§ 1. Begriffe: Klassenlage, Klasse, Besitzklasse


»Klassenlage« soll die typische Chance

1. der Güterversorgung,

2. der äußeren Lebensstellung,

3. des inneren Lebensschicksals heißen, welche aus Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des Fehlens solcher) über Güter oder Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen Art ihrer Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen oder Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung folgt.

»Klasse« soll jede in einer gleichen Klassenlage befindliche Gruppe von Menschen heißen.

a) Besitzklasse soll eine Klasse insoweit heißen, als Besitzunterschiede die Klassenlage primär bestimmen.

b) Erwerbsklasse soll eine Klasse insoweit heißen, als die Chancen der Marktverwertung von Gütern oder Leistungen die Klassenlage primär bestimmen.

c) Soziale Klasse soll die Gesamtheit derjenigen Klassenlagen heißen, zwischen denen ein Wechsel

α. persönlich,

β. in der Generationenfolge

leicht möglich ist und typisch stattzufinden pflegt.

Auf dem Boden aller drei Klassenkategorien können Vergesellschaftungen der Klasseninteressenten (Klassenverbände) entstehen. Aber dies muß nicht der Fall sein: Klassenlage und Klasse bezeichnet an sich nur Tatbestände gleicher (oder ähnlicher) typischer Interessenlagen, in denen der Einzelne sich ebenso wie zahlreiche andere befindet. Prinzipiell konstituiert die Verfügungsgewalt über jede Art von Genußgütern, Beschaffungsmitteln, Vermögen, Erwerbsmitteln, Leistungsqualifikation je eine besondere Klassenlage und nur gänzliche »Ungelerntheit« Besitzloser, auf Arbeitserwerb Angewiesener bei Unstetheit der Beschäftigung eine einheitliche. Die Übergänge von der einen zur anderen sind sehr verschieden leicht und labil, die Einheit der »sozialen« Klasse daher sehr verschieden ausgeprägt.

[Zu] a) Die primäre Bedeutung einer positiv privilegierten Besitzklasse liegt in

α. der Monopolisierung hoch im Preise stehender (kostenbelasteter) Verbrauchsversorgung beim Einkauf,

β. der Monopollage und der Möglichkeit planvoller Monopolpolitik beim Verkauf,

γ. der Monopolisierung der Chance der Vermögensbildung durch unverbrauchte Überschüsse,

δ. der Monopolisierung der Kapitalbildungschancen durch Sparen, also der Möglichkeit von Vermögensanlage als Leihkapital, damit der Verfügung über die leitenden (Unternehmer-)Positionen,

ε. ständischen (Erziehungs-)Privilegien, soweit sie kostspielig sind.

I. Positiv privilegierte Besitzklassen sind typisch: Rentner. Sie können sein:

a) Menschenrentner (Sklavenbesitzer),

b) Bodenrentner,

c) Bergwerksrentner,

d) Anlagenrentner (Besitzer von Arbeitsanlagen und Apparaten),

e) Schiffsrentner,

f) Gläubiger, und zwar:

&alpha. Viehgläubiger,

β. Getreidegläubiger,

γ. Geldgläubiger;

g) Effektenrentner.

II. Negativ privilegierte Besitzklassen sind typisch

a) Besitzobjekte (Unfreie, – s. bei »Stand«),

b) Deklassierte (»proletarii« im antiken Sinn),

c) Verschuldete,

d) »Arme«. Dazwischen stehen die »Mittelstandsklassen«, welche die mit Besitz oder Erziehungsqualitäten ausgestatteten, daraus ihren Erwerb ziehenden Schichten aller Art umfassen. Einige von ihnen können »Erwerbsklassen« sein (Unternehmer mit wesentlich positiver, Proletarier mit negativer Privilegierung. Aber nicht alle (Bauern, Handwerker, Beamte) sind es.

Die reine Besitzklassengliederung ist nicht »dynamisch«, d.h. sie führt nicht notwendig zu Klassen kämpfen und Klassenrevolutionen. Die stark positiv privilegierte Besitzklasse der Menschenrentner z.B. steht neben der weit weniger positiv privilegierten der Bauern, ja der Deklassierten oft ohne alle Klassengegensätze, zuweilen mit Solidarität (z.B. gegenüber den Unfreien). Nur kann der Besitzklassengegensatz:

1. Bodenrentner – Deklassierter,

2. Gläubiger – Schuldner (oft = stadtsässiger Patrizier – landsässiger Bauer oder stadtsässiger Kleinhandwerker), zu revolutionären Kämpfen führen, die aber nicht notwendig eine Änderung der Wirtschaftsverfassung, sondern primär lediglich der Besitzausstattung und -verteilung bezwecken (Besitzklassenrevolutionen).

 

Für das Fehlen des Klassengegensatzes war die Lage des »poor white trash« (sklavenlose Weiße) zu den Pflanzern in den Südstaaten klassisch. Der poor white trash war noch weit negerfeindlicher als die in ihrer Lage oft von patriarchalen Empfindungen beherrschten Pflanzer. Für den Kampf der Deklassierten gegen die Besitzenden bietet die Antike die Hauptbeispiele, ebenso für den Gegensatz: Gläubiger – Schuldner, und: Bodenrentner – Deklassierter.


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Seite zuletzt aktualisiert: 28.10.2006 
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