§ 82. Einleitung und Übergang von Descartes zu Spinoza

 

Die Einheit der Spinozistischen Substanz beruht, wenn man von ihr, von Gott, ausgeht und anfängt, eigentlich nur auf einer konsequenten, wahrhaften, die Folgen nicht scheuenden und ihnen ad libitum ausbeugenden philosophischen Aus- und Durchführung des Satzes: Gott ist das absolut reelle, das absolut unendliche Wesen, das alle Realitäten in sich faßt, das Wesen, dessen Existenz nicht von seinem Wesen unterschieden ist. Wenn nämlich Gott das absolut reale Wesen ist oder das Wesen, das alle Realitäten in sich faßt und bei dem nicht die Existenz vom Wesen unterschieden ist, so folgt notwendig, daß Gott eben keine von seinem Wesen unterschiedene, d.h. keine bestimmte und besondere (keine endliche), und damit keine eigene, für sich abgetrennte, keine persönliche Existenz hat; das absolut reale Wesen hat notwendig auch absolut reale Existenz, das unendliche Wesen unendliche Existenz. Ist Gott wirklich das absolut reale Wesen, das alle Realitäten, alle Wesenhaftigkeiten in sich faßt, so nimmt er, um diese an sich ungeschickten Ausdrücke der größern Deutlichkeit wegen anzuwenden, nicht einen Teil von der Sphäre des Begriffs des Wesens ein, er ist nicht eine Einschränkung desselben, es geht dieser Begriff ohne Rest in ihm auf, er ist nicht ein Wesen, sondern das Wesen selbst, er ist sozusagen jener Begriff in Wirklichkeit, als Individuum, das ihn ganz in sich verschlingt und realisiert enthält. Ist aber Gott nicht ein Wesen, sondern das Wesen, so nimmt er ganz unbedingt notwendig auch von der Sphäre des Seins oder der Existenz nicht einen bestimmten Teil oder Platz ein, so daß noch für andres darin Platz bliebe; er füllt allein diese Sphäre aus; es kann in Beziehung auf die Existenz keine Gütergemeinschaft zwischen den endlichen Dingen und Gott stattfinden, sein Sein ist alles Sein und alles Sein sein Sein, »est omne esse et praeter quod nullum datur esse«. (»De Intell. Emend.«, p. 443) Hat aber Gott keine von seinem unendlichen Wesen unterschiedene, d. i. keine bestimmte und besondere, keine persönliche Existenz, so ist er eben damit die einzige, die allgemeine Wirklichkeit, die einzige, die allgemeine Substanz, so sind damit alle bestimmten, endlichen Wesen, die wir, wenn wir außerhalb des Standpunkts der Substanz stehen, als selbständige, eigne Existenzen fixieren oder denen wir selbständige, von der Existenz Gottes unterschiedene Existenz zuschreiben, nichts andres als das Sein Gottes selbst in einer endlich bestimmten Weise, nichts als Bestimmungen der allgemeinen, unendlichen, mit Gott selbst gleich ewigen und wesenhaften Bestimmungen, der Ausdehnung und des Denkens, Modifikationen seiner Attribute, welche für sich keine Realität haben.

Wenn man von den endlichen Wesen aber ausgeht und von ihnen aus die Idee der Substanz entstehen läßt, so beruht die Einheit der Substanz auf dem Satz des Spinoza: »Determinatio est negatio, determinatum nihil positivi, sed tantum privationem existentiae ejusdem naturae, quae determinata concipitur, denotat.« (»Epist.« 41) Alle Bestimmung ist nur Einschränkung der reinen, der uneingeschränkten Wirklichkeit, Verminderung der Realität, Nichtsein. Was die Dinge aber unterscheidet, sie für uns zu bestimmten, eignen, zu selbständigen Wesen macht, ist eben ihre Bestimmtheit; diese ist aber nur Einschränkung, nur Unwirklichkeit, also haben sie keine selbständige Existenz, kein selbständiges Wesen. Alle Dinge zusammen und zugleich, nämlich alle Wesen nicht nacheinander und folglich nicht auseinander, sondern in ihre Wesenheit zusammengefaßt als eines, als ein Unteilbares, d. i. alle Wesen zusammen, inwiefern sie als nicht voneinander unterschieden, nur ein Wesen, eine Sache, ein Ganzes ausmachen, konstituieren daher Gott selbst. Deswegen ist aber Gott nicht etwa zusammengesetzt aus den Wesen oder Dingen als seinen Teilen, sondern er ist das absolute prius; die Substanz ist früher als ihre Affektionen, ist das absolut Eine, das einzig Selbständige, von dem die Wesen keine Teile, sondern von dessen Eigenschaften sie nur Bestimmungen sind.

Spinoza wendet allerdings auch das Verhältnis des Ganzen und der Teile auf das Verhältnis der Substanz und Akzidenzen an; so nennt er z.B. den Geist einen Teil des unendlichen Verstandes. Aber er wendet nur dieses Verhältnis an, um es aufzuheben, er nimmt die Bestimmungen von ihm weg, die es zu dem Verhältnis der Teile und des Ganzen machen. Denn die eigentümliche Bestimmung dieses Verhältnisses ist, daß es kein Verhältnis innrer substantieller Einheit ist, sondern nur eine äußerliche, oberflächliche Einheit, eine Zusammensetzung ausdrückt. Der Teil kann, ob er gleich Teil eines Ganzen ist, zugleich für sich, ohne das Ganze, gefaßt werden und sein, denn das Ganze ist aus den Teilen zusammengesetzt; aber im Substanzverhältnis sind die endlichen Dinge nur so Teile der Substanz, daß diese das absolute Eine, die in allen identische Natur derselben ist, ohne die sie nicht sein noch gedacht, wovon sie nicht abgetrennt und abgesondert werden können wie die Teile vom Ganzen, so daß die Substanz nicht aus den endlichen Dingen besteht wie das Ganze aus den Teilen, sondern sie vielmehr das Bestehen, das Reale der Teile, das in ihnen allein Selbständige ist. Das Verhältnis der Teile zum Ganzen ist also hier in der Substanz aufgehoben. »Cum de naturae substantiae sit, esse infinitam, sequitur, ad naturam substantiae corporeae unamquamque partem pertinere, nec sine ea esse aut concipi posse.« (»Epist.« 15)

 

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143) Zur Ergänzung dieser meiner Darstellung des Spinoza verweise ich auf meine späteren Schriften, zur Ergänzung aber dieses Paragraphen insbesondere auf die gründliche Schrift »Der Spinozismus hist. u. philos. erläutert« v. Sigwart, 1839.

144) »Possumus enim facere«, sagt der Cartesianer Wittich in seinem »Anti-Spinoza«, p. 107, »cujusvis creaturae conceptum, et si de Deo nihil quicquam cogitemus.« Übrigens gibt dies Sp. selbst im besondern zu. Es ist ja nur das Allgemeine, die Gattungsbegriffe des Denkens und der Ausdehnung, welche das Wesen Gottes begründen und welche alle Dinge als ihre Fundamentalbegriffe voraussetzen; aber das Besondere wird aus und für sich selbst begriffen. Man vergleiche hierüber besonders »Tract. Theol.pol.«, c. 4, p. 206, cd. Paulus. Daher die langweiligen Tautologien bei Spinoza; denn es ist ganz eins, ob ich z.B. sage »Gott, inwiefern er durch das menschliche Wesen ausgedrückt und dargestellt wird«, oder schlechtweg sage das menschliche Wesen; denn Gott, inwiefern er durch den Menschen ausgedrückt wird, schließt alles andere aus, ist nichts als der Mensch.

145) Die Ausdrücke: Grund und Ursache werden hier natürlich nur zum Behufe der Vergleichung angewandt.

146) Allerdings hat auch schon beim Cartesianischen Gott diese Bedeutung; aber er wird nur so vorgestellt, die Idee kommt nicht zur bestimmten Wirklichkeit; es bleibt nur beim Seinsollen.

147) »Possunt«, sagt Wittichius, l. c. , p. 41, »his duabus substantiis multa attributa notionalia esse communa, quale vel hoc ipsum est, quod utraque dicatur substantia«

148) Descartes unterscheidet wohl auch die Substanz von dem Denken und der Ausdehnung. »Facilius intelligimus substantiam extensam vel substantiam cogitantem, quam substantiam solam, ommisso eo, quod cogitet vel sit extensa. Nonnulla enim difficultas est in abstrahenda notione substantiae a notionibus cogitationis vel extensionis, quae scilicet ab ipsa, ratione tantum, diversae sunt.« (»Princ. Phil.«, P. I, § 63) Aber die Substanz bleibt und ist bei ihm ein leeres, unbestimmtes Abstraktum; denn Geist und Körper sind in ihrer Bestimmtheit und Unterschiedenheit voneinander als das Reale und Positive vorausgesetzt. Der Begriff der Substanz, des Unendlichen, des wahrhaft Reellen kann daher nur zur Existenz kommen wieder als ein Wesen, welches von den beiden endlichen Substanzen unterschieden ist, aber als das unendliche gegen sie, als die Macht über ihnen bestimmt ist.

149) Die Formen oder Ausdrücke von Abhängigkeit und Unabhängigkeit werden nur als Übergangsformen zu Sp. gebraucht, nur dazu, um sie unter und in andere zureichende Bestimmungen aufgehen zu lassen. Ebenso wurden manche andere Bestimmungen gebraucht, die nur als einleitende, das Verständnis des Spinoza vermittelnde Formen angesehen werden dürfen. So kann man z.B. auch nicht, strenggenommen, nach Sp. sagen: Das Denken macht das Wesen des Geistes (des menschl.) aus, sondern das bestimmte, auf eine gewisse Weise begrenzte Denken, d. i. die Idee.

 


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