§ 82. Einleitung und Übergang von Descartes zu Spinoza
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Es ist wesentlich, sogleich hier zu bemerken, daß auch bei Spinoza die Materie für sich und durch sich selbst begriffen wird, keines andern Begriffes bedarf, daß sie also ein Selbständiges und Unabhängiges ist und ebenso auch der Geist oder das Denken für sich selbst begriffen wird und daher ein Selbständiges ist. Aber gerade darin, daß Geist und Materie jedes für und in sich selbst begriffen werden, beide in ihrem Begriffe unabhängig sind, drücken sie nicht sich selbst, sondern die Substanz, Gott aus. Der Geist ist Substanz, die Materie ist Substanz; denn das Wesen der Materie besteht in der Ausdehnung, das Wesen des Geistes im Denken; die Ausdehnung wird aber wie das Denken lediglich nur in und durch sich selbst gefaßt, und das Wesen eben ist Substanz, dessen Begriff von keinem andern Begriffe abgängig ist. Indem daher beide, Geist und Materie, Substanz sind, drücken sie nur eben dieses aus, daß sie Substanz: sind. Das Affirmative, das Substantielle in ihnen ist daher nur die Affirmation, das Wesenhafte als solches oder die Substanz nicht als Geist oder Materie, sondern die Substanz rein als solche, die gleichgültig dagegen ist, ob sie Geist oder Materie ist, und für die daher beide, inwiefern sie ein Bestimmtes, von sich Unterschiednes sind — denn die Bestimmtheit des Geistes ist das Denken, die der Materie die Ausdehnung- und inwiefern nur auf diese Bestimmtheit als Bestimmtheit, nicht darauf, daß sie Substanz ist und ausdrückt, gesehen wird, nur Attribute, Eigenschaften, den Begriff oder die Idee Gottes konstituierende Momente sind.
Von diesem Gesichtspunkt aus macht sich daher der Übergang von Descartes zu Spinoza folgendermaßen: Denken und Ausdehnung oder Geist und Materie sind sich entgegengesetzt; was von dem einen gilt, eben das gilt nicht von dem andern, sie verneinen sich, schließen sich gegenseitig aus. Aber gleichwohl sind beide Wesen Substanzen, jedes Wirklichkeit; beide haben, ungeachtet sie sich entgegengesetzt sind, den Begriff der Substanz gemein, kommen darin miteinander überein, daß sie Substanzen sind. Die Begriffe des Geistes und der Materie sind daher sich verneinende, entgegengesetzte, negative Begriffe, der positive Begriff in ihnen ist der Begriff der Substanz. Wenn beide Substanzen sind, so ist nicht dieses, daß der Geist Geist, sondern daß er Substanz; ist, nicht seine von der Materie ihn unterscheidende Bestimmung noch die die Materie von ihm unterscheidende Bestimmung, sondern das, worin sie eins sind, nämlich der Begriff der Substanz, das Reale, das Positive in ihnen. Wenn beide Substanzen sind, so ist ja der Begriff der Substanz ein in beiden Gegensätzen ungeteilt gegenwärtiger, durch den Gegensatz nicht aufgehobener Begriff147), so ist der Begriff der Substanz ein von den Begriffen des Geistes und der Materie unabhängiger Begriff, so ist es folglich nicht notwendig, daß die Substanz entweder Geist oder Materie ist, sie kann beides sein und ist beides. Denn da die zwei Entgegengesetzten, Geist und Materie, in dem Begriff der Substanz übereinkommen, so läßt sich bei der denkenden Substanz das Denken von der Substanz und bei der ausgedehnten die Ausdehnung von der Substanz unterscheiden und abtrennen, und es bleibt so der Begriff der reinen Wirklichkeit als solcher, der reinen Substantialität übrig, es erweisen sich Geist und Materie nur als unterschiedene Bestimmungen (Modi) der Substanz.
Bei Descartes sind aber noch Geist und Materie als besonders existierende Substanzen vorausgesetzt; das, worin beide eins sind, ist daher nur ein abstrakt Gemeinsames, ein abstrakter Begriff. Weil beide als besonders existierend vorausgesetzt sind, hat darum dieser Begriff seine reale Existenz nicht als die substantielle Einheit beider, sondern wird wieder besonders für sich fixiert und vorgestellt in der von beiden selbst wieder unterschiedenen und besonders existierenden unendlichen Substanz, d. i. in Gott, vor dem beide als endliche, als erschaffne Substanzen gesetzt sind.148) Da aber in Wahrheit der in den beiden Begriffen des Geistes und der Materie reale Begriff der gegen sie indifferente Begriff der Substanz ist, das Reale in Geist und Materie und gegen sie also das Wesen, die Substanz ist, so muß die Substanz auch wirklich als das erkannt und ausgesprochen werden, was sie schon ist, der Begriff derselben zur Wirklichkeit kommen. Geist und Materie haben den Begriff der Substanz gemein; nicht der Geist und die Materie, die Substanz ist also das Reale; sie sind endlich, aber sie unendlich; die Substanz ist daher in Wahrheit jenes unendliche Wesen, das bei Descartes oben im leeren Luftraum der unbestimmten Vorstellung gleich einer dunkeln, die selbständige Existenz der beiden Substanzen bedrohenden Gewitterwolke über ihnen dahinschwebt.
Der Begriff der Substanz hat seine positive Existenz, seine Wirklichkeit in und an Gott; der Begriff der Substanz daher ist nicht unterschieden vom Begriffe Gottes; denn Gott ist das unendliche Wesen, Geist und Materie sind von ihm erschaffne, abhängige Wesen; aber eben dieses unendliche Wesen ist die Substanz, als vor welcher Geist und Materie nur endliche Wesen, d. i., an der sie nur endliche Unterschiede oder Gegensätze sind, die bloß in ihr sind und bestehen. Weder die Substanz oder Gott hat aber jetzt, wo die Begriffe Gottes und der Substanz als identisch erkannt sind, eine besondere Existenz für sich, noch haben Geist und Materie für sich eine besondere Existenz, sondern die Substanz ist die alleinige Wirklichkeit.
Dadurch, daß nach Spinoza Denken und Materie ebenso als Substanz wie als Attribute angesehen werden können, modifiziert sich jetzt die Weise, wie anfangs der Übergang von Descartes zu ihm gemacht wurde. Es wurde nämlich vom Widerspruch der Existenz und des Wesens der beiden Substanzen ausgegangen und derselbe so gelöst, daß die Abhängigkeit der Existenz, die in Wahrheit für sich allein keine Abhängigkeit ist, auch zur Abhängigkeit des Wesens wurde.149) Jetzt läßt sich die Lösung jenes Widerspruchs dahin modifizieren, daß die Selbständigkeit des Wesens auch zur Selbständigkeit der Existenz wurde. Die Materie wird nach Descartes nicht in Gott begriffen; denn zu ihrem Begriffe gehört nichts weiter als die Ausdehnung, und diese wird unabhängig für sich selbst begriffen; ihrem Wesen nach ist sie darum, wie früher entwickelt wurde, selbständig. Die Ausdehnung ist ihre Bestimmung, aber nicht von ihr selbst unterschieden, sie ist ihre positive, ihre Wesensbestimmung, in der sie ist, was sie ist, ihre unmittelbare Affirmation und Wirklichkeit. Da sie aber ihrem Begriffe oder Wesen nach unabhängig ist, so ist sie notwendig auch unabhängig ihrer Existenz nach; ihr selbständiger Begriff schließt notwendig selbständige Existenz oder ihr unabhängiges Wesen unabhängige Existenz ein. Dasselbe gilt vom Denken. Aber ebendiese Einheit von Begriff oder Wesen und Existenz, diese Selbständigkeit, diese Substantialität, die in beiden Substanzen so gedacht und begriffen wird, dies ist Gott, der in ihnen begriffen und gedacht wird. Das, was beide in dieser Selbständigkeit und Unabhängigkeit erfassen läßt, sind nicht sie selbst für sich, sondern das ist eben die Substanz: selbst, die ebensogut als Geist wie als Materie betrachtet werden kann. Gerade deswegen, weil sie nur Attribute sind, die das Wesen der Substanz ausdrücken, die gleichgültig dagegen ist ob sie als Geist oder Materie, ob sie in der Eigenschaft (oder Form) des Geistes oder der Materie betrachtet wird, sind sie für sich und in sich selber faßbar und unabhängig.
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