§ 86. Die notwendige Existenz: der einzigen Substanz und ihre Attribute
Gott oder die aus unendlichen Attributen, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt, bestehende Substanz existiert notwendig.158)
Denn Nichtexistieren-Können ist ein Unvermögen, wie von sich selbst erhellt, dagegen Existieren Können ein Vermögen. Wenn daher das, was bereits notwendig existiert, nur endliche Wesen sind, so haben die endlichen Wesen mehr Vermögen, mehr Macht als das absolut unendliche Wesen, was aber, wie durch sich selbst klar ist, ein Widerspruch ist. Also existiert entweder nichts, oder das absolut unendliche Wesen existiert auch notwendig. Nun existieren aber wir, sei es nun in uns oder in einem andern, was notwendig existiert (Ax. 1 u. L. 7). Also existiert das absolut unendliche Wesen, d. i. Gott (Def. 6), notwendig. (»Eth.«, P. I, Prop. 11 und Demonstr.)
Gottes Existenz und Wesen sind identisch. Das, was das Wesen Gottes ausmacht, macht zugleich auch seine Existenz aus, seine Existenz und sein Wesen sind daher eins. Denn keine ihrer Realitäten oder Vollkommenheiten verdankt die Substanz einer äußern Ursache, es muß daher auch ihre Existenz aus ihrem Wesen folgen, und ihre Existenz ist folglich nichts andres als ihr Wesen. (Ebd., Schol.) Außer Gott kann keine Substanz sein noch gedacht werden. Denn da Gott das absolut unendliche Wesen ist, von dem kein Attribut, welches substantielle Wesenheit ausdrückt, verneint werden kann (Def. 6), und notwendiges Dasein hat, so müßte, wenn es noch eine Substanz außer Gott gäbe, diese durch irgendein Attribut Gottes gedacht werden, und es gäbe so zwei Substanzen, die ein und dasselbe Attribut hätten, was (L. 5) abgeschmackt ist. Es kann daher außer Gott keine Substanz sein und folglich auch nicht gedacht werden. Denn könnte sie gedacht werden, so müßte sie als existierend gedacht werden, aber dieses ist zufolge des ersten Teils des Beweises ungereimt.
Es folgt hieraus, daß die körperliche und die denkende Substanz zu Gott gehören. Das Denken ist also ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein denkendes Wesen. Ebenso ist aber die Ausdehnung ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes Wesen. (Ebd., Prop. 15, u. P. II, Prop. 1 u. 2)
Alle, die nur einigermaßen über das Wesen Gottes nachgedacht haben, behaupten, daß Gott nichts Körperliches oder kein Körper sei. Dies ist auch ganz richtig; denn unter einem Körper versteht man eine bestimmte Ausdehnung von einer bestimmten und begrenzten Gestalt, und diese kann natürlich nicht dem absolut unendlichen Wesen zukommen. Aber sie gehen noch weiter; sie sprechen selbst die körperliche Substanz durchaus Gott ab und nehmen an, daß sie erschaffen sei. Aus welchem Vermögen Gottes sie übrigens erschaffen werden konnte, wissen sie durchaus nicht und zeigen damit an, daß sie selbst nicht verstehen, was sie sagen. Sie verneinen aber die körperliche Substanz von Gott aus diesen Gründen, nämlich weil sie aus Teilen zusammengesetzt, also endlich, weil sie teilbar, also passiv, und folglich eine Gottes als des unendlichen und absolut reellen Wesens unwürdige Bestimmung sei. Allein, die Annahme, daß die körperliche Substanz, die doch nur unteilbar, einzig und unendlich gedacht werden kann, aus endlichen Teilen zusammengesetzt, vielfach und teilbar sei, ist eben ganz falsch und nicht weniger ungereimt als die Annahme, daß der Körper aus Oberflächen, die Oberfläche aus Linien, die Linien aus Punkten zusammengesetzt sind, und kommt nur daher, daß wir auf doppelte Art die Ausdehnung auffassen. Die eine ist die oberflächliche und abstrakte, nämlich die der sinnlichen Vorstellung, die andere die der Vernunft, die sie nicht abstrakt und oberflächlich, sondern allein als Substanz denkt. Wenn wir daher die Quantität betrachten, wie sie in der sinnlichen Vorstellung ist — und diese Betrachtungsweise ist uns die geläufigste , so finden wir sie endlich, teilbar, zusammengesetzt; betrachten wir sie aber, wie sie in der Vernunft ist, und fassen sie als Substanz — was übrigens sehr schwer ist, so finden wir, daß sie unendlich, einzig und unteilbar ist.
Dies wird auch allen, die einen Unterschied zu machen wissen zwischen Vorstellung oder Einbildung und Vernunft, hinlänglich klar sein, zumal wenn sie erwägen, daß die Materie überall dieselbe ist und Teile in ihr nur unterschieden werden, wiefern wir sie auf verschiedene Weise bestimmt denken, ihre Teile daher nicht ihrem wirklichen Wesen, sondern nur der Art und Weise nach, wie dieses eine Wesen bestimmt ist (nicht der Materie, nur der Form nach), unterschieden sind. Das Wasser z.B. als Wasser kann wohl geteilt und seine Teile können voneinander abgesondert werden, aber inwiefern es körperliche Substanz ist, kann es nicht geteilt und gesondert werden. So entsteht und vergeht auch das Wasser als Wasser, aber als Substanz ist es unentstanden und unvergänglich. Die Ausdehnung oder Materie ist daher als Substanz notwendig ein Attribut oder eine Bestimmung Gottes. (»Eth.«, P. I, Prop. 15, Schol.)
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158) Spinoza gibt mehrere Beweise hiervon. Hier möge dieser eine hinreichend sein.