Die Börse als Spiel und ihre eigentlichen Funktion
Wer außerhalb der Börse steht, ist leicht geneigt, das Hauptgewicht bei ihrer Beurteilung darauf zu legen, daß hier nicht selten lotterieartige Gewinne erzielt werden, deren Erwerb verhältnismäßig »mühelos« erfolgt und daß andererseits die Ersparnisse langjährigen Fleißes im Börsenspiel verloren werden, zu welchem Agenten und Annoncen übel berufener Kommissionshäuser Leute, welchen nicht der geringste Beruf zur Teilnahme am Börsenhandel zukommt, verleiten. Die Vorschläge, welche die in den letzten 2 Jahren zur Untersuchung der Börsenverhältnisse versammelt gewesene Kommission (Börsen-Enquete-Kommission) gemacht hat, wollen mit Recht die Verleitung zu unwirtschaftlichem und gefährdendem Börsenspiel nach Art des Wuchers unter Strafe stellen und die Geschäfte für rechtlich nichtig erklären. Soweit durch sonstige Maßregeln – einige der in Frage stehenden besprechen wir im folgenden Heft – die Ausbeutung des Privatpublikums verhindert und überhaupt der Teilnahme Unberufener, welche dem berufsmäßigen Börsenhandel fernstehen, am Börsengeschäft wirksam vorgebeugt werden kann, müssen diese ergriffen werden. Man muß sich freilich hüten, immer die stärksten Schreier auch für die bewährtesten Kritiker zu halten: zumal gewisse politische Kreise, welche jeden Feldzug gegen die Börse an der Spitze mitmachen, wissen ihrerseits nur zu gut darin Bescheid und verschmähen dort gemachte Gewinnste nicht, während sie Verluste ungern bezahlen. Und man darf – leider – auch die Aussichten, das Publikum von der Beteiligung an Spekulationen fernzuhalten, nicht allzu optimistisch ansehen.
Allein es muß vor allem daran erinnert werden, daß der wesentlichste Gesichtspunkt, unter dem man politisch und sozialpolitisch die Börse und ihre Schäden betrachtet, unmöglich der sein kann: Denjenigen, welche »nicht alle werden«, und ihr Vermögen auf der Börse riskieren wollen, dessen Besitz unter allen Umständen zu garantieren. Sondern angesichts der völlig unentbehrlichen Funktion, welche die Börse im Wirtschaftsleben zu versehen hat, ist ungleich wichtiger die Frage: 1. Erfüllt die Börse heute im allgemeinen trotz jener Exzesse die ihr zufallenden volkswirtschaftlichen Funktionen – dieser Frage werden wir erst im II. Teil näher treten können; schon hier dagegen können wir einer entscheidenden Vorfrage näher treten, nämlich 2. der Frage, ob die Personengruppen, in deren Hand diese Funktionen bei unserer heutigen Börsenorganisation gelegt sind, nach ihrer Eigenart die erforderliche Garantie bieten können. Diese Frage ist wichtiger als Lamentationen über einzelne schwindelhafte Praktiken. Wir werden (im II. Teil) noch sehen, daß es keine Geschäftsformen und Manipulationen an der Börse gibt, welche, um ihrer Form willen, an sich »reell« oder »unreell« wären, sondern nur reelle oder unreelle Geschäftsleute, welche sich dieser Formen bedienen. Auf die Personen kommt es an. Deshalb gibt es an sich gegen Mißbräuche keine einschneidendere Maßregel, als die Einführung eines aus Standesgenossen zusammengesetzten Ehrengerichtes, wie es die Börsen-Enquete-Kommission vorschlägt. – welches die geschäftliche Praxis der Standesgenossen, wenn Beschwerden erhoben werden, einer Prüfung unterzieht und gegebenenfalls Ehrenstrafen, eventuell die Ausschließung von der Börse, verfügt. Aber: ein wirksames »Ehrengericht« setzt voraus, daß ein gemeinschaftlicher und gleichartiger Ehrbegriff innerhalb des Standes vorhanden sei. Das ist bei uns unzweifelhaft nicht der Fall und kann es nicht sein bei der Einrichtung unserer Börse, welche jedem unterschiedslos ihre Tore öffnet. Vor allem besteht keine auch nur annähernde persönliche Gleichstellung zwischen den in ihrer Vermögenslage und ihren Anschauungen grundverschiedenen Besuchern der Börse. – Die Londoner Fondsbörse ist »plutokratischer« organisiert, da sie, wie wir sahen, immerhin bedeutende Vermögenseinlagen und Bürgschaften als Vorbedingung des Zutritts zum Börsenhandel fordert. Man darf aber deshalb, weil unsre Börse auch den annähernd Mittellosen Zutritt gewährt, nicht etwa glauben, daß bei uns die Vorherrschaft der großen Kapitalien auf der Börse abgemindert sei. Davon ist auch nicht im Entferntesten die Rede, im Gegenteil: sie vollzieht sich bei uns nur in verhüllterer Form und deshalb unter einem weit geringeren Druck des Verantwortlichkeitsgefühls: der Großkapitalist verweist, zur Rede gestellt, auf die zahlreichen, »unlautern Elemente«, welche am Börsenhandel beteiligt seien. Diese Elemente finden sich nun gewiß keineswegs nur in den minder bemittelten Schichten der Börsenhändler, denn Ehrenhaftigkeit der Gesinnung geht mit nichts weniger Hand in Hand als mit der Größe des Geldbeutels. Allein eins ist sicher: heute können nur »starke Hände«, d.h. große Kapitalien die Funktionen wahrnehmen, welchen der Börsenhandel dient. Die vielbeklagte Konzentration großer Kapitalien in den Händen der Banken ist innerhalb gewisser Schranken schlechterdings unentbehrlich für unsere heutige volkswirtschaftliche Organisation. Der kleine Spekulant, welcher in kleinen Preisdifferenzen zu verdienen sucht und die Börse zu einem Ort macht, auf welchem erein Vermögen, welches er nicht besitzt, erst erjagen möchte, erfüllt gar keinen volkswirtschaftlichen Zweck; das was für ihn an Verdienst abfällt, zahlt die Volkswirtschaft ganz unnötigerweise an einen überflüssigen Schmarotzer. Welche gewaltigen Gefahren die großen Kapitalisten auf der Börse zu Zeiten über Volksvermögen bringen können, das werden wir noch weiter sehen, und auch, ob und was etwa zur Einschränkung dieser Gefahren sich tun läßt. Aber während ihre Mitwirkung andererseits ganz unentbehrlich ist und eine nationale Wirtschaft, welche keine konzentrierten Kapitalmächte besäße, damit nur in die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalisten geriete, ist der kleine Börsenspekulant ein Mann, welcher seine Arbeit nützlicher irgendeiner andern Tätigkeit zuwenden würde. Ervor allem aber hindert das Entstehen einer in ihrer allgemeinen gesellschaftlichen Vorbildung, Erziehung und Stellung gleichartigeren Klasse von Börsenhändlern, welche in der Lage wäre, aus ihrer Mitte »Ehrengerichte« zu bilden, welche die Energie haben könnten, erzieherisch zu wirken und deren Urteile respektiert würden. Niemals wird es durchzusetzen sein, daß Sprüche eines Ehrenhofes, der aus der Wahl eines solchen Mischmaschs, wie ihn jetzt unser Börsenpublikum darstellt, hervorginge, Beachtung finden, – schon die Voraussetzung: ein einheitlicher »Ehrbegriff«, fehlt. Meine persönliche Auffassung*), die ich unter allem Vorbehalt hier äußere, weil ich glaube, man könnte mich mit Recht darnach fragen, geht deshalb dahin: Ehrlichkeit ist die Stärke jeder gesellschaftlichen Organisation; auf unsrer und auf jeder Börse herrscht tatsächlich der größere Geldbeutel, und es kann auch nicht anders sein. Deshalb möge man ihm auch formell das Feld lassen und durch Erfordern starker pekuniärer Garantien den Zutritt zur Börse erschweren, man stärkt die Stellung der großen Kapitalien dadurch nicht, sondern macht eine Kontrolle und die Entstehung einheitlicher Anschauungen über das, was auf der Börse geschäftlich ehrbar ist oder nicht, erst möglich. Dazu wird derjenige ungläubig den Kopf schütteln, welcher die Börsenhändler als solche für einen Klub von Verschwörern gegen die Früchte fremder Arbeit hält. Ihm muß gesagt werden: er kennt sie nicht. Es kommt darauf an, den Elementen von unbezweifelbarer Ehrenhaftigkeit, welche dieser Stand, ebenso wie jeder andere in sich enthält, die Möglichkeit, seine Anschauungen mehr als bisher zur Geltung zu bringen, zu verschaffen; und gefragt werden kann nur, ob eine Organisation der Börse mehr nach englischer Art ein geeignetes Mittel bildet. Ich bin zur Zeit geneigt, diese Frage zu bejahen. Die Börse ist Monopol der Reichen, nichts ist törichter als diese Tatsache durch die Zulassung unbemittelter und deshalb machtloser Spekulanten verhüllen zu lassen und damit dem Großkapital die Möglichkeit der Abwälzung der Verantwortung auf jene zu geben**).
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*) Dieselbe stimmt mit derjenigen der bedeutendsten Fachspezialisten überein.
**) Entgegengesetzten Falls wäre kein Grund, überhaupt Schranken um die Börse zu ziehen und sie nicht nach Hamburger Art zu einem offnen Markt für alle zu machen. Der Charakter der Hamburger Kaufmannschaft, die eine jahrhundertealte gute Tradition besitzt, hat es mit sich gebracht, daß die dortige, ganz freie Börse nicht etwa zu den unsolidesten, sondern zu den verhältnismäßig besten ihrer Art gehört.