Die Folter und ihre Unbequemlichkeiten


Die Folter ist eine gefährliche Erfindung, und scheint mehr ein Mittel zu sein, die Geduld, als die Wahrheit, zu prüfen. Derienige, welcher sie ausstehen kann, verbirgt die Wahrheit eben so wohl als derienige, der sie nicht ausstehen kann. Denn warum soll mich der Schmerz vielmehr die wahren Umstände, als erdichtete Umstände, zu sagen zwingen? Umgekehrt, wenn der Unschuldige Geduld genug besitzt, die Martern auszustehen; warum soll sie nicht auch der Schuldige besitzen, da so ein schöner Lohn, wie das Leben ist, darauf steht? Ich vermute, dass der Grund dieser Erfindung in der Betrachtung der Gewalt des Gewissens liegt. Bei dem Schuldigen scheint es, auf der Folter dazu zu helfen, dass er sein Verbrechen bekennt, und ihn schwach zu machen. Gegenteils aber scheint es den Unschuldigen wider die Tortur zu stärken. Die Wahrheit zu sagen, so ist dieses Mittel sehr ungewiß und gefährlich. Was sollte man nicht sagen, was sollte man nicht tun, um so gewaltigen Schmerzen zu entgehen?

 

Etiam innocentes cogit mentiri dolor. (a)

 

Daher kommt es, dass der Richter denienigen, den er gefoltert hat, um ihn nicht unschuldig hinrichten zu lassen, oft unschuldig und gefoltert hinrichten läßt. Tausend und abertausend haben sich durch ein falsches Bekenntnis den Tod zugezogen, unter welche ich den Philotas rechne, (b) wenn ich die Umstände des Prozesses, den ihm Alexander machen ließ, und den Fortgang seiner Folter überlege. Man mag immerhin sagen, dass dieses das kleinste Übel sei, welches die menschliche Schwachheit habe erfinden können: meiner Meinung nach ist es doch eine sehr unnütze Erfindung.

 

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(a) Der Schmerz zwingt oft selbst die Unschuldigsten zum Lügen. Ex Mimis Publicanis.

(b) Man sehe den Q. Curtius L. VI. c. 7. bis zu Ende des Buches.


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Seite zuletzt aktualisiert: 15.08.2006 
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