§ 82. Einleitung und Übergang von Descartes zu Spinoza

 

Die Abhängigkeit jener beiden Wesen oder Substanzen bei Descartes ist eine halbe, unwahre, heimtückische, versteckte und darum sophistische Abhängigkeit. Eine halbe und unwahre ist sie eben darin, daß beide Substanzen ihrem Begriff nach selbständig, ihrer Existenz nach abhängig sind oder, wie es auch ausgedrückt werden kann, daß sie ihrer Ursache oder ihrem Grunde nach, inwiefern sie nämlich erschaffen, ihre Existenz eine bewirkte ist, zwar abhängig, ihrem wirklichen Wesen nach aber unabhängig sind. Eine heimtückische, verborgne und sophistische ist sie aber darin, daß eine Abhängigkeit allein der Existenz nach eine nur ganz äußerliche ist, gegen die ein Ding ganz gleichgültig bleibt, die einem Wesen im Rücken liegt, seine Essenz nicht affiziert und berührt, vor dem Selbst des Dings, vor seiner affirmativen Wesensbestimmung ins Nichts verschwindet, weil sie eben zu dem Begriff des Dings nichts hinzu, nichts hinwegtut, ihn nicht bestimmt. Daß ein Ding erschaffen ist, selbst wenn auch die Erschaffung wie bei Descartes, der Gott die Ursache nicht bloß secundum fieri, sondern auch secundem esse nennt, als ein ununterbrochner Akt vorgestellt wird, das greift dasselbe sozusagen nicht an, das geht ihm nicht zu Herzen; dabei bleibt sein Selbst aus dem Spiele, das versetzt es in keine gründliche, sondern nur oberflächliche, seine positive Bestimmung, seinen Begriff, sein Wesen unberührt lassende Abhängigkeit, weil sie eben keine innere, keine in dem Begriffe oder in der affirmativen Bestimmung des Dings liegende Beziehung auf das ausdrückt, wovon es abhängig sein soll.

Ein Gleichnis möge dies anschaulich machen. Andere Menschen haben diesen Menschen erzeugt oder erschaffen; sie sind der Grund oder die Ursache145) seiner Existenz; er bedarf ferner noch ihrer zu seiner Existenz, ist abhängig von ihnen. Aber wenn oder inwiefern er zum bewußten Selbste herangereift ist, zum bestimmten Begriffe seiner selbst kommt, in dem er Ich ist und sein Ich von andern unterscheidet, so sinkt jetzt in einen sein lebendiges Selbstgefühl nicht berührenden, entlegenen Hintergrund die Bestimmung hinab, daß er erzeugt ist; seine Ursache und die Abhängigkeit von ihr verschwindet vor seinem bestimmten Begriffe, vor seinem Selbstbewußtsein, in dem er nur sich selbst gegenwärtig ist, sich weiß und fühlt, in nichts; in das klare Licht seines Selbstbewußtseins wirft der für sein Selbstgefühl in die Nacht des Nichts verschwundne Grund keinen störenden Schatten, und damit ist alles Gefühl der Abhängigkeit, alle Beziehung auf Erzeugung ausgeschlossen; sie liegt außer dem Bereiche seines unmittelbaren und bestimmten Selbstbewußtseins, das nur die Gegenwart seines Selbstes, die Affirmation desselben ausdrückt und offenbart. Die Bestimmung der Erzeugung wäre nur etwas mein Selbstbewußtsein Bestimmendes, mein Wesen An- und Ergreifendes, wenn ich selbst, der ich jetzt bin und als dieses persönliche Wesen mich weiß, in dem Augenblick der Hervorbringung gewesen wäre, und zwar ganz als derselbe, als dieser bestimmte Selbstbewußte, der ich bin, d. i., wenn ich eher gewesen wäre, als ich gewesen bin, oder in demselben Moment, wo ich nicht gewesen bin, gewesen wäre, was aber ein ungereimter Widerspruch ist.

Es ist daher notwendig, daß jene unwahre, versteckte und sophistische Abhängigkeit, die in der Tat keine Abhängigkeit ist und darum als eine sich selbst widersprechende den Keim ihres Untergangs und die Notwendigkeit, eine andere zu werden, in sich selbst trägt, eine wahre und totale, eine wirkliche und offenbare wird, daß daher der Gott, der in der Cartesianischen Philosophie nur die Mittel für ihre Existenz den beiden Substanzen hergibt, jetzt auch für die Bildung ihres Innern sorgt, in ihr inneres Wesen tätig eingreift, daß der Gott, der in ihr nur hinter den Kulissen steht oder vielmehr nur die Rolle eines Souffleurs hat, der den beiden Substanzzen aushilft, wenn sie entweder für sich oder miteinander nicht mehr weiter können und steckenbleiben, jetzt selbst, und zwar als der Hauptheld des Stücks, auf der Schaubühne der Welt auftritt, daß der Grund oder die Ursache aus dem dunkeln Hintergrunde, wo sie nur eine schaffende und erhaltende oder mitwirkende Macht ist, an das Licht hervorkommt und einwärts in das Herz der Dinge sich kehret, daß also jetzt Gott nicht bloß die causa existentiae sondern auch essentiae146), und nicht bloß die äußerliche (transeuns), sondern auch innere, innewohnende Ursache (causa immanens) wird, daß die Wesen nicht nur nicht ohne Gott sein sondern auch nicht ohne ihn gefaßt und begriffen werden können, Gott selbst jetzt der wahre Begriff, das Wesen, die Substanz des Geistes und der Materie wird und so beide nur Attribute der Substanz oder Gottes ausmachen, der dadurch jetzt als die einzige Substanz notwendig bestimmt wird.

Ein Gleichnis dieses Übergangs: Die erste Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern ist nur die ganz äußerliche der Existenz nach; es hängt seine Existenz von ihnen als seiner Ursache ab, es bedarf ihres concursus ad existendum, wie die Substanzen bei Descartes des concursus Dei ad existendum; aber in dieser Abhängigkeit bezieht sich das Kind nur auf sich selbst, auf seine Bedürfnisse und deren Befriedigung, auf seine Erhaltung, und sein Wesen ist daher von ihr unberührt; die Eltern die Ursache seiner Existenz ist ihm was ganz Fremdes, Nichtgegenständliches, sie liegt ganz außer dem Kreis seines Verlangens, seiner Begierden. Indem aber das Kind heranwächst, wird die bloße Abhängigkeit der Existenz jetzt eine Abhängigkeit des Wesens, die physische Abhängigkeit wird jetzt eine geistige, innere Abhängigkeit, eine substantielle Einheit, Liebe, das Kind existiert jetzt nur in seinen Eltern, sie werden aus der transeunten Ursache der bloßen Existenz jetzt eine immanente Ursache des Wesens, sie erfüllen sein Wesen mit ihrem Wesen (ihren Gesinnungen u. dergl.), und das Kind drückt jetzt nicht mehr sich selbst aus, seine physischen, nur auf es selbst bezogenen Bedürfnisse und Begierden, sondern in seinem Wesen das Wesen der Eltern, in seinem Willen ihren Willen. -

 


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