 und Phosph. acid. 4 im Anfang; Rhus tox. 4, Baptis. 3, Muriat. acid. 3 im weiteren Verlauf und in leichteren Fällen; Arsen. alb. 6—4 und Cupr. arsen. VI—IV (nach Prof. Schulz eins der wirksamsten Mittel) in ernsteren Fällen; Carbo veget. VI bei Kollaps. Ferner sind noch als Zwischenmittel Ipecac. 4 bei Übelkeit und Erbrechen, Bryon. 3 bei Schmerzen und Gelbsucht, Hamam. 2, Hamamelis-Extrakt und Secal. cornut. 3 bei Darmblutungen, Stramon. 4, Hyoscyam. 4 und Zinc. cyanat. IV bei Gehirnaffektionen und Tart. emet. 4 und Phosph. 5 bei Lungenentzündung angezeigt. Das Durchliegen sollte durch die auf Seite 236 angegebenen Maßregeln möglichst verhütet werden. Nach der Heilung ist der längere Gebrauch von Calcar. phosph. VI, Avena sativa 1 oder China 3 zu empfehlen.
Die Vorbeugungsmaßregeln während einer Typhus-Epidemie sind dieselben, wie wir sie bei der Besprechung der Cholera (s. Seite 180) empfohlen haben. Von größter Wichtigkeit ist vor allen Dingen die Beschaffung einwandfreien Trinkwassers.